Malu Halasa - Mutter aller Schweine

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Der christlich-jordanische Armeeoffizier Hussein Sabas versucht nach der Pensionierung sein Glück als einziger Schweinemetzger der Levante und verkauft alle Arten von Koteletts, Würsten und Schinken – sehr zum Leidwesen seiner rechtgläubigen muslimischen Nachbarn. Hussein lebt in einem von Frauen dominierten Haushalt in einem Vorort der jordanischen Hauptstadt Amman. Da ist seine konservative Schwiegermutter Fadhma, die über die Familie und ihre Geheimnisse wacht; seine enttäuschte Frau Laila, die sich bemüht, nicht in Bitterkeit zu versinken; seine junge Schwester Samira, die sich insgeheim einer Gruppe syrischer Aktivistinnen anschließt; und seine Nichte Muna. Diese ist zum ersten Mal aus den USA zu Besuch, bringt mit ihrem westlichen Blick gewohnte Sichtweisen durcheinander und freundet sich rasch mit Samira an.
Husseins versteckte Schweinefarm, die Ankunft eines mysteriösen jungen Soldaten, der einst unter ihm diente, und Samiras politisches Engagement erschüttern das empfindliche Gleichgewicht des Haushalts und zwingen den Sabas-Clan zu einer dramatischen Entscheidung. Malu Halasa erzählt aus wechselnden Perspektiven die Geschichte dreier Generationen von Frauen und verwebt virtuos die ungleichen Wege, die sie sich entlang der engen kulturellen Grenzen und angespannten politischen Realitäten des Nahen Ostens bahnen. Religion und Politik, Flucht und Exil, Sinn und Irrsinn prägen diesen Roman, der – wie der Nahe Osten – vom Gewicht der Geschichte und der Erinnerung durchdrungen ist.
"Mutter aller Schweine" ist ein Roman über den heutigen Alltag im Nahen Osten, erzählt aus dem Innern einer Familie – unverhüllt und kritisch, mit schwarzem Humor und einem tiefen Verständnis für die Herausforderungen der Region.

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Malu Halasa

Mutter aller Schweine

Roman

Aus dem Englischen von Sabine Wolf

Für Andy Inhalt Kapitel 1 Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel - фото 1

Für Andy

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

DANK

1

Die Enttäuschung brennt wie Steppe. Sie riecht nach alten Socken und durchsickert die Spalten und Risse des neuen Hauses. Der Geruch, vertraut und immer gleich, begrüßt Hussein jeden Morgen. Ähnlich beharrlich ist die dumpfe Schwere in seinem Kopf – heute das Ergebnis von zu viel Johnnie Walker Red beim Begrüßungsessen für seine amerikanische Nichte Muna am Abend zuvor. Sie ist zum ersten Mal im Heimatland ihres Vaters, und Hussein dachte, er heitere die Stimmung des Familientreffens auf, aber tatsächlich hat er sich einfach egoistisch betrunken. Während er sich langsam anzieht, hofft er, dass sich der Nebel in seinem Kopf auflösen wird, sobald er sich Wasser ins Gesicht spritzt. Doch als er am Waschbecken im Badezimmer den Hahn aufdreht, kommt kein einziger Tropfen heraus. Da erinnert er sich an die leeren, quietschenden Wassertanks auf dem Dach. Der Wasserlaster ist schon drei Wochen zu spät. Fast mehr vom Geruch geführt, tastet er nach den Kanistern, die seine Stiefmutter gewöhnlich für solche Anlässe bereitstellt. Geht das Leitungswasser zur Neige, füllt Mutter Fadhma Gefäße an der öffentlichen Zisterne der Stadt. Sie ist bei so schlechter Gesundheit, dass sie die Behälter mit dem Taxi nach Hause transportiert. Weil Hussein zu faul zum Helfen ist, beschwert er sich nie über die Kosten.

Das Wasser schmeckt bleiern, so elementar wie der Geruch beim Aufwachen. Derselbe Geschmack durchzieht das Glas Tee, das auf dem Küchentisch für ihn bereitsteht. Beim ersten gierigen Schluck verbrennt und beruhigt Hussein sich zugleich, doch der strenge Geschmack stößt ihn ab. Als würde man Erde essen. Als er sich vorbeugt, um seiner Stiefmutter einen Gutenmorgenkuss zu geben, verliert er fast das Gleichgewicht. Er hustet, lässt sich auf den nächsten Stuhl sacken und verweigert das wartende Essen mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln. Das Glas Tee drückt er an die Brust wie einen Rettungsring.

»Chubs?« Die alte Frau hat ein Stück heiße Pita abgerissen und hält es ihm hin. Mutter Fadhma hat Husseins Tee und Frühstücksgeschirr mit einer Sorgfalt hergerichtet, als drehte sich die Welt allein um seine Wünsche und Bedürfnisse. Sie ist in ihren neuen blauen Polyesterbademantel gehüllt – ein Geschenk ihrer Enkelin aus Amerika – und würde Hussein nur zu gerne bedienen, doch er schüttelt nur wieder den Kopf, und so isst sie das Stück Brot schließlich selbst.

»Was für ein Fest gestern Abend …« Sie seufzt die Worte lang und schwer, doch ihre Satzmelodie hebt sich. Sie will seine Meinung hören.

Hussein bleibt reglos sitzen. Er weiß, dass Fadhma gerne über das Fest sprechen würde, über Muna, über irgendetwas, aber er muss seine ohnehin schon dezimierte Energie für den langen Tag aufsparen, den er noch vor sich hat.

Als sie keinerlei Bestätigung erhält, werden Mutter Fadhmas kleine Augen schmal. Sie will mit Hussein schimpfen, dass er zu wenig isst und zu viel trinkt; aber schon lange ist klar, dass sie am Ende doch schweigt. Selbst wenn er sich blamiert, wie gestern Abend, vergibt sie ihm. In den seltenen Fällen, in denen sie einmal den Mut aufbringt, ihn zurechtzuweisen, ist ihr Tadel sanft und tröstend.

Hussein gilt noch immer als der bestaussehendste der sechs Brüder. Selbst in seiner einfachen khakifarbenen Militäruniform, identisch mit tausend anderen, sah er gut aus. Etwas an dem abgenutzten roten Barett betonte seine jungenhaften Züge. Die Verbindung von Leutnant-Stern und diskret eingesticktem Adler seiner Elitebrigade erzeugte eine subtile Magie, die mehr als nur eine Frau unwiderstehlich fand. Doch jetzt, als er den schmuddeligen Schlachteranzug von der Garderobe neben der Haustür nimmt und hinausgeht, wird deutlich, dass diese einst schmissige Wirkung inzwischen völlig verloren ist. In Husseins ehemals glatte, schöne Züge haben die Jahre Krähenfüße gegraben.

Draußen zeigt die rissige Steintreppe ein ähnliches Bild. Das Haus ist das neueste an der holprigen, unbefestigten Straße. Die benachbarten Gebäude sind aus Lehmziegeln oder Stein; hinter ihren Mauern, uneinheitlich, gedrungen und verwittert, liegen Räume wie Löcher in einer verfaulten Zahnreihe. Auch Husseins Heim zeigt trotz seiner modernen Bauweise bereits eindeutige Zeichen des Verfalls.

Direkt hinter dem Zaun erstrecken sich karge, struppige Felder in die diesige Ferne. Der Dunstschleier liegt nicht an Husseins Kater; schon steigt die Hitze rasch empor. Zwei oder drei streunende Hunde schleichen lustlos auf der staubigen Straße umher. Sie sind jeden Morgen dort, angezogen vom unverkennbaren Blutgeruch aus dem ramponierten Van, der den Großteil von Husseins kurzer, spärlich geschotterter Zufahrt einnimmt. Normalerweise tut er so, als würde er einen Stein aufheben. Er muss ihn gar nicht werfen; sich zu bücken reicht, damit sich die Hunde, seit dem Welpenalter an Grausamkeit gewöhnt, die Straße hinuntertrollen. Eigentlich genießt er diesen kleinen Sieg, aber heute ist ihm zu übel, als dass er sich bücken könnte. Stattdessen kickt er halbherzig etwas Staub in Richtung des nächsten Köters und fährt mit dem Finger über einen neuen Kratzer, der beim Rücklicht beginnt und sich bis vor die Fahrertür zieht. Am Morgen zuvor war er noch nicht da. Mehrere ähnliche Kratzer durchziehen den Lack, die nicht vom üblichen Verschleiß durch Schotterstraßen herrühren. Die jüngste Zugabe ist länger und tiefer als der Rest. Entweder werden die Zeiten schlechter oder die Steine spitzer. Hussein seufzt und quetscht sich auf den Fahrersitz. Der Wagen ist für jemand viel Kleineres ausgelegt. Selbst wenn er den Sitz so weit wie möglich nach hinten rückt, berühren seine Knie fast das Steuer. Im Rückspiegel sieht er gerade noch, wie auf der anderen Straßenseite ein Gesicht hinter einer Gardine verschwindet. Er hat sich daran gewöhnt, beobachtet zu werden, dennoch lässt er nutzlos trotzig den Motor aufheulen, legt den Gang ein und fährt stürmisch rückwärts aus der Einfahrt. Ruckend kommt er zum Stehen und bereut seinen temperamentvollen Auftritt sofort. Sein Magen holt den Rest seines Körpers ein und dreht sich unangenehm. Feuchtkalter Schweiß tritt ihm auf Schultern und Stirn. Seine Hände kommen ihm leicht und unbeholfen vor, er lässt sich in den Sitz sinken und atmet schwer. Ein schwarzbrauner Hund erhebt sich aus dem Rinnstein, sieht apathisch zu Hussein und trottet davon.

»Der Wein macht lose Leute, und starkes Getränk macht wild; wer dazu Lust hat, wird nimmer weise.« Dschabir Ahmed Saber zitierte vor seinen Kindern gerne die Heilige Schrift. Doch Hussein erinnert sich immer nur dann an die Worte seines Vaters, wenn sie ihm am wenigsten nützen – nach der Tat, nicht davor. Er kann sich unschwer vorstellen, wie sein Vater die gegenwärtige Situation beurteilt hätte. Der Christ Dschabir Ahmed Saber war stets darum bemüht, die unterschiedlichen Religionen seines Umfelds miteinander zu versöhnen und nicht weiter auseinanderzutreiben. Für Hussein grenzte diese Passion, Konflikte zu vermeiden, manchmal an Schwäche. Hätte Respekt vor den Nachbarn den alten Mann nicht so gehemmt, hätte die Familie schon früher Nutzen aus Husseins Geschäftssinn ziehen können. Doch wenn Hussein an seinen Vater denkt, fühlt er sich zwangsläufig unwohl – als ob er ihn irgendwie enttäuscht hätte. Als die Stadt noch ein Dorf war, war Dschabir Ahmed Saber als natürlicher und bescheidener Anführer hervorgetreten, ein Mann von Wert. Er war ein einfacher und zäher Bauer, bekannt für seine Liebe zu Geschichte und Erzählungen. Er entwickelte einen solchen Ruf als Denker und großzügiger Gastgeber, dass die gesamte Gemeinde – selbst seine engste Familie – den alten Mann nur Al Dschid nannte, »Großvater«.

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