Wie ein Fels stand Marie da und hatte sich nicht gerührt und ein Gefühl beherrschte sie, als befände sie sich in einem Traum. Mechanisch hob Marie ihren Arm und winkte Paul zurück. Dann schüttelte sie sich und kramte weiter in ihrer Tasche, bis sich der Autoschlüssel endlich fand. Es war keine Zeit mehr zu verlieren, es war schon spät und sie musste sich noch zurecht machen, beziehungsweise nach einem passablen Kleid suchen. Marie hatte das Gefühl, auf einer Wolke zu schweben.
Das Geschehen hatten auch andere beobachtet, eine davon war Jessie-Blue. Sie war nach dem Rodeo auf der Suche nach Paul gewesen, denn sie hatte vor, den schwarzen Mustang zu kaufen. Ihrem Vater Charles hatte sie das Pferd bereits abgeschwatzt. Der konnte seinen Töchtern nie etwas abschlagen, seiner jüngsten, jungenhaften Tochter ebenso wenig wie den beiden anderen. Deshalb suchte Jessie Paul nach den Vorführungen. Zuerst war sie zu ihrer ältesten Schwester Sharadon gegangen, weil sie dachte, Paul sei nach seinem Ritt bei ihr. „Hast du Paul gesehen, Sharadon? Ich wollte mit ihm über den schwarzen Mustang sprechen“, fragte sie.
„Nein, aber was willst denn mit Paul über das Pferd sprechen?“
„Ich habe Dad gefragt, ob er es mir kaufen würde und er hat ‚ja’ gesagt. Deshalb wollte ich Paul fragen, ob ich es haben kann.“
„Wenn du das Pferd möchtest, dann kauf es doch. Es gehört ihm doch gar nicht. Nur weil er es geritten hat, heißt das doch noch lange nicht, dass er ein Vorkaufsrecht hat“, entgegnete Sharadon schärfer als beabsichtigt. Sie verstand nicht, warum Jessie-Blue immer so kompliziert und rücksichtsvoll war. Wenn Jessie das Pferd haben wollte, würde Paul sicher nichts dagegen haben. Letztlich blieb es in der Familie, wenn sie, Sharadon, erst seine Frau sein würde. Und die McGreggans hatten wahrlich genug Pferde. Die Frage, ob Paul ein Pferd kaufen wollte oder nicht, interessierte sie nicht wirklich.
Also lief Jessie-Blue los, um weiter nach Paul zu suchen. Als sie um das Stadion bog, sah sie Paul in der Ferne auf dem Parkplatz vor einer sehr schönen Unbekannten stehen. Jessie ging zwischen den Autos und Menschen näher heran. Sie hatte den Eindruck, dass er dort nicht so selbstsicher stand, wie sie ihn ansonsten kannte. Sie hätte den Mustang dafür gegeben, wenn sie hätte hören können, was die beiden dort besprachen. Dann drehte Paul sich lächelnd um, winkte der dunklen Schönheit noch einmal zu und kam Jessie entgegen.
Jessie-Blue staunte, als sie dieses entrückte Lächeln in seinem Gesicht sah und blieb wie angewurzelt stehen. Paul entdeckte sie und bahnte sich den Weg zu ihr. Er lächelte immer noch glücklich und Jessie hatte nicht den Eindruck, dass dieses Lächeln für sie bestimmt war.
„Hey Jessie, was machst du hier? Ich dachte, ihr seid schon weg? Suchst du mich?“, fragte Paul.
„Oh, ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du den schwarzen Mustang kaufen möchtest? Ich meine, wenn du nicht willst, dann würde Dad ihn mir kaufen“, stotterte Jessie-Blue. Sie wusste eigentlich nicht so genau, warum sie derart verlegen war. Aber ihr war klar, dass sie eben etwas ganz Wichtiges beobachtet hatte. Von klein auf kannte sie Paul und dieses Verhalten, diese Unsicherheit, waren ungewöhnlich für ihn. Vielleicht glaubte alle Welt auch nur, dass er Sharadon heiraten wird, überlegte Jessie. Sie hatte vor Beginn der Veranstaltung mitbekommen, wie ihre Schwester zu John geschlendert war, nachdem es mit Paul wohl eine Auseinandersetzung über den Rodeoball gegeben hatte.
„Ja, ich hatte vor, ihn zu kaufen“, sagte Paul gerade zu ihr, „Warum? Hast du etwas mit dem Pferd vor?“
„Ich habe Daddy gefragt, ob ich ihn haben darf und er hat nichts dagegen. Dich hat er doch abgeworfen, dann kauf ihn nicht“, lachte Jessie- Blue. Sie mochte Paul und hatte nie so ganz verstanden, was er an ihrer älteren Schwester fand. Aber sicher, Sharadon sah umwerfend aus und wenn sie wollte, konnte sie überaus nett und charmant sein.
„Ich würde ihn gern zureiten und sehen, wie weit ich ihn trainieren kann. Ich glaube, er hat großes Potential zum erstklassigen Rennpferd“, erklärte sie weiter.
„Das kannst du gern machen, aber ich kaufe ihn, ich habe schon die Anwartschaft bezahlt“, erwiderte Paul.
Paul mochte Jessie-Blue ebenfalls. Sie war offen, ehrlich und genauso pferdebegeistert, wie er selber.
„Na ja, aber wenn ich ihn zureite, dann kann Dad ihn auch kaufen,“ entgegnete Jessie.
Paul hatte eigentlich vorgehabt, dieses Pferd selber auszubilden, denn auch er war der Meinung, dass der Mustang ein gutes Rennpferd abgeben würde, wenn er mit Geduld und Liebe ausgebildet wurde. Er wusste, dass auch Jessie die Fähigkeit hatte, das Pferd zu trainieren und wettkampftauglich zu machen. Aber dennoch entschied er sich, dabei zu bleiben, das Pferd selber zu kaufen.
„Jessie, du weißt, ich mag dich sehr. Aber ich halte meine Option auf den Mustang aufrecht und kaufe ihn. Mein Angebot steht: Du kannst ihn ausbilden und trainieren. Wenn er mal rennt, wirst du mitverdienen. Nicht dein Dad, sondern wir beide. Ich halte dich für eine sehr gute Pferdekennerin und traue dir zu, ihn zu reiten und zu trainieren. Das kannst du Charles sagen.“
Jessie-Blue legte ihre hübsche Stirn in Falten. Sie überlegte, wenn Paul das Pferd kaufen wollte, dann hatte es wohl keinen Zweck, weiter mit ihm zu verhandeln. Aber das Angebot war gut. Sie mochte den Hengst und das war die wichtigste Voraussetzung, um das Tier zu reiten und auszubilden.
„Gut, wir machen es so. Ich komme dann in der nächsten Woche vorbei und kümmere mich um ihn. Dann müsstest du nur Hobie Bescheid sagen und dem Hengst einen Namen geben“, sagte Jessie.
„Prima, den Namen suchen wir dann zusammen aus“, erwiderte Paul.
Sie war sehr neugierig, was sich zwischen Paul und der schönen Unbekannten abgespielt haben mochte. Da war es sicherlich sehr interessant, demnächst öfter bei den McGreggans zu sein. Sharadon würde staunen, wenn sie ihr über diese Begegnung von vorhin erzählte. Jessie-Blue überlegte, ob sie ihrer Schwester von diesem Vorfall berichten sollte, doch sie mochte Paul und entschied sich deshalb, ihrer Schwester nichts zu sagen. Sie war mit Sicherheit nicht die Einzige gewesen, die dieses kurze Zwiegespräch der beiden beobachtet hatte. Bald würde das ganze Tal über Paul und die Unbekannte sprechen. Jessie lächelte Paul noch einmal zu und machte sich dann auf die Suche nach ihrer Familie. Sie wollte Dad fragen, ob sie heute Abend mit auf den Ball durfte. Denn mit ihren sechzehn Jahren wurde sie erst im nächsten Schuljahr ein Senior und leider war ihr Dad in bestimmten Sachen streng.
Paul ging zurück zu der Scheune, um den Kauf des Mustangs perfekt zu machen.
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Marie kehrte in die Pension zurück. Als sie die Treppe zu ihrem Zimmer hochstieg, kam Mrs. Ella aus der Küche und sah zu Marie hinauf: „Wie war das Rodeo, Ms. Belandres? Haben Sie sich gut amüsiert? Ich würde ja auch hinfahren, wenn mir nur nicht meine Beine diese Probleme bereiten würden. Das ganze Tal ist jedes Jahr dorthin unterwegs.“
Marie drehte sich um und blickte auf Mrs. Ella hinunter: „Oh, Mrs. Henshaw, es war toll. Ich war ja bisher noch nie auf einem Rodeo und in Deutschland kennen wir das gar nicht. Diese Atmosphäre, diese vielen Menschen! Die Pferde, einfach umwerfend.“
„So, wie Sie strahlen, scheint es mir, als wäre noch mehr auf dem Rodeo passiert. Fast so, als ob Sie den Mann für Ihr Leben gefunden haben“, lachte Mrs. Ella.
Marie lief dunkelrot an. Sie fühlte sich regelrecht ertappt, wie bei einem Déjà-vu: „Also, das glaube ich eigentlich nicht, aber ich bin heute Abend zum Rodeoball eingeladen worden. Um halb sieben werde ich abgeholt. Oh Gott, ich muss noch überlegen, ob in meiner Reisekleidung etwas Passendes für den Abend ist.“
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