„Na, ich habe ihn einsperren lassen, morgen bei Sonnenaufgang wird er gekreuzigt.“
„Und sein Verbrechen?“ Annius Rufus liebte es, mit seiner Frau die Staatsgeschäfte zu besprechen, sie hatte ihm mit ihrer Klugheit und ihrer weitläufigen Bildung so manchen guten Rat gegeben, er war geneigt, auf sie zu hören.
„Ein Terrorist war das, ein Abgesandter dieses Isaak, du hast seinen Namen schon gehört. Dieser Isaak führt einer der schlimmsten Banden in unserer Provinz an, die doch wirklich mit Kriminellen allzu reichlich gesegnet ist.“
„Richtig, du hast es mir erzählt. Ist dieser Isaak nicht sogar ein politischer Aufrührer?“
„Das weiß man bei solchen Leuten nie so genau, aber richtig ist, dass er zum Widerstand gegen unseren Kaiser und seine Behörden aufruft. Wir hätten ihn und seine Familie und viele andere Familien arm gemacht, so behauptet er immer wieder, dabei sind sie einfach nur arbeitsscheu. Wer arbeiten will im Reich, der verhungert auch nicht.“
„Und weshalb ist der Mann zu dir gekommen?“
„Er nannte sich David und behauptet, Isaak hätte einen unserer Steuerbeamten entführt und verlangt nun ein Lösegeld von achtzigtausend Sesterzen.“
Flavia lächelte verächtlich.
„Der ist ja verrückt“, meinte sie leichthin, „und so einer soll ein berühmter Hauptmann sein?“
„Das habe ich David auch gesagt, bevor ich ihn habe verhaften lassen. Sollen sie doch ihren Falba behalten, wir haben noch mehrere Steuerbeamten.“
Flavia stutzte: „Falba? Den haben sie gefangen genommen? Lucius Falba?“
Rufus nickte nachlässig. „Ja, Lucius Falba ist in ihrer Gewalt, für ihn wollen sie das Lösegeld haben.“
Flavia war jetzt aufgeregt.
„Aber, mein Annius, wenn es Lucius ist, über den wir reden, den musst du mir freikaufen, auf jeden Fall, bitte. Lucius Falba ist ein entfernter Verwandter von mir, er ist ein Schwager meiner Schwester, du musst dich doch an ihn erinnern.“
Flavia war jetzt gar nicht mehr herrschaftlich. Sie sah ihren Mann flehend an.
„Mein Gatte, Annius. Du hast bei ihrer Hochzeit viel mit ihm gesprochen, erinnerst du dich? Und du hast ihm sogar den Posten verschafft, bei dem er jetzt in die Hände der Bande gefallen ist. Du musst ihm helfen, das kannst du doch, oder?“
Rufus lehnte sich zurück und sah sich um, während er nachdachte. Der Palast des Statthalters in Cäsarea war von dem ersten Inhaber dieses Postens sehr aufwändig errichtet und eingerichtet worden. Dieses Zimmer, das er mit seiner Frau nur nutzte, um die Morgenmahlzeit einzunehmen, enthielt einen langen Esstisch, der mit wertvoll geschnitzten und behaglich gepolsterten Stühlen umstanden war. Er fühlte sich immer etwas einsam, wenn sie zu zweit daran saßen, leicht zwanzig Personen hätten hier untergebracht werden konnten. Dieser Raum war der einzige im ganzen Palast, in dem er Gäste bewirten konnte, die es nicht gewohnt waren, nach römischer Sitte an niedrigen Tischen auf Polstern zu liegen und in dieser Stellung die Mahlzeiten einzunehmen. Er hatte sich an die sitzende Position, die in Rom sonst nur der Hausfrau oder niederen Gästen vorbehalten war, gewöhnt und Gefallen daran gefunden. Und so genoss er die Fladen, die er in Olivenöl tunkte, den Käse und den Honig, den er darüber fließen ließ und freute sich auf die süßen Feigen zum Nachtisch. Und nun wollte seine Frau sofort eine Antwort wegen dieses ungeschickten Falba, der sich hatte fangen lassen.
„Du weißt, dass ich eine große Summe immer im Palast im Schatzkeller liegen habe. Wir könnten den geforderten Betrag wohl bezahlen. Andererseits kann ich nicht einfach achtzigtausend vom Geld des Kaisers ausgeben, ohne ihn zu fragen. Man könnte mir sonst leicht den Vorwurf machen, ich unterstütze jüdische Umsturzbestrebungen gegen den Kaiser.“
„Aber du gibst doch sonst auch durchaus größere Summen aus, ohne dir solche Gedanken zu machen“, erwiderte seine Frau. Beide hatten aufgehört zu essen und schwiegen eine Weile nachdenklich. Wie durch einen Schleier hörte Annius die Geräusche aus der Residenz, hier rief ein Diener, da tönte ein Hundegebell, das schnell aufhörte.
„Natürlich“, sagte er dann gedehnt, „dafür habe ich ja mit meiner Ernennung zum Statthalter auch die Vollmacht erhalten. Das Besondere ist hier, dass dieses Geld ausgerechnet diesem Isaak zugutekommt, der es nutzen wird, weiter unsere Landsleute auszurauben und Soldaten gegen den Kaiser zu sammeln. Bitte, Flavia, das weißt du doch auch und normalerweise, wenn es sich nicht um deinen Schwager handelte, wärest du die Erste, die mir rät, nicht zu zahlen.“
„Aber es ist nun mal mein Schwager. Annius, ich bitte dich nicht häufig um etwas, aber hier musst du eine Ausnahme machen.“
„An sich würde ich jetzt einen Schnellboten nach Rom schicken und mir Anweisungen erbitten.“
Flavias Stimme klang jetzt schrill.
„Nach Rom schicken? Aber der Bote kann frühestens in sechs Wochen wieder hier sein, wenn alles gut geht. Bis dahin ist Falba doch längst getötet worden.“
Annius Rufus war gewöhnt, auf seine Frau zu hören, war also auch diesmal geneigt, nachzugeben, vor allem, weil er die Bedeutung dieses Tonfalls kannte und den wochenlangen Unfrieden fürchtete.
„Aber ich werde mit Isaaks Boten verhandeln müssen, ich biete ihm erst einmal dreißigtausend, und dann sehen wir weiter.“
„Und du richtest ihn nicht hin?“
„Das kann ich dir nicht versprechen, Flavia, aber ich werde mit ihm handeln, er wird nicht hingerichtet, wenn ich mich mit ihm einige.“
Damit gab sich Flavia zufrieden und die Gatten beendeten ihr Frühstück in Harmonie.
6.
Zwei Menschenalter waren es jetzt ungefähr her, grübelte Rufus später, als er in seinem Arbeitszimmer saß und überlegte, wie er mit David verfahren sollte. Damals war Pompeius gefeiert worden für die Eroberung des syrischen Brückenkopfes gegen die Perser.
Aber von Anfang an drangen diese Nachrichten von Überfällen jüdischer Rebellenbanden auf römische Bürger nach Cäsarea. Sie griffen nicht nur Reisende an und raubten sie aus, sie überfielen auch die Latifundien der Römer und führten regelrecht Krieg gegen die römischen Bürger, die nach hier eingewandert waren und sich als Großbauern angesiedelt hatten. Als schließlich eine Abteilung Legionäre unter einem Centurio auf offener Straße angegriffen, besiegt und ermordet worden war, kam es zum offenen Aufstand der Juden gegen die Römer, der von den Römern blutig niedergeschlagen wurde. Immer noch war das Land aber nicht endgültig befriedet. Als die Räubereien und die Klagen der römischen Bewohner erneut überhandnahmen, musste der Kaiser eingreifen. Er schickte Annius Rufus mit dem Auftrag, die Juden nach römischer Tradition liberal zu behandeln, gegen die Terroristen aber mit aller Schärfe vorzugehen.
Rufus seufzte. Gerade das erwies sich als äußerst schwierig, weil seine Beamten kaum unterscheiden konnten, wer politisch kriminell und wer ungefährlich war. Und hier war nun einer gekommen, bei dem klar war, was der Kaiser befehlen würde. Hinrichten lassen müsste er diesen David, ohne Rücksicht auf den römischen Gefangenen. Gab er in diesem Fall erst nach, ermunterte er Isaak geradezu, weitere römische Beamte zu entführen und Lösegeld zu fordern.
Isaak Ben Zacharias führte eine der schlimmsten Banden an. Sie überfielen erklärtermaßen ausschließlich Römer. In ihren Nachrichten stellten sie eindeutig politische Forderungen: Die Römer und ihre Legionen, so forderten sie, sollten aus dem Land verschwinden, vorher würden sie keine Ruhe geben.
Seit drei Jahren bekämpfte Rufus diesen anmaßenden Mann, hatte ihm aber noch keine ernsthafte Schlappe beibringen können. Und nun schickte der verdammte Aufrührer ihm, dem römischen Statthalter, dreist einen Boten, mit dem er verhandeln sollte. David steckte seinen Kopf in die Höhle des Löwen und Rufus sollten die Hände gebunden sein aus Rücksicht auf seine Frau.
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