4.
Wie er sich nach Rom sehnte! Annius Rufus war seit drei Jahren Statthalter in diesem gottverlassenen Land, gesandt von seinem Kaiser Augustus, der ihn getröstet hatte, als er ihm seine neue Aufgabe eröffnete.
„Geh, mein Rufus, geh in dieses Juda, zivilisiere die Menschen dort, bringe ihnen römische Lebensart bei. Sie sind Bauern, unwissend, sie wirtschaften ohne Gewinn. Finde heraus, mein Rufus, ob es an ihrer Religion liegt, dass sie sich nicht an unsere Lebensweise anschließen wollen. Seit wir in Syrien sind und von da aus die Juden unterworfen haben, machen sie uns Ärger, schon Julius Cäsar hat von ihren Räubereien berichtet, ihr Eroberer Pompeius soll ständig über diese Dickköpfe geflucht haben und auch ich muss mich dauernd mit diesem Volk von Terroristen beschäftigen.“
„Warum schicken wir nicht einfach zwei Legionen hin“, hatte Rufus vorsichtig eingewendet, „sie sind doch militärisch nicht sehr tüchtig? Es müsste ein leichtes sein, sie endgültig zu unterwerfen.“
„Nein, mein Freund, ich will Legionen erst dann einsetzen, wenn es keine andere Wahl gibt. Und so schicke ich dich, meinen geschicktesten Verwalter.“
Der Kaiser hatte ihn auf die ehrenvollste Art verabschiedet, hatte ihn in den Arm genommen und zweimal auf die Wangen geküsst, Rufus erbebte noch jetzt, wenn er an die neidischen Blicke der anderen Senatoren dachte.
Aber nun war er hier, in diesem verdammten Land, mit dieser elenden Hitze. Jeden Morgen, wenn sie sich erhob und ihn beim Frühmahl traf, fragte ihn Flavia, seine Frau:
„Mein Gatte, Annius, wann können wir heimfahren, nach Rom?“
Und der Statthalter traute sich nicht, ihr zu gestehen, dass sie ursprünglich für zwei Jahre hergeschickt wurden und jetzt im dritten Jahr waren; der Kaiser hatte ihn gebeten, noch länger zu bleiben, wie es aussah, auf unbestimmte Zeit.
„Ja, was ist denn, beim Jupiter?“, rief er, es hatte geklopft, obwohl seine Diener wussten, dass er im Arbeitszimmer nicht gestört werden durfte.
Läsius steckte vorsichtig den Kopf zur Tür hinein.
„Statthalter, da ist ein Jude, der will dich unbedingt sprechen, es sei zum Wohl des römischen Reiches, sagt er.“
„Schickt ihn zu Lucius, der soll das regeln.“ Lucius war seine rechte Hand.
„Das haben wir versucht“, antwortete Läsius, „er weigert sich, mit Lucius zu sprechen, er will nur mit dir reden, sagt er, wir würden es bereuen, wenn wir dir nicht von ihm berichten.“
„Komm rein Läsius, bleib nicht in der Tür stehen, jetzt hast du mich sowieso schon gestört.“
Rufus hatte diesen Sklaven aus Rom mitgebracht, Läsius war ein Gallier, der ihm seit fünfzehn Jahren treu diente, er war ihm ans Herz gewachsen.
„Erzähl, was ist das für ein Jude?“
„Du weißt ja, Herr, wie sie sind, starrköpfig und hartnäckig. Erst ist er an der Wache gewesen, der Decurio hat ihn nach seinem Begehr gefragt. Das wollte er nur dir, dem Statthalter sagen, hat er geantwortet. Der Offizier hat ihn weggeschickt, er aber hat den Wachwechsel abgewartet und es beim zweiten Decurio noch einmal versucht. Und so ist er durch das Tor gekommen und hat im Palast angeklopft. Die Wächter dort konnten mit ihm nichts anfangen und haben mich gerufen. Er heißt David, sagt er und hat eine wichtige Botschaft für den Statthalter. Immer wieder hat er betont, dass die Botschaft für die Römer wichtig sei, nicht für ihn.“
„Und wo ist er jetzt?“
„Ich habe ihn in die Wachstube führen lassen, man hat ihm Brot und Wein gegeben und da wartet er jetzt auf deine Entscheidung.“
Unwillig dehnte sich Rufus in seinem Sessel. Sie waren unmöglich, die Juden, aber vielleicht hatte dieser eine ja wirklich eine wichtige Botschaft? Rufus wog ab, war seine Neugier größer oder seine Angst, von so einem dahergelaufenen Bewohner seines Bezirkes hereingelegt und lächerlich gemacht zu werden? Aber er hatte sich ohnehin schon zu viel mit diesem Mann beschäftigt, jetzt kam es darauf nicht mehr an.
„Also gut, führ ihn ins Audienzzimmer und sag mir Bescheid, wenn er da ist, dann höre ich mir an, was er zu sagen hat.“
Nach zehn Minuten ging der Statthalter langsam und würdig in den Saal, in dem er Besucher empfing. Er wusste, dieser Raum machte Eindruck auf jeden, er war mit dicken Teppichen belegt, die Wände waren geschmückt mit Bildern vom Kaiser in goldenen Rahmen, Jagdszenen, Waffen aus seinen Kriegszügen waren da ausgestellt, unter anderem ein mit Edelsteinen verzierter persischer Krummsäbel.
Als er den Raum betrat, sah er sich einem großen, muskulösen Juden gegenüber, der in einfachste Lumpen gekleidet war. Er war unbewaffnet, wenn er Waffen gehabt hatte, waren ihm die abgenommen worden.
„Ich bin Annius Rufus, Statthalter in Juda, du hast mit mir zu sprechen verlangt.“ Hochmütig sah er den Besucher aus seinen kurzsichtigen Augen an.
David ließ sich Zeit, den Römer zu betrachten. Er war trotz seines hohen Postens schlank, er hielt sich sehr aufrecht. Das Gesicht wurde von einer großen, gekrümmten Nase beherrscht, stechend und streng fixierten ihn die schwarzen Augen. David erinnerte sich daran, was er über diesen Statthalter gehört hatte: Ein herrischer Mann sollte er sein, schnell aufbrausend, aber nicht sehr gewalttätig.
„Nun, was starrst du?“ Rufus wurde ungeduldig, „dafür, dass du mit mir sprechen willst, bist du sehr schweigsam. Also sag, was du zu sagen hast und dann geh deiner Wege.“
„Statthalter“, begann David und seine Augen blitzten, „mich schickt Isaak Ben Zacharias, ich glaube, du hast von ihm gehört.“
„Der Isaak? Isaak, der Terrorist? Bist du wahnsinnig geworden?“ Annius Rufus konnte es nicht glauben, seine Stimme war leise und gepresst vor Grimm. „Du wagst es, mir hier, in meinem Palast, meine Legionäre um mich herum, zu sagen, dass du ein Komplize dieses Isaak bist? Ich werde dich auf der Stelle hinrichten lassen, und das ist das Humanste, was ich machen kann.“ Er wischte sich den Schweiß mit dem Tuch von der Stirn, die sommerliche Hitze hatte vor dem Audienzzimmer nicht Halt gemacht.
„Willst du nicht erst die Botschaft hören, die ich dir bringe?“
Auch David sprach leise, ihm schien die Temperatur nichts anzumachen.
„Also gut, sag deine Botschaft, damit ich die Wache rufen kann.“
„Wir haben deinen Steuereinnehmer gefangen, Lucius Falba, mitsamt den Steuern, die er unseren Landsleuten gestohlen hat. Wenn du ihn wiederhaben willst, musst du mir achtzigtausend Sesterzen geben, wir lassen ihn dann frei, das lässt dir Isaak sagen.“
Rufus stand sprachlos. Eine so impertinente Botschaft hatte er in seiner ganzen Laufbahn nicht erhalten. Als er sich gefasst hatte, ging er zur Tür und öffnete sie.
„Wache!“ schrie er, und vier Legionäre mit gefällten Speeren betraten den Raum.
„Nehmt diesen Juden fest, er ist ein Terrorist und Mörder, ich werde ihn hinrichten lassen. Sperrt ihn ein. Du, Decurio, haftest mir mit deinem Kopf dafür, dass er morgen noch da ist, und zwar lebendig.“
Der Decurio trat hinter David, der sich widerstandslos fesseln und abführen ließ.
5.
„Wen hast du denn da heute Morgen empfangen?“ Flavia war eine große, selbstsichere Frau. Annius Rufus hatte sie geheiratet, weil sie eine gute Partie war und weil Kaiser Augustus sie ihm empfohlen hatte, aber nicht zuletzt auch deswegen, weil sie so stolz und schön war. Mit den kohlschwarzen Haaren, dem aufrechten Gang ihrer schlanken Gestalt und im vollen Bewusstsein ihrer vornehmen Herkunft aus dem Geschlecht der Flavier saß sie ihm bei ihrem allmorgendlichen späten Frühstück gegenüber.
„Da war ein aufdringlicher Jude, der meinte, er müsse unbedingt mit mir sprechen“, antwortete Annius, „es ist ihm aber nicht so gut bekommen.“
„Wieso nicht gut bekommen?“
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