„Mach dir keine Sorgen, mein Mädchen. Ich glaube nicht, dass du schwanger bist. Aber selbst wenn, bringen wir das schon in Ordnung. Vereinbare einen Termin mit deinem Gynäkologen für Montag, wenn ich auch frei habe, damit wir zusammen hingehen können.“
Dann kam er durch das Zimmer zu mir. Ich saß zurückgelehnt auf dem ungemachten Bett. Er streckte die Hand aus, strich mir über das Haar und küsste mich sanft auf die Lippen. Dann schenkte er uns beiden den Kaffee ein, den er gerade aus der Küche gebracht hatte, nahm einige Schlucke und fuhr fort, sich vor dem Spiegel der Frisierkommode anzuziehen. Der Spiegel reflektierte sein Bild, so vertraut, so geliebt – das Bild des hoch gewachsenen, kräftig gebauten Mannes, der sich bücken musste, um sich dem für seine Größe zu niedrigen Spiegel anzupassen. Als er den Arm ausstreckte, um in sein Hemd zu schlüpfen, spannten sich die Muskeln über dem flachen Magen und dem breiten Brustkorb. Selbst diese gewöhnlichen, fast routinemäßigen alltäglichen Bewegungen hatten die Anmut eines Panthers, eine Geschmeidigkeit, die mich faszinierte und erregte, als sähe ich sie zum ersten Mal. Meine Augen trafen die seinen. Sie sandten mir ihr lächelndes Blau, das durch die Schatten auf seinem schmalen Gesicht und das hellblaue Hemd noch intensiver wurde. Mit einer geschickten Bewegung bändigte er eine eigenwillige Strähne, die der Welle seiner glänzenden schwarzen Haare entkommen wollte. Als er seine Krawatte gebunden hatte, kam er wieder zu mir und setzte sich neben mich.
“Ich habe für heute Abend um halb acht einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant am Beauchamp Place bestellt. Es ist dein Geburtstag, und ich dachte, wir sollten ihn mit unseren Freunden feiern. Ich fahre direkt vom Büro dorthin, weil ich eine wichtige Konferenz habe und es spät werden kann. Ich habe Bill gebeten, dich um sieben hier abzuholen, denn ich werde es nicht schaffen. Sag mir, dass es dir nichts ausmacht, Baby.“
Mein Herz machte einen Freudensprung. Alle vorwurfsvollen Gedanken, dass er nicht an meinen Geburtstag gedacht hatte, und alle aus meiner weiblichen Unsicherheit geborenen Zweifel an meiner Bedeutung für ihn entfernten sich beschämt aus meinem Kopf. Nicht nur hatte er an meinen Geburtstag gedacht, sondern auch noch arrangiert, dass wir diesen besonderen Tag alle zusammen feiern würden. Das Glück verbreitete ein warmes Gefühl in meiner Seele und beschwichtigte die Fragezeichen meines Verstandes. Doch das Wichtigste, das Lebenswichtige für mich war die Art und Weise, wie er auf die Möglichkeit meiner Schwangerschaft reagiert hatte, seine Ruhe und die Selbstverständlichkeit, mit der er diese Aussicht als unser gemeinsames Problem akzeptierte. Er gab mir eindeutig zu verstehen, dass, wenn sich jemand damit auseinander setzen musste, dies für uns beide galt. Seine Sicherheit rann wie Balsam durch meine Adern und wirkte wie ein Beruhigungsmittel für meine Sorgen, die ich schon so viele Tage mit mir herumtrug. Er schickte mir einen Kuss durch die Luft, nahm sein Jackett und sagte beim Gehen: „Zieh doch bitte das grüne Kleid an, das dir so gut steht. Ich will, dass mein Baby heute Abend schön ist wie eine Göttin.“
Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, breitete sich Stille im Zimmer aus. Ich mochte nicht länger im Bett bleiben und machte mich mit kindlichem Eifer daran, das Zimmer aufzuräumen, wobei ich mir seine liebevollen Koseworte, seine Zärtlichkeiten und seine Küsse noch einmal genüsslich auf der Zunge zergehen ließ und meine Nase wollüstig den Duft seines Aftershaves einsaugte, der noch in der Luft lag.
Mein überschäumender Tatendrang entlud sich in der Geschicklichkeit, mit der ich das große Bett machte, wobei ich ein weiteres Mal über die herrliche, mattgelbe Bettdecke strich, die aus derselben schweren Seide war wie die Vorhänge, die die beiden Fenster zum Park hinaus umrahmten. Durch den farblichen Kontrast passte sie perfekt zu dem dunklen, kunstvoll verzierten Kopfteil des Bettes und den glänzenden, blank polierten Oberflächen der klassischen Möbel, die Sardi, meine Mutter, und Winda, meine Großmutter, so sorgfältig ausgewählt hatten. Ich liebte diese Wohnung am Holland Park und schätzte mich glücklich, dass meine Mutter sie mir für die Zeit meines Medizinstudiums zur Verfügung stellte. Immerhin entgingen ihr während dieser Zeit beträchtliche Mieteinnahmen.
Was mir allerdings Eindruck machte, war, dass mein Vater nichts von der Existenz der Wohnung wusste. Die beiden Frauen ließen mich hoch und heilig versprechen, dass ich ihm niemals verraten würde, dass die Wohnung Eigentum meiner Mutter war. Ich wunderte mich zwar sehr darüber, aber die Jugend hat die Fähigkeit, über Situationen hinwegzusehen und sich keine Gedanken über Themen zu machen, die die persönlichen Belange der Erwachsenen betreffen. Außerdem war sie ein Geschenk meiner Großmutter an ihre heiß geliebte Tochter, meine Mutter; und wie sie selbst mir sagte, würde sie ihr ein Dach über dem Kopf, Unabhängigkeit und Sicherheit bieten, falls etwas in ihrem Leben schief ginge und sie Kabul aus irgendeinem Grund verlassen müsste. Das Wie und das Warum gingen nur sie etwas an. Mir genügte es, dass ich dieses wunderbare Zuhause mit seinen vier Schlafzimmern genießen durfte, das riesige Wohnzimmer mit den bequemen weißen Sofas und dem großen, wertvollen blauen Nain in der Mitte, umrahmt von den anderen, etwas kleineren afghanischen Teppichen in den Ecken, die mit ihren leuchtenden Farben und ihrer einzigartigen Kunst die Ästhetik der Räume hervorhoben. Meine Großmutter hatte ganz sicher einen exquisiten Geschmack, und sie hatte die Wohnung mit viel Liebe und eindeutig mit viel Geld eingerichtet. Ich erfreute mich an der supermodernen Küche mit den Granitflächen und der Vielzahl von grau lackierten Schränken. In dem marmornen Bad wurde meine Körperpflege zu einem Fest des Komforts, des Vergnügens und des Luxus. Ja, ich schätzte mich glücklich – oder, besser gesagt, ganz besonders privilegiert.
Ich stellte das Radio an, und die alte Melodie von Yesterday erfüllte den Raum. Dann ging ich in die Küche, wo ich mit mechanischen, täglich geübten Handgriffen frischen Kaffee in die Maschine gab und mein Frühstück zubereitete.
Durch die Türöffnung sah ich die Vorhänge im Wohnzimmer – eine Wolke in Weiß –, wie sie sich, durch den morgendlichen Wind gestreichelt, befriedigt aufbauschten oder sich hin und her wiegten, wenn der Luftzug etwas stärker wurde. Während ich an meinem letzten Bissen Toast kaute, machte ich in Gedanken einen Plan für meine nächsten Schritte an diesem für mich so bedeutungsvollen Tag.
“Als allererstes muss ich wohl den Abfall runter bringen”, sagte ich laut vor mich hin, als der Deckel des Aluminiumeimers nicht richtig schloss.
Mit der einen Hand packte ich eilig die schwarze Tüte, warf mir mit der anderen rasch meine Strickjacke über und ging auf die Straße hinunter. Nachdem ich die große Mülltonne geschlossen hatte, blieb ich wie gewohnt stehen, um den Anblick, den ich so liebte, zu genießen. Die Bäume, vom nächtlichen Regen rein gewaschen, bogen bei der Berührung der morgendlichen Brise anmutig ihre Äste und sandten mir ihren frischen Morgengruß. Die vorwitzigen Petunien hoben ihre hübschen bunten Köpfe, um sich von den ersten Sonnenstrahlen küssen zu lassen. Der sattgrüne Rasen hielt hartnäckig die Tropfen des nächtlichen Regens fest, als seien sie wertvolle, strahlende Diamanten, von denen er sich auf keinen Fall trennen wollte. Mein Blick umfing die schneeweißen Fronten der imposanten Häuser, denen die jüngsten Restaurationsarbeiten einen besonderen Glanz verliehen, und beobachtete, wie die Fenster sich wie ein Willkommenslächeln für den neuen Tag eins nach dem anderen öffneten, um die stickige, verbrauchte Luft der Nacht herauszulassen. Die wenigen Passanten gingen langsam und sahen aus, als würden sie die Schönheit und die Düfte dieses paradiesischen Winkels in der lärmenden Großstadt genießen.
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