Still lag der Weg im gleißenden Licht der Sommersonne, kein Lüftchen regte sich, kein kühlender Hauch strich über den weißen Sand, in den die Spuren der Karrenräder eingedrückt waren. Absolute Ruhe herrschte jetzt da und glühende Hitze, wo am frühen Morgen die Luft von dem Knarren der Wagen, dem Gelächter und Geschimpfe der Bauern, dem Ächzen der Ochsen, die die schwere Last zum Markt in Nazareth trugen, die Luft erfüllt hatte. Menschen, Tiere und die Karren ließen den feinen Sand wie Staub aufwirbeln, niemand konnte in dem Dunst auch nur die Hand vor Augen sehen, schwitzend, schiebend, schimpfend hatte sich der Zug nach Nazareth bewegt und mittags zurück. Nichts ließ jetzt noch darauf schließen, dass in der flimmernden Luft, der brennenden Hitze Leben sein könnte, wie erstarrt lag die Welt. Nicht einmal Schlangen oder Eidechsen unterbrachen ihren Schlaf.
Und doch bewegte sich aus der Richtung Nazareth ein kleiner Zug. Römer waren es, nur Römer waren närrisch genug, sich dieser Glut auszusetzen, um ihren Geschäften nachzugehen und diesen Weg benutzten, wenn ihre merkwürdigen Angelegenheiten es erforderten. Zehn Legionäre in voller Waffenmontur gingen voran, gefolgt von einer Sänfte, die von vier Sklaven getragen wurde. Lucius Falba, der Steuereintreiber von Galiläa, war auf dem Weg von Nazareth nach Tiberias, um dem jüdischen König Bericht zu erstatten und ihm die eingetriebenen Gelder zu bringen. Herodes Antipas, der von den Römern eingesetzte König in Galiläa, würde wie immer neun Zehntel der Steuern nach Cäsarea, zum römischen Statthalter, schicken, ein Zehntel verbrauchte er für seine Hofhaltung.
Lucius Falba fluchte in seiner Sänfte leise vor sich hin. Der Schweiß lief ihm von der Stirn in der Hitze, obwohl er die Vorhänge der Fenster weit zurückgeschlagen und seine Träger angewiesen hatte, schneller zu laufen, damit etwas Luftzug ihn erleichtere. Immer wieder wischte er sich mit dem Schweißtuch über den Kopf, ohne dass dies Linderung brachte, der Stoff war durchnässt. Aber der Römer wusste: Die Träger konnten nicht schneller laufen, auch sie litten unter der Sonne, obwohl sie schwarze Sklaven aus Nubien waren, die eigentlich an diese Temperatur gewöhnt sein sollten.
Nach seiner Meinung war der Weg überhaupt überflüssig. Er hätte um diese Steuern nicht solch ein unsinniges Aufheben gemacht, er würde die Steuern direkt nach Cäsarea bringen, nicht zu diesem eigenartigen König der Juden, der auch noch einen Teil für sich behielt. Er, Falba, würde sich mit diesen Galiläern sowieso nicht so lange aufhalten. Sie sollten arbeiten, Steuern bezahlen und im Übrigen Ruhe geben. Zahlten sie zu wenig Steuern, schickte man die Legionen, die würden schon dafür sorgen, dass diese sturen Bauern sich unterwarfen. Und dann auch Legionen für die Rebellen, die hier und in ganz Palästina ihr Unwesen trieben. Es konnte doch nicht sein, dass der Steuereintreiber eine ganze Gruppe Legionäre als Bewachung brauchte, nur, weil er von Nazareth nach Tiberias reisen musste. Wie oft schon hatte er den Präfekten, Annius Rufus, schon in aller gebotenen Höflichkeit gebeten, endlich durchzugreifen in diesem Land mit seinen widerspenstigen Bewohnern, die sich nicht unterstanden, ihn, den Steuereintreiber, auf das Übelste zu beleidigen, wenn er das Recht Roms auf Steuern einforderte. Aber nein, Rufus war viel zu ängstlich, er habe keine Befehle aus Rom, antwortete er regelmäßig auf die Vorhaltungen, Rom habe ihn zu mäßiger Amtsführung aufgefordert und dabei bleibe es.
Falba wischte sich abermals mit dem Tuch den Schweiß aus der Stirn. Es hatte keinen Zweck, sich bei dieser Hitze aufzuregen, es änderte sich ja doch nichts und der Grimm erhöhte nur die Temperatur.
Falba sah aus dem Fenster. Der Weg führte zwischen den Höhenzügen Galiläas hindurch, gerade passierten sie einen dichten Wald, hauptsächlich aus Olivenbäumen, aber auch aus Eichen und Terebinthen.
Der Anführer der Legionäre, ein Decurio, ließ sich zur Sänfte zurückfallen.
„Wollt Ihr nicht lieber die Vorhänge zuziehen, Herr?“, fragte er, „wenn an diesem Weg Rebellen sind, dann hier, wo sie durch den Wald geschützt sind.“
„Ach was“, entgegnete Falba ärgerlich, „bei dieser Hitze schlafen auch die Rebellen in Galiläa.“
In diesem Augenblick schrien die Legionäre der Vorhut panisch auf: „Alarm! Wir werden überfallen!“ Die letzten Worte wurden erstickt in einem Gurgeln und übertönt von einem wüsten Kampfgeschrei. Wohl vierzig schwarzbärtige, zerlumpte Männer waren aus dem Wald hervorgesprungen, hatten sich über die Legionäre hergemacht, sie fast kampflos überwältigt und getötet. Die Träger, auch sie bewaffnet, hatten die Sänfte hart auf den Boden gestellt und ihre Waffen zur Gegenwehr gezogen, waren aber niedergehauen worden. Der Decurio konnte noch das Kurzschwert ziehen und dem ersten Angreifer den Kopf spalten, ehe er von hinten von einer Lanze durchbohrt wurde. Er starb im selben Augenblick.
Lucius Falba erstarrte. Um die Sänfte und die erschlagenen Römer tanzten jetzt düstere Gestalten.
„Komm heraus, Dicker!“, schrien sie, „damit wir dich ansehen können!“
Falba konnte die Worte kaum verstehen, sie waren in diesem fürchterlichen Dialekt gesprochen, den sie hier benutzten, mit einigen griechischen Brocken durchsetzt. Er begriff aber sehr wohl, dass sie ihn zum Aussteigen aufforderten. Zitternd erhob er sich in der Sänfte, ordnete seine Tunika und zitternd stieg er aus. Die Sonne traf ihn wie mit einem Schlag. Lucius Falba war tatsächlich fett. Seine kleinen schwarzen Augen verschwanden fast ganz unter den dicken Wangen, die jetzt vor Aufregung bibberten.
„Ihr könnt mir nichts antun, ich bin Lucius Falba, Steuereintreiber des göttlichen Kaisers Augustus in Rom. Augustus wird mich furchtbar rächen, wenn ihr mich berührt.“
Ängstlich sah er sich um. Da lagen die Legionäre, die ihn eskortieren sollten, tot, einige erstochen, andere von Pfeilen getroffen und zwei offensichtlich mit Knüppeln erschlagen. Der weiße Sand war durchtränkt mit Blut. Falba sah, wie einer der Legionäre den Kopf hob und mit einem schnellen Messerstich getötet wurde.
Aus der Masse der Banditen löste sich jetzt ein stämmiger älterer Mann, wie die anderen in eine zerlumpte Hose und Jacke gekleidet, aber mit einem glänzenden langen Schwert, mit Dolch und Pfeil und Bogen sehr gut bewaffnet.
„Schön, du Steuereintreiber“, antwortete er in fast fließendem Griechisch, der Sprache, die hier alle gebildeten Menschen sprachen, „wir werden dir nichts antun, vorausgesetzt, dein göttlicher Kaiser bezahlt das Lösegeld, das wir für dich verlangen. Und deine Kasse hier in der Sänfte, die werden wir für uns beschlagnahmen. Und damit du weißt, mit wem du es zu tun hast“, er vollführte eine ironische Verbeugung, „ich bin Isaak Ben Zacharias, der Anführer dieser Truppen hier. Ihnen ist der Name aber zu lang, sie nennen mich hier alle Isaak, unter diesem Namen solltest du mich kennen.“
Falba erschrak. Tatsächlich kannte er den Namen, so hieß der wohl berühmteste Kämpfer in Galiläa, er galt als rücksichtslos, brutal und grausam, ein Terrorist und Mörder, auf dessen Ergreifung von dem römischen Statthalter in Cäsarea eine hohe Belohnung ausgesetzt war, die sich aber seit mehr als zehn Jahren niemand hatte verdienen können.
Isaak Ben Zacharias war nur mittelgroß, aber sehr stämmig gebaut. Unter der zerlumpten Jacke waren imponierende Muskeln zu erkennen, der Hals war kurz und stark. Auf dem Kopf hatte er die Reste eines Doktorhutes, der Zierde der Schriftgelehrten unter den Juden, der seinen Schädel nur unvollkommen bekleidete. Niemand wusste, wie die in dieser Umgebung absurde Kopfbedeckung zu Isaak gelangt war. Darunter trug er ein Tuch, mit dem er sich die Stirn trocknete. Kleine, flinke und kalte Augen blickten den Römer jetzt an, befriedigt von der Wirkung, die sein Name auf ihn offenbar hatte.
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