Sollte er auch diesmal dem Ratschlag seiner Frau folgen? War das überhaupt ein Ratschlag? Flavia hatte Angst um ihren Verwandten, nur deshalb hatte sie für den Juden gesprochen, nicht etwa, weil sie ein Nachgeben für richtig hielt.
Aber er, Rufus, durfte den Terroristen kein Geld geben, er durfte nicht nachgeben, der Kaiser würde ihn wegen Hochverrates hinrichten lassen. Hatte er einmal einer solchen Erpressung nachgegeben, würde Isaak immer wieder römische Bürger gefangen nehmen und Geld zu erpressen versuchen. Und Rufus konnte nicht jedes Mal nachgeben, das verbot die Staatsraison, also musste er gleich jetzt das Lösegeld verweigern, im Gegenteil, er würde den Boten pflichtgemäß hinrichten lassen.
Aber Flavia? Sie würde ihm nie verzeihen, dass der Schwager ihrer Schwester getötet wurde, weil er, Rufus, nicht hatte nachgeben können. Er durfte daher den Juden eigentlich nicht kreuzigen, wie er gedacht hatte.
Unvermittelt trat sein Stellvertreter ein, wie immer, ohne anzuklopfen. Rufus hatte ihm das immer und immer wieder verboten, hatte befohlen, dass Marcus Julius sich wie jeder andere anzumelden habe. Aber Marcus hatte jedes Mal nur gelacht, er war aus der Familie der Julier, niemand legte sich mit einem Spross dieser Familie an, auch nicht Rufus, obwohl er der Vorgesetzte war.
„Was hast du beschlossen über den Boten des Rebellen?“, fragte er, nachdem sie sich begrüßt hatten.
„Habe ich denn eine Wahl?“, fragte Rufus zurück, „ich kann doch nicht unseren Steuereinnehmer von denen ermorden lassen, und schon gar nicht Falba.“
„Du willst diesem Kriminellen, diesem Isaak, tatsächlich Geld aus dem Staatsschatz geben?“ Marcus Julius war entsetzt. Er war zehn Jahre jünger als Rufus und hatte für sein Alter schon eine erstaunliche Karriere hinter sich, die ihn schließlich hier nach Juda gebracht hatte, als stellvertretender Statthalter. Die Karriere verdankte er vor allen Dingen seiner Herkunft aus der Familie der Julier, deren berühmtesten Sohn, Gaius Julius Cäsar, er sich zum Vorbild genommen hatte und seiner Fähigkeit, die Wünsche des Kaisers zu erahnen, bevor dieser sie ausgesprochen hatte.
„Das führt doch nur dazu, dass er seinen Krieg gegen unsere Legionen und unsere Bürger mit unserm eigenen Geld fortsetzt. Und denk doch nur, wenn du ihm jetzt Geld gibst, überfällt er sofort den nächsten Beamten und verlangt wieder hohe Summen. Nein, Annius Rufus, das kannst du nicht tun.“
„Aber Marcus“, antwortete der Statthalter, ärgerlich über diese Einmischung seines Vertreters, „wir können doch nicht zusehen, wie sie einen von uns einfach hinmorden.“
„Das wusste Falba, als er sich hierher abordnen ließ“, antwortete Marcus ungerührt, „jeder von uns weiß, dass er hier sein Leben riskiert, die Juden geben keine Ruhe. Aber du und ich, wir wissen, dass der Staat vorgeht, dass man auch nicht nachgeben würde, wenn wir die Gefangenen wären. Nein, Rufus, ich bitte dich, lass den Gedanken fallen, auch wenn diesmal das Opfer ein Verwandter von Flavia ist, wie ich höre.“
„Danke, Marcus, ich habe deinen Einwand zur Kenntnis genommen, jetzt lass mich bitte allein, ich muss über das Problem in Ruhe nachdenken.“
Marcus Julius ging hocherhobenen Hauptes hinaus, Rufus wusste, gab er jetzt den Rebellen nach, würde sein Stellvertreter das dem Kaiser melden mit schlimmen Folgen für ihn.
7.
„Bringt mir den Juden her, den ich heute Morgen verhaftet habe“, befahl er seinem Sklaven am nächsten Morgen und kurze Zeit später stand Isaaks Bote wieder vor dem Statthalter.
„Ich habe mir die Sache überlegt“, fuhr Rufus David an, „ich werde deinem Anführer Isaak keinen Sesterz zahlen. Stattdessen werde ich dich kreuzigen lassen, mit gebrochenen Knochen, und du wirst einen langsamen Tod sterben.“
David sah ihn durchdringend an.
„Hast du dir das gut überlegt, Statthalter?“, fragte er, „ich habe dir gesagt, dass dann dein Steuereinnehmer stirbt, und je langsamer ich sterbe, desto qualvoller wird sein Tod sein.“
„Du hast noch eine Chance“, antwortete Rufus drohend, „du kannst mir versprechen, dass ihr Falba freilasst, ohne Lösegeld, ohne Gegenleistung, dann schicke ich einen Boten zu eurer Bande und biete den Tausch an. Verweigerst du die Mithilfe daran, hängst du morgen am Kreuz.“
„Ich werde weder dir noch irgendeinem Römer helfen, ich werde dir auch nicht mein Wort geben“, antwortete David kalt, „glaube mir, selbst wenn ich dir helfen würde, käme dein Beamter nicht frei. Isaak wird nicht tun, was du verlangst, selbst wenn ich ihn darum bitte. Falba wird sterben.“
„Gut, wenn das dein letztes Wort ist, stirbst du auch“, herrschte ihn Rufus an und brüllte „Wache!“
„Hier, nehmt diesen Mann, er ist ein galiläischer Aufrührer und Terrorist“, befahl er dem eintretenden Centurio, „bindet ihn ans Kreuz, gleich neben dem Stadttor, jeder soll sehen können, wie wir mit solchen Verbrechern umgehen.“
Sie führten David hinaus und hängten ihn vor dem Tor an ein hohes Kreuz, wo er nach drei Tagen qualvoll starb
„Du bist ein Barbar“, weinte Flavia am Abend, „du bist schuld, wenn Falba stirbt, ich hasse dich, ich will dich nicht mehr sehen.“
Rufus nickte traurig. Von diesem Tag an lebten die Eheleute getrennt. Rufus verabscheute das Land mehr denn je.
8.
Judas, Davids junger Begleiter, hatte sich in den Tamariskenbüschen nahe der Stadt versteckt, um auf die Rückkehr Davids zu warten. Er war am ersten Tag nicht beunruhigt, dass sein Gefährte nicht zurückkam. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass er bei dem römischen Statthalter ein leichtes Spiel haben würde. Es war klar gewesen, dass sie David erst einsperren und bedrohen würden. Sie mussten sogar damit rechnen, dass die Römer ihn umbrachten, aber das Risiko kannten beide vorher.
Judas war vielleicht vierzehn, fünfzehn Jahre alt, vielleicht auch ein Jahr älter, wer wusste das schon so genau. Er war eines Tages in dem Lager des Isaak aufgetaucht, einfach so, hatte sich an den sehr aufmerksamen Wachen vorbeigeschlichen, war bei Nacht durch die lagernden Männer gekrochen und hatte den Anführer geweckt.
„Höre, Isaak, ich bin Judas, ich will mit euch kämpfen.“
Isaak war aufgesprungen, sofort hellwach.
„Wie bist du durch unsere Wachen gekommen?“ schrie er so laut, dass mit einem Schlage alle seine Männer aus dem Schlaf gerissen wurden und zu den Waffen griffen.
„Ich bin einfach durchgekommen“, antwortete Judas leise und bescheiden, „ich habe mich jahrelang darin geübt, unsichtbar zu werden, niemand kann mich sehen, wenn ich mich verstecken will, und schon gar nicht nachts.“
„Das werden wir sehen“, Isaak war immer noch voller Grimm, dass dieser Grünschnabel so einfach direkt neben ihm im Lager aufgetaucht war. Was, wenn die Römer einen ebenso geschickten Spion hatten?
„Wir machen morgen früh die Probe. Da wirst du dich an mich schleichen, und wehe dir, wenn ich dich erwische. Jetzt legen wir uns wieder hin, du wirst von fünf Männern bewacht, versuche ja nicht, zu fliehen.“
„Warum sollte ich fliehen?“ Judas Stimme hatte einen kecken Unterton, „ich habe mich ja hergeschlichen, um hierzubleiben, nicht um wegzulaufen.“
Am nächsten Tag hatte der Junge erstaunliche Proben seiner Geschicklichkeit abgegeben, sich selbst aufmerksamen Personen unbemerkt zu nähern.
„Und kannst du kämpfen?“ fragte Isaak danach.
Wortlos deutete Judas auf den Dolch, den er im Gürtel trug.
„Stell mich auf die Probe“, sagte er.
„Los, wirf den Dolch auf den Stamm dieser Terebinthe“, befahl Isaak und wies auf den Baum, der etwa sechs Schritt von Judas entfernt war. „Nein, das ist zu leicht“, antwortete Judas, „auf den Olivenbaum da hinten will ich werfen, der ist schmaler und weiter weg.“
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