1 ...8 9 10 12 13 14 ...19 „Sie sprechen in Rätseln, Kapitän. Ich würde gerne einen Abend mit Ihnen auf dem Deck der Mahuana sitzen und Ihnen zuhören. Es gibt viele Dinge, über die ich gerne mehr wissen möchte.“
„Das wird mir ein Vergnügen sein, Meister Raul. Fangen wir heute Abend damit an. Aber jetzt sollten wir uns unserer Arbeit widmen.“
Don war mit Arthur und Jerry verabredet einen groben Blick ins Innere des Verwaltungsgebäudes zu werfen, auch um nach alten Katasterzeichnungen zu suchen. Die Werft selbst hatte schon beachtliche Ausmaße erreicht, aber das Brachland dahinter erstreckte sich in der Länge bis zum Hügel hinauf. In dem oberen Stockwerk des Gebäudes roch es nach altem Papier und Ausdünstungen dreier Generationen von verschwitzten Leibern, die hier Tag um Tag arbeiteten. Sie öffneten die Fenster soweit es ging, weil verschmutzte Scheiben die Sicht nach draußen stark beeinträchtigten.
Don stand an einem der Fenster. Er atmete nicht nur die frische Bergluft ein, sondern bewunderte auch die üppige Landschaft die sich vor ihm ausbreitete. In seiner Phantasie stellte er sich schmucke Häuschen mit Vorgärten vor, die sich wie Perlen am Berghang aneinander reihten. Ein Zuhause für die Mitarbeiter der Werft, der Marina und den Schulen. Denn von da oben konnten sie den schönsten Blick hinunter aufs Meer genießen. Auch für die Kinder sollte gesorgt werden, mit Spiel- und Sportplätzen, Kindergarten und Grundschule.
An dem flachen Hang etwas unterhalb auf dem die Schafe grasten, stellte er sich Treibhäuser vor, die den Bedarf an Gemüse, Früchte und Blumen für die Menschen decken sollen. Erst danach würde eine Straße angelegt, die die Werft umrundete und bei der Marina in einen großen Parkplatz endete. Das Institut für Maritime Forschung und Entwicklung fände reichlich Platz zwischen der Werft und der Marina. Seine Gedanken rasten über das Gelände wie eine Schar hungriger Vögel, die die Landschaft nach Essbarem absuchten. Für kurze Zeit hielt er inne, um einen Gebäudekomplex zu entwerfen. Dann flogen sie weiter zum nächsten Komplex.
Innerhalb weniger Minuten die Don aus dem Fenster schaute, erfasste er das gesamte Projekt in einer Art geistigen Hologramm. Als in diesem Moment Arthur und Jerry den Raum betraten kam ihm die Idee, seine Vorstellung in das Unterbewusstsein der beiden Partner zu transformieren. Seine Absicht war es die zwei Männer zu inspirieren, dieses Projekt in ihren Köpfen entstehen zu lassen. Die Beiden würden diejenigen sein, die diese Entwürfe den Architekten und Landschaftsgestaltern zur Ausarbeitung weiterleiten sollten. Don war nicht der Typ der an einem Fleck länger als einige Wochen ausharrte. In seinem Kopf rotierten so viele Projekte, dass er sie nicht zählen konnte. Er war zwar ein Entwurzelter, vergaß jedoch nie woher seine Wurzeln stammten. Arthur und Jerry dagegen blieben bodenständige Neuseeländer, die daran auch nichts ändern wollten.
Die Fenster in dem oberen Stockwerk waren viel zu schmal, als dass drei Männer hinaus schauen konnten. Aus diesem Grund stand jeder an einem Fenster ließ die Gedanken in die Ferne schweifen. Jeder entwarf seine Vorstellung von dem ihm vorliegende Gelände, aktiviert aus dem unterbewussten Gedächtnis. Beide sollten sich später wundern, wie dicht ihre Entwürfe übereinstimmten. Es erschien ihnen alles so leicht und selbstverständlich, weil Don noch viele Details in ihre Köpfe hinein projizierte. Kurz darauf begannen sie ihre Visionen zu artikulieren, wobei sie sich ergänzend übertrafen.
Don lächelte in sich hinein, er war sich dessen gewiss, dass die Uroma irgendwo in diesem Gebäude herumspukte. Vielleicht, wenn die Jungs sich weiter so entwickelten, könnte sie auf die Idee kommen auch sie auf die Stirn zu küssen. Ihm kam die Idee einen Komponisten aufzusuchen und ihm unter Hypnose ein Lied zu suggerieren. Anstatt
Küss mich, Baby sollte es heißen:
Küss mich, Oma, küss mich auf die Stirn,
ich brauche Klarheit in meinem verkorksten Gehirn... usw.
Das könnte der Schlager des Jahrhunderts werden, dachte Don und lachte laut auf.
„Worüber lachst du?“, fragte Jerry, der dadurch von seiner Vision abgelenkt wurde. „Du warst zeitlang in Gedanken vertieft, plötzlich fängst du an laut zu lachen.“
„Ach, ich habe ein Loblied über meine Uroma komponiert, dabei ist mir etwas Lustiges eingefallen“, antwortete Don noch immer von seiner Idee belustigt.
„Du hast eine Uroma, Mensch, lebt sie noch?“, griff Arthur den Faden auf. „Das hätte ich mir denken können.“
„Goldrichtig, Freunde, ich habe sogar eine sehr kluge Uroma, die sehr lebendig ist“, antwortete Don noch immer mit einem Grinsen im Gesicht.
„Sag bloß, der große Zaster kommt aus Uromas Schatulle?“, war Jerry neugierig geworden.
„So könnte man es auch definieren. Uromas Schatulle ist die richtige Umschreibung.“
„Dann muss sie wohl eine ziemlich große Schatulle haben, deine Uroma?“, meinte Arthur nachdenklich.
„Wollt ihr jetzt über die Schatulle meiner Uroma rätseln, oder eure Vision von der Werft fortsetzen? Ihr kümmert euch um die Arbeit und ich um den Zaster“, ermahnte Don seine neugierig gewordenen Partner.
„Wie auch immer, Don, wir rufen hier ein Projekt ins Leben, worauf deine Uroma ganz stolz sein wird“, meinte Arthur sehr überzeugt.
„Sehr gut gesagt, Arthur. Denkt daran, gegen elf Uhr sollen wir in der Anwaltskanzlei die Firmenverträge unterzeichnen, so schreibt es das Gesetz vor. Danach essen wir in meinem Hotel etwas zu Mittag. Ich hole meine Partner am Flughafen ab und wir treffen uns wieder hier.“ Don verabschiedete sich von seinen neuen Partnern und entschied gleich ins Hotel zu fahren.
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Im Hotel angekommen reichte ihm der Concierge erfreut den Zimmerschlüssel. Diesmal wollte Don mit ihm kein Schwätzchen wie gewohnt halten, weil er es eilig hatte möglichst schnell mit seinen Freunden zu sprechen. Deshalb erstellte er seinen VIRDULA- Bildschirm am Badezimmerspiegel, suchte gezielt Edy und Erol auf. Er ging davon aus, dass sie die Schiffsroute von Brisbane Richtung Papua-Neuguinea genommen hatten. Sie dürften inzwischen mehr als zehn Tage unterwegs sein, überlegte er. Die Markierungen auf der Seekarte des Bildschirms zeigten die Positionen der VIRDULA Steinchen an, die sie unterwegs an markanten Punkten ins Meer fallen ließen. Don verfolgte diese Route, dabei zählte er genau dreizehn Punkte. Demnach mussten sie jetzt in der Provinz East New Britain angekommen sein. Er zoomte das Hafenbecken von Rabaul und wurde tatsächlich fündig.
Beide Yachten lagen unweit voneinander vor Anker. Der Hafen war nicht überfüllt, sogar der Royal Yachtclub der Upperclass von Rabaul war nur halbwegs belegt. Raue Zeiten sind auch hier angebrochen, dachte Don. Aus der Vogelperspektive betrachtet lag das Hafenbecken inmitten einer zerklüfteten Vulkanlandschaft. Sechs aktive Vulkane zählte er auf den ersten Blick. Er zoomte weiter und bekam jetzt die beiden Yachten seiner Freunde gut zu sehen. Auf dem Deck des Trimarans entdeckte er niemanden, aber der Schooner von Edy zeigte Leben. Don zoomte weiter bis die Yacht in Großaufnahme zu sehen war. Edy stand achtern an der Reling zur Steuerbordseite und gestikulierte mit den Händen, als wenn er sich mit jemandem unter dem Sonnensegel unterhielt. Er vergrößerte das Bild weiter und betrachtete die Szene, als würde er hinter Edy stehen. Das Bild zeigte jetzt einen großen Tisch, an dem Lore, Alida und Erol saßen, die gerade eine große Wassermelone schlachteten. Um sicher zu gehen, dass keine anderen Leute auf dem Schiff verweilten, durchlief Don den Salon, die Kojen und das Crew Quartier. Er schaltete auf Ton und hörte eine gute Minute lang zu, worüber sie sich unterhielten. Edy erzählte von dem gewaltigen Vulkanausbruch des Berges Tavurvur im Jahre 1937, der Rabaul mit Vulkanasche zudeckte und dadurch fünfhundert Menschen grausam umgekommen waren. Don entschied die Diskussion zu unterbrechen und ließ die Schiffsglocke bimmeln.
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