Richi, heute ist das so unwirklich für mich, dass mir kotzübel wird, wenn ich nur daran denke. Ich kann es mir nicht verzeihen und schäme mich so, für ihn Gefühle gehabt zu haben! Weißt du, worüber ich mich auch sehr wundere und was mich sogar ein wenig erschreckt?«
Sie zieht mich zu sich hin, um mir in die Augen zu schauen. »Dass ich dir das alles ohne jegliche Bedenken erzählen kann. Bisher habe ich mit niemand, auch nicht mit meiner Familie, darüber sprechen können. Ich habe gar keine Angst, dass du mein Vertrauen missbrauchen könntest!«
Ich spüre, dass ich jetzt nichts sagen sollte, dass jedes Wort zu nichtssagend sein könnte. Wir blicken uns lange an. Nach einer gefühlten Ewigkeit schnappt sie mich energisch und küsst mich kurz, aber wild.
»So, jetzt gehst du an deine Arbeit und ich versuche, den Faden wieder aufzunehmen.«
»Bevor du weitererzählst, probiere doch bitte mal die Soße. Ich würde noch mehr Chili und Oregano reintun.«
»Das tue ich ganz bestimmt nicht, ich lasse mich gerne überraschen und bin jetzt schon gespannt, was die Worcestersoße bei mir auslöst.«
Während ich nachwürze und abschmecke, erzählt Bea weiter.
»Carlos imponierte mir. Ich glaubte, auch bei ihm Gefühle für mich entdeckt zu haben. So verging Tanz um Tanz, und wir kamen uns dabei auch körperlich immer näher. Bestimmt war ich zu naiv, mit einem wie Carlos diese Nähe zuzulassen, aber ich wollte mir diese knisternde Spannung nicht durch noch so berechtigte Bedenken kaputt machen lassen. Ich wollte diesen Abend und die Nacht einfach nur unbeschwert genießen und sehen, was passiert.
Und es passierte. Wir schliefen nicht nur in dieser Nacht miteinander. Er holte mich sogar zu sich nach Hause auf seine Finca, auf der ich in Luxus lebte und mich das erste Mal nicht mehr um die Alltäglichkeiten des Lebens, kochen, putzen, waschen und anderes, kümmern musste. Ich war einfach nur glücklich.
Ja, Richi, ich konnte mein Glück gar nicht fassen, so überschwänglich war mein Gemütszustand.«
Ich lasse sie nicht mehr aus den Augen und halte ihre Hände. Die Spaghetti waren schon im kochenden Wasser und die Soße köchelte vor sich hin. Sie erzählt weiter und ich spüre und höre, wie angespannt sie ist.
»Doch schon nach einigen Wochen zerplatzte dieses Glück wie eine Seifenblase. Ich war ihm lästig geworden durch meine Gefühle für ihn. Er wollte nur Sex, ich wollte aber auch Liebe. Das passte nicht zusammen. Irgendwann sagte er mir das auch hammerhart: Bea, du gehst mir auf den Keks mit deiner Gefühlsduselei. Das wird mir zu eng. Ich genieße den Sex mit dir, aber mehr ist da nicht. Ich kann dich hier nicht mehr brauchen. Du wohnst ab jetzt in meiner Rosa Villa in Villarica, die ist gerade frei geworden.«
Plötzlich löst sie sich aus meinen Armen, springt von der Ablage und klammert sich ganz fest an mich. Sie legt ihren Kopf auf meine Schulter und setzt fort. Ich denke, damit ich sie beim Erzählen nicht ansehen kann.
»Ich kochte vor Wut und spürte die Zornesröte in meinem Kopf hochziehen. Ich glaubte verglühen zu müssen und fauchte ihn an: Du meinst also, dass ich hier an deiner Seite nichts mehr zu suchen habe, aber als Hure noch gebraucht werde? Verstehe ich das richtig, Carlos? – Ja, du verstehst das richtig, sagte er in einer selbstverständlichen Gelassenheit, die mich noch rasender machte, sodass ich wie wild auf ihn losstürmte und ihm an die Gurgel ging. Er befreite sich sofort von mir, packte mich, stellte mich vor sich hin und schlug mir mit aller Härte ins Gesicht, sodass ich umfiel.
Wenn du das noch einmal machst, fällst du tot um. Widerspruch und Widerstand dulde ich nicht. Ist das klar?, schrie er mich an. Dann riss er mich brutal und wutentbrannt wieder hoch, schaute mir mit seinem jähzornigen Blick in die Augen und schmiss mich mit voller Wucht wieder auf den Boden. Ich schicke dir Lisa, die soll dich verarzten, und morgen sprechen wir wieder. Und – versuche erst gar nicht zu fliehen. Es ist zwecklos! Du weißt ja, ich habe scharfe Hunde und aufmerksame Bodyguards. Wenn die dich ich in die Finger kriegen …«, sagte er und verschwand.
Fünf lange Jahre bin ich nun schon in seinen Händen und tue bedingungslos, was er will.«
Bea nimmt ihren Kopf von meiner Schulter und blickt mir in die Augen.
Ich halte ihrem intensiven Blick stand und sage nichts. Es erstaunt mich, wie emotionslos sie diese letzte Passage mit den Dialogen erzählt hat, so, als ob sie gar nicht selbst darin verwickelt gewesen wäre. Ihr Körper hat sich entspannt und wir nehmen uns wieder in die Arme.
»Danke, dass du mir das erzählt hast.«
»Ich danke dir auch, Richi, es hat mir sehr geholfen, dass ich meine Scham überwinden konnte und du mich ermutigt hast, dir endlich meine grauenhafte Situation zu schildern.«
Nach einer Pause, in der wir zärtlich umarmt bleiben, nimmt sie meinen Kopf zwischen ihre Hände und fragt mich mit einem zögerlichen Klang in der Stimme: »Liebst du mich immer noch?«
»Ja, wie verrückt!« Ich stelle das Gas ab, denn jetzt gibt es kein Halten mehr. Küssend verlassen wir die Küche. Bis zum Schlafzimmer kommen wir nicht mehr. Wir lassen uns auf dem nackten Holzboden des Wohnzimmers nieder und übergeben uns der Lust. In diesem Moment fühlen wir uns grenzenlos und können uns das erste Mal hemmungslos und ungebremst lieben.
Als wir nach dem Duschen wieder angezogen in der Küche stehen, frage ich Bea: »Hast du Hunger?«
»Und wie! Vor allem freue ich mich schon auf den Spritzer Worcestersoße.«
»Dann werde ich die Bolognese nochmals aufkochen und abschmecken.«
»Mach das, ich kümmere mich inzwischen um die Spaghetti.«
Sie prüft sie mit einer Gabel und ruft dann entsetzt: »Oje, sind die weich geworden! Wenn deine Soße nicht so gut schmeckt, wie du mir vorgeschwärmt hast, können wir die Spaghetti den Schweinen zum Fraß geben!«
Die Zeiten, in denen wir uns außerhalb des Theaterlebens begegnen können, bleiben weiterhin sehr begrenzt. Wir sprechen jetzt zwar intensiver und offener miteinander, dennoch haben wir noch keine befriedigende Lösung für unsere Zukunft gefunden. Dafür genießen wir die kurzen Momente des Beisammenseins ausgelassen und können es gar nicht erwarten, bis sich wieder eine neue, meist spontane Gelegenheit bietet. Es sind immer wieder bezaubernde und glückliche Augenblicke, in denen wir uns wie auf einen anderen Stern katapultiert und der Alltäglichkeit völlig entrückt fühlen. In dieser Alltäglichkeit jedoch werden wir zerrissen, weil wir uns und unsere Liebe zueinander in der Öffentlichkeit verleugnen müssen. Bisher waren wir immer nur Stunden allein beieinander, um uns nicht verdächtig zu machen. Weder im Theater noch in der Rosa Villa können wir sicher sein, nicht verraten zu werden.
Wie glücklich waren wir, als Bea erfuhr, dass Carlos für eine Woche in den etwa achthundert Kilometer entfernten Chaco fahren würde. Wir wollten zwar in diesen Tagen auch vorsichtig sein, uns aber mehr Zeit als sonst füreinander nehmen, um uns endlich einmal unbeschwert zu vergnügen und uns ein bisschen besser kennenzulernen. Wir verabreden uns zu einem günstig erscheinenden Zeitpunkt.
Wir sind im Schlafzimmer, liegen unbekleidet ohne Decke auf dem Bett und lieben uns. Plötzlich geht die Tür auf und drei Personen poltern ins Zimmer. Wir schrecken auf, lösen uns abrupt aus unserer Umarmung und starren in den Raum. Wir sehen Carlos und zwei hünenhafte Männer, die ihn rechts und links eskortieren.
Seine tiefe Stimme donnert uns an. »Erwischt, ihr Hurenpack! Ich werde euch zeigen, was es bedeutet, den Don zu hintergehen!«
Wir sitzen zitternd vor Angst im Bett und pressen uns ganz fest aneinander.
Carlos schaut auf Bea und schreit sie an: »Ich will dich nie wieder sehen! Du hast mich betrogen! Das verzeihe ich dir nie!«
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