Natürlich hat Albin argumentiert, es sei doch genau anders herum: Er habe mit Ellen Probleme, weil er permanent am Saufen und Koksen sei. Ob er denn überhaupt schon mal versucht habe, sie zu hagge, ohne vorher gekokst zu haben. Das wäre doch wenigstens mal einen Versuch wert.
Doch der Champ blieb stur. Es gehe immer nur ums Hagge und sonst um nichts, beharrte er und wiederholte es nach jedem Widerwort immer und immer wieder, bis Albin die Diskussion abbrach. Zugegeben, auch, weil die Vorstellung, der Champ könne recht haben, Albin kleinlaut machte, da er unweigerlich an sich und Heidrun denken musste.
Denn sie hat er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gehaggt.
Albin muss in diesen Tagen oft an seinen Freund Lothar denken. Der hatte, als er seine spätere Ehefrau kennengelernt hatte und die erste Male mit nach Hause nehmen durfte, von seinen Schwiegereltern in spe die strenge Order erhalten, die Tochter an Samstagabenden nach dem aktuellen Sport-Studio unbedingt nach Hause zu bringen, denn die Eltern waren streng katholisch und duldeten nicht, dass die Tochter die ganze Nacht über fortblieb. So wurde es dem jungen Glück zur Gewohnheit, an Samstagabenden auf der Fernsehcouch, während das „aktuelle Sportstudio“ lief, noch einmal tüchtig zu hagge, ehe sie sich trennen mussten.
Was mit der Zeit dazu führte, dass seinem Freund Lothar eine Erektion erstand, sobald er die Titelmelodie des aktuellen Sportstudios erklingen hörte. Dies sei bis heute so geblieben, gestand der Freund Albin vor einigen Wochen erst. Konditionierung im besten Sinne also. Ob Lothar seine Erektion allerdings nach wie vor nutzt, um seine nunmehrige Ehefrau zu hagge, mit der er jetzt bald zwanzig Jahre verheiratet ist, ließ er offen.
Seither hat Albin sich schon manches Mal gewünscht, auch für Heidrun und ihn gäbe es eine Melodie mit solch konsequenter Wirkung. Und einmal ist er sogar schon darüber ins Philosophieren gekommen, wie schön es wäre, wenn für jedes lange verheiratete Paar eine solche Weise existierte …
Aber genug. Besser gar nicht weiter drüber nachdenken.
Jedenfalls weiß Albin definitiv, dass der Champ nicht mehr kokst, seit Ellen ihn verlassen hat. Weil es sich für ihn seitdem auch mit dem Hagge erledigt hat. Dieser Polyp redet Blödsinn.
„Nimm’s nicht persönlich, Bimbo“, sagt der andere Polizist. „Ich bin sicher, du hast was drauf. Aber ich hab den Champ boxen gesehen, als er noch richtig gut war. Vor allem technisch war er richtig gut. Er verfügte über eine Grundtechnik, die verlernt ein Boxer nicht, das ist wie Schwimmen und Fahrrad fahren. So was kriegst du auch mit Alk und Koks nicht kaputt.“
Im Vernehmungszimmer röhrt der Champ derweil wieder auf. Der Rothaarige hat ihm wieder eine Frage gestellt, für deren Antwort er keine Worte findet. Das geht nicht mehr lange gut.
Was hat er eigentlich angestellt?
Albin hat sich vorhin noch schnell informiert, bevor der Rothaarige mit dem Champ in diesem Kabuff verschwunden ist. Vor über zwei Wochen schon war die Polizei in den Dorfkrug gerufen worden. Als die beiden Beamten eintrafen, stand der Champ auf dem Tresen und urinierte auf zwei Gäste des Lokals, die am Boden lagen und die er zuvor offenbar niedergeschlagen hatte. Und während er auf die Unterlegenen schiffte, sang der Champ „We are the Champions“. Seinen Pimmel ließ er dabei im Takt hin und her schwingen.
„Er hat gar nicht mal schlecht gesungen“, berichtete der rothaarige Polizist, so süffisant, wie Albin es ihm nicht zugetraut hätte. Anscheinend war er selbst einer der Beamten vor Ort gewesen.
Doch da der Champ so „hackedicht“ war, dass eine Vernehmung keinen Sinn machte, er sich aber auch nicht weiter gewalttätig zeigte, ließen ihn die Beamten noch in der Nacht wieder laufen und bestellten ihn für den nächsten Tag aufs Revier, um seine Aussage aufzunehmen. Er kreuzte aber einfach nicht mehr auf, auch zu Hause war er in den Tagen nicht mehr anzutreffen. Drum habe er bei der zufälligen Begegnung an der Tanke prompt reagiert und ihn mitgenommen, erklärte der Rothaarige.
Der Aussage der übrigen Beteiligten zufolge hatte der Champ sie natürlich vollkommen grundlos verprügelt. Das aber könne ja wohl nicht sein, daher müsse der Champ unbedingt seine Sicht der Dinge schildern. „Wir meinen es doch auch nur gut mit ihm“, versicherte der Rothaarige.
Das mag ja sein. Aber sie müssen weiter. Uff de Betze. Und zwar mit dem Champ. Denn ohne ihn schaffen sie es nicht.
+ + +
„Das dumme Arschloch.“
Doch, nichts anderes hat sie eben gesagt. Es hat auch nicht so geklungen, als sei es ihr im ersten Moment der Überraschung nur so rausgerutscht. Sondern es klang wie eine Feststellung, die nüchterne Erkenntnis aus dem eben Gehörten.
Das dumme Arschloch.
Nicht, dass solche Ausfälle für Lea ungewöhnlich wären. Es kommt öfter vor, dass sich Eheleute ihr gegenüber abfällig übereinander äußern, sogar im Beisein des Gescholtenen. Ist auch schon vorgekommen, dass sie aufeinander losgegangen sind und Lea die beiden voneinander trennen musste. Szenen einer Ehe eben. In über einem Dutzend Dienstjahren erlebt eine Erste Polizeihauptkommissarin so allerlei.
In diesen Breiten sind sie halt weniger dialoglastig als anderswo, diese Szenen einer Ehe. Sie ziehen sich eher stumm und zäh dahin. Bis das Schweigen eines Tages bricht, und dann wird es oft gleich richtig laut und nicht selten körperlich, sinnlos, hirnlos, brutal. Wie gesagt, Lea hat da so ihre Erfahrungswerte.
Aber: das dumme Arschloch? So unvermittelt aus dem Mund dieser Frau? Dieser feingliedrigen, angenehm zurückhaltend wirkenden Person, die zwar abgekämpft, aber noch lange nicht besiegt wirkt, allenfalls allmählich bedroht vom Verlust der inneren und äußeren Form?
Das ist Heidrun Schmitter.
Lea erschrak fast, als die junge Frau die Tür öffnete, war es ihr sofort, als stehe sie vor einem zehn Jahre jüngeren Abbild ihrer selbst. Und auch Heidrun Schmitter schaute nicht irritiert, weil die Polizei vor ihrer Haustür stand, sondern weil die ihr auf Anhieb sympathische Person da vor der Tür in einer Polizeiuniform steckte, so kam es Lea jedenfalls vor … Obwohl, da hat sie sich wahrscheinlich nur mal wieder viel zu schnell etwas zusammengereimt.
Und das ist eigentlich gar nicht gut. Eine Erste Polizeihauptkommissarin sollte einer Person, die ihr im Rahmen ihrer Polizeiarbeit begegnet, nicht so spontan mit so viel Wohlwollen begegnen. Aber es ist eben zu verrückt: Diese müden Augen, diese schmale Ober- und die volle Unterlippe, dieses schmale Gesicht, das so leicht zum Strahlen zu bringen wäre, wenn da nur was wäre, was es zum Strahlen brächte, das alles kommt Lea sofort so vertraut vor. Hat sie es selbst doch so oft schon gesehen, öfter sogar, als er ihr lieb ist, morgens im Spiegel nämlich.
„Frau Schmitter, wer hat Ihr Auto heute Abend benutzt?“, hat Lea die junge Frau gefragt, um sie nicht länger nur zu betrachten, sondern um auch mal etwas zu tun.
„Mein Mann, wieso?“, hat sie geantwortet, direkt besorgt. Fast ohne Anflug von Dialekt. Hört man nicht oft in der Gegend bei einer Ermittlung, zu diesem Anlass, zu dieser Uhrzeit sogar noch seltener.
„Weil wir Ihren Wagen an der Kreisstraße gefunden haben. Auf der Seite liegend, abgeschlossen und verlassen. Er ist offenbar von der Fahrbahn abgekommen und umgekippt. Ist Ihr Mann denn mittlerweile ohne Auto nach Hause gekommen?
Worauf es Heidrun Schmitter unmittelbar entfuhr: „Das dumme Arschloch.“
Gut, dass Lea keinen von den Jungs dabei hat. Denn wenn einer von denen nun neben ihr stünde, könnte sie sein Grinsen jetzt spüren, und das wäre einfach unprofessionell.
„Das klingt, als wäre er noch nicht zu Hause“, erwidert Lea trocken.
„Nein, ist er auch nicht“, erklärt Heidrun Schmitter. „Und nach dem, was Sie mir da gerade erzählt haben, wird er sich hüten, nach Hause zu kommen.“
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