„Sehen Sie“ sagte Krenkel „so einfach ist das. Ich erkläre Ihnen jetzt die wichtigsten Instrumente. Geht es Ihnen nicht gut? Sie sind ja ganz bleich. Ach ja, Ihre Höhenangst. Geht vorbei, wenn Sie selbst das Steuer in der Hand haben. Also noch mal. Geschwindigkeitsmesser. Höhenmesser. Fluglageanzeige. Richtungsanzeige. Turbinenleistung, Gashebel, hier der Hebel zum Ausfahren des Fahrwerks. Mehr müssen Sie momentan nicht im Blick behalten. Mit dem Steuerknüppel regeln Sie die Flugrichtung. Nach vorn ist sinken, nach hinten ist steigen. Ist wie Autofahren. Wir sind jetzt 3.000 Fuß hoch. Lust auf einen Versuch? Na los, ich sitze doch neben Ihnen, kann ja nichts schiefgehen. Ich schalte jetzt den Autopiloten aus, Sie übernehmen. Achtung, es geht los!“
Frieder Bergmann umklammerte das Steuerhorn mit schweißnassen Händen und klopfendem Puls. Dann bemerkte er, dass die absolut gleichförmige Bewegung des Flugzeuges verlorenging. Er bewegte das Steuerhorn vorsichtig um die Maschine auf Kurs zu halten und behielt die Instrumente im Blick. Er war so auf seine Aufgabe fixiert, dass er momentan überhaupt keine Angst verspürte. Vielmehr versuchte er die Bewegungen des Steuerhorns jetzt sanfter auszuführen.
„Achten Sie auf den Kurs, dieser Linie auf der Anzeige dort müssen Sie folgen, Höhe ist okay“ sagte Krenkel.
Bergmann starrte auf das Instrument und korrigierte vorsichtig nach. Noch schaffte er es nicht ganz genau auf dem vorgeschriebenen Kurs zu bleiben. Aber jetzt hatte ihn der Ehrgeiz gepackt. Er drückte das Steuerhorn nach links und das Instrument zeigte ihm an, dass es jetzt absolute Deckung zwischen der Linie und dem Flugzeug gab.
„Alle Achtung“ meinte Hans Krenkel „Sie sind ein Naturtalent. So schnell hat das noch kein Laie vor Ihnen geschafft. Wir fliegen jetzt noch ein paar Minuten so weiter, und Sie behalten die Instrumente im Blick. Achten Sie auch auf die Höhe, die ist dort zu erkennen.“
Nach und nach erspürte Frieder Bergmann die Reaktionen der Maschine immer besser und konnte deren Verhalten gut vorausahnen.
„Klasse“ ließ sich der Pilot hören „jetzt geht es in eine Kurve und wir müssen ein Stück steigen. Probieren Sie es einfach.“
Auch diese Aufgabe meisterte Bergmann hervorragend.
„Ich staune nur noch“ sagte Krenkel „Sie haben Ihren Beruf verfehlt. Aber nicht umsonst sind Sie auf dem höchsten Posten in Europa gelandet. Das schafft man doch sicher nur mit überragender Intelligenz und Durchsetzungsvermögen. Ich glaube, für Sie wäre es ein Leichtes, den Pilotenschein zu machen.“
„Ich werde darüber nachdenken“ antwortete Frieder Bergmann geschmeichelt.
Er saß jetzt selbstbewusst in seinem Sitz und schaute lässig aus den Fenstern.
„Soll ich die Reporter holen“ fragte Krenkel.
„Ja, bitte.“
Wenige Sekunden später drängten sich die Presseleute im Cockpit um Frieder Bergmanns Aktionen zu verfolgen. Dieser ging elegant im Steigflug in eine Kurve, so dass man später auf den Bildern gut sehen konnte wie perfekt er die Maschine beherrschte. Krenkel scheuchte die Leute nach zwei Minuten wieder aus dem Cockpit heraus, kam zurück, verriegelte die Kabinentür, und setzte sich neben Bergmann.
„Na, Blut geleckt“ fragte er grinsend.
„Und wie“ antwortete Frieder Bergmann breit feixend „darf ich noch n Weile?“
„Klar. Noch fünf Minuten, dann überfliegen wir die Grenze nach Italien. In drei Minuten melde ich uns dort bei der Flugsicherung per Funk an.“
Bergmann genoss das Gefühl des unbeschwerten Fliegens nunmehr mit allen Sinnen. Da er die Sache ordentlich im Griff hatte nahm er jetzt öfter einmal einen Rundblick aus den Fenstern. Plötzlich sah er links einen silbernen Punkt, der sich ihrer Maschine schnell näherte. Es sah so aus, als würde der Punkt, das konnte ja eigentlich nur ein Flugzeug sein, genau ihren Kurs kreuzen. Frieder Bergmann war augenblicklich erregt und wollte Krenkel mit einer raschen Handbewegung auf die Gefahr aufmerksam machen. Seine Armbewegung war schnell sowie kraftvoll gewesen, und seine flach ausgestreckte Hand – mit der in die Richtung des Punktes weisen wollte -, erwischte den Piloten leider aber voll an der Schläfe. Hans Krenkel sackte aufstöhnend zusammen und rutschte in seinen Sitz zurück. Frieder Bergmann sah den bewusstlosen Piloten schockiert an. Im nächsten Moment krächzte eine Stimme irgendetwas in Englisch.
Bergmann war durch die englische Amtssprache in der Kommission relativ fit und verstand, dass er die Kennung des Flugzeuges und das Ziel des Fluges melden sollte. Er wollte nach Rom, aber was die Maschine für eine Kennung hatte wusste er natürlich nicht. Er schaute zu Krenkel hinüber, aber der rührte sich nicht.
"I 'm Frieder Bergmann, President of the European Parliament. I 'm on my way to Rome" stammelte Bergmann in sein Kehlkopfmikrofon.
„Ich bin Frieder Bergmann, Präsident der Europäischen Kommission. Ich bin auf dem Weg nach Rom.“
„Who are you“ fragte eine ungläubige Stimme zurück.
„ Wer sind Sie? “
„I'm Frieder Bergmann, head of the European Commission."
„Ich bin Frieder Bergmann, Vorsitzender der Europäischen Kommission.“
"Give me the name of your aircraft" kam die Aufforderung.
„ Geben Sie mir die Kennung Ihres Flugzeuges. “
"I do not know how the code is. I just got a lot to do."
„ Ich weiß nicht wie die Kennung ist. Ich habe gerade viel zu tun. “
„Are there other people on board?“
„ Sind noch andere Personen an Bord? “
„Yes. My friend Chang Jang Diang and some reporters.“
„ Ja. Mein Freund Chang Jang Diang und einige Reporter. “
„What‘s the name of your friend?“
„ Wie ist der Name Ihres Freundes? “
„Chang Jang Diang.“
„Can I talk to your friend?“
„ Kann ich mit Ihrem Freund sprechen? “
"No, the door to the cabin is finished."
„ Nein, die Tür zur Kabine ist abgeschlossen. “
„And you can not open the door? And the pilot?“
„ Und Sie können die Tür nicht öffnen? Und der Pilot? “
„No. Ähm, the pilot was knocked unconscious.“
„ Nein. Ähm, der Pilot wurde bewusstlos geschlagen. “
„I beg your pardon? Who did this? "
„ Wie bitte? Wer hat das getan? “
„Ähm, it was a mistake from me.“
„ Ähm, es war ein Versehen von mir. “
„And now you fly the machine?“
„Und Sie fliegen jetzt die Maschine?“
„Yes.“
„Who are you really?“
„Wer sind Sie wirklich?“
„My name is Frieder Bergmann, I‘ m the President of the European Parliament.“
„Mein Name ist Frieder Bergmann, ich bin der Präsident des Europäischen Parlaments.“
„I do not believe you any word! Your are a terrorist!“
„ Ich glaube Ihnen kein Wort! Sie sind ein Terrorist!“
„Please, believe me! I‘ m Frieder Bergmann.“
„Bitte glauben Sie mir! Ich bin Frieder Bergmann.“
Es blieb still.
Was Frieder Bergmann nicht wusste war, dass der Fluglotse sofort Terroralarm ausgelöst hatte. Es musste sich um eine Entführung handeln, oder, noch viel schlimmer, um einen ähnlich wie am 11. September gelagerten terroristischen Anschlag. Besonders der Name des Freundes des Entführers elektrisierte den Fluglotsen. Chang Jang Diang. Klang sehr verdächtig. Auf seinem Bildschirm konnte der Mann gut sehen, dass sich das Luftfahrzeug in gerade Linie, an Höhe verlierend und immer schneller werdend, direkt auf Rom zubewegte. Von einem italienischen Flugplatz stieg sofort eine Alarmrotte Jagdflieger auf. Frieder Bergmann war jetzt voll damit beschäftigt seine gerade erworbenen Flugkenntnisse so einzusetzen, dass die Maschine in der Luft blieb. Der Blick auf den Höhenmesser zeigte 2.000 Fuß, gut 650 Meter. Bergmann folgte dem von dem entsprechenden Instrument vorgegebenen Kurs. Wie er landen sollte war ihm ein Rätsel, wenigstens wusste er, wie er das Fahrwerk ausfahren konnte. Hans Krenkel bewegte sich schwach in seinem Sitz als Frieder Bergmann erneut zwei silberne Punkte erkannte, die sich enorm schnell näherten. Krenkel richtete sich stöhnend auf. Frieder Bergmann wollte ihn abermals auf die herankommenden Objekte hinweisen, aber pflanzte dem noch nicht ganz nach oben gekommenen Piloten seine flach gehaltene Hand gegen die Halsschlagader. Krenkel rutschte wieder nach unten. Als sich die silbernen Punkte atemberaubend schnell näherten erkannte Bergmann, dass es wohl Jagdflugzeuge waren. Die beiden Maschinen zischten knapp an dem Learjet vorbei und Frieder Bergmann meinte, dass ihn die Piloten direkt ansahen. Was hatte das alles überhaupt zu bedeuten?
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