Jana Scheerer
Geister sind unser Geschäft
Aus den Akten der Detektei Donnerschlag
Mit Illustrationen von Uwe Heidschötter
1 Gib niemals den Hut ab!
2 Ein Detektiv darf nicht die Fassung verlieren, und wenn er sie doch verliert, muss er so tun, als hätte er sie noch.
3 Hinterlasse bei den Ermittlungen keine Fingerabdrücke.
4 Jeder ist verdächtig.
5 Alles ist wichtig, bevor es sich als unwichtig herausgestellt hat.
6 Ein Detektiv sollte stets eine Wäscheklammer mit sich führen, denn er muss seine Nase unter Umständen in übel riechende Angelegenheiten stecken.
7 Liste die bekannten Fakten stets schriftlich auf.
8 Streitlust und Rechthaberei sind im Umgang mit Zeugen selten zielführend.
9 Lege dich niemals mit der Polizei an!
10 Ein Detektiv kann nicht immer feinfühlig sein. Er muss jede Ermittlungs-Chance wahrnehmen.
11 Ermittle stets allein. Oder mit vertrauenswürdigen Partnern. Und Partnerinnen.
12 Pizza fördert die Kombinationsgabe.
13 Einem echten Detektiv ist nichts peinlich. Er tut, was die Ermitt-lungen erfordern, ohne Rücksicht auf sein persönliches Befinden.
14 Frühstücke stets ausgiebig, denn die Ermittlungen lassen dir vielleicht keine Zeit für weitere Mahlzeiten.
15 Ein Detektiv fürchtet nichts und niemanden.
16 Sei ein Chamäleon. Passe dich deiner Umgebung an, das ist die beste Tarnung.
17 Ein Detektiv handelt niemals ungesetzlich. Außer, die Umstände erfordern es.
18 Auch das Offensichtliche darf man nicht aus den Augen verlieren.
19 Ziehe keine voreiligen Schlüsse.
20 Ein kluger Detektiv weiß, wann er die Klappe halten muss.
21 Ein Detektiv kümmert sich nicht um die Vergangenheit, sondern schaut stets nach vorn.
22 Vergewissere dich vor Aufnahme der Ermittlungen, ob die Opfer des Verbrechens zuerst Hilfe benötigen.
23 Ein Detektiv kommt niemals zu spät.
24 Um erfolgreich zu ermitteln, muss ein Detektiv die eigenen Vorlieben zurückstellen können.
25 Sei dem Täter stets eine Nasenlänge voraus.
26 Beweismittel sind nicht zum Verzehr bestimmt.
27 Ein Detektiv gibt sich nicht mit übernatürlichen Erklärungen zufrieden.
28 Formuliere deine Fragen so, dass sie die Antwort der Zeugen möglichst wenig beeinflussen.
29 Ein guter Detektiv erkennt, wann er mit seinem Latein am Ende ist.
30 Ein Detektiv macht selten Fehler. Aber wenn doch, muss er sie eingestehen können.
Kapitel 1 In dem ich dem Hilferuf einer Dame in Not folge, einen neuen Fall wittere und vergesse, den Müll mit rauszunehmen.
Es war ein Tag wie Aalsuppe: feucht, trüb und voller unangenehmer Überraschungen. Seit Tagen hatte es nicht aufgehört zu regnen. Ich saß in meiner langweiligen Detektei, lauschte dem langweiligen Prasseln der Tropfen und tippte gelangweilt auf meiner Schreibmaschine. Dabei behielt ich die Uhr im Blick. Meine Kollegin Trix Dobbsen hatte sich mit dem 15-Uhr-Zug aus Humbug angekündigt, um mit mir und unserer Partnerin Wiebke Jansen meinen heutigen Geburtstag zu feiern. Ich freute mich schon darauf, bei Kuchen und Kakao in den Erinnerungen an unseren letzten Fall zu schwelgen. Das verstieß zwar gegen meine Detektiv-Regel Nummer 21: Ein Detektiv kümmert sich nicht um die Vergangenheit, sondern schaut stets nach vorn, aber zurzeit war leider kein neuer Fall in Sicht, egal, wie scharf ich auch nach vorne schaute. Am Haken an der Wand hingen mein Hut und mein Mantel und schienen genauso sehnsüchtig auf einen Einsatz zu warten wie ich.
Ein energisches Klopfen setzte meinen Überlegungen ein jähes Ende. Ich horchte auf. Stand da etwa ein Fall vor der Tür?
»Ja bitte?«, rief ich mit fester Stimme.
Doch es war nur meine Sekretärin. Auf der linken Hand balancierte sie eine Kuchenplatte mit einem saftigen Zitronenkuchen. Den schneeweißen Zuckerguss zierte ein Detektivhut aus braunem Marzipan.
Ich kombinierte: Sie wollte ihrem hart arbeitenden Chef zum Geburtstag eine Freude bereiten. Gerührt zwinkerte ich ihr zu. »Du verwöhnst mich, Schätzchen!«
Ihre wohlgeformte rechte Augenbraue hob sich so weit nach oben, dass sie an der Deckenlampe hängen zu bleiben drohte.
»Ich hab mich wohl verhört! Schätzchen ?«
»Äh, Oma meine ich natürlich.«
Ihre Augenbraue entspannte sich, nur um einen Moment später wieder hochzuschnellen.
»Was tippst du denn da schon wieder für einen Quatsch auf der Schreibmaschine zusammen, Harald? Wisch lieber den Tisch ab, damit ihr hier nachher anständig Geburtstag feiern könnt! Ich versteh einfach nicht, warum du unbedingt in deiner kalten, ungemütlichen Detektei mit den beiden Kuchen essen willst. Nee, nee, nee, nee. Hast du überhaupt genug Sitzgelegenheiten für deine Gäste?«
Ich sah mich um. »Äh … nein.«
»Eben. Du kannst die alten Küchenstühle nehmen, die in dem kleinen Kellerraum nebenan stehen. Und denk dran, dass du um drei Trix vom Bahnhof abholen musst. Am besten nimmst du dann gleich den Müll mit raus, nä?«
»Alles klar, Oma.«
Sie setzte den Kuchen auf meinem Schreibtisch ab. »Euren Kakao stelle ich in den Kühlschrank. Ich bin dann mal oben, nä?«
»Ist gut, Oma!«
Okay, okay, okay, ich gebe es zu: Ich hatte natürlich keine Sekretärin. Meine Detektei bestand noch immer bloß aus ein paar alten Möbeln in unserem Keller. Aber wenigstens sagte mir meine Großmutter nicht mehr täglich, dass ich den »blöden Hut« abnehmen sollte. Und sie drohte auch nicht mehr ständig damit, meine Detektei zu schließen. Nur, wenn ich mal wieder eine Fünf in Mathe mit nach Hause brachte.
Als sie weg war, holte ich die beiden alten Stühle und stellte sie in meine Detektei. Dann setzte ich mich wieder an meine Schreibmaschine und tippte: langweilig, langweilig, langweilig …
Ich war gerade beim fünfundzwanzigsten langweilig angekommen, als ein markerschütternder Schrei die Stille durchschnitt.
»Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieh! Was ist denn das? Harald!«
Ich sprang auf und stürmte in die Küche.
Dort stand meine Großmutter – blass wie ein verschreckter Käsekuchen. »Harald, das … das … das Wasser …«, stammelte sie und zeigte auf den Wasserhahn.
Hätte ich meinen Hut aufgehabt, wäre er mir bei diesem Anblick vor Überraschung hochgegangen: Aus dem Hahn lief grellgrünes Wasser! Es war so penetrant neonfarben, dass es beinahe zu leuchten schien. Vorsichtig näherte ich mich der Spüle.
»Achtung, das Wasser ist sicher giftig!«, rief meine Großmutter.
Ich holte unter der Spüle die gelben Putzhandschuhe hervor und zog sie über. Dann hielt ich meinen Zeigefinger unter den Wasserstrahl, führte die Hand zur Nase und schnupperte. Das grüne Wasser, das aus dem Hahn lief, roch nach – Hähnchen! Schnell drehte ich den Wasserhahn zu.
»Verstehst du das, Harald?« Meine Oma zitterte. »Wieso ist denn das Wasser plötzlich grün?«
Darauf hatte ich leider auch keine Antwort. In meinem Kopf befanden sich nur Fragen: Waren wir der einzige Haushalt, bei dem grünes Wasser mit einem seltsamen Geruch aus der Leitung kam? Wie entstanden die Färbung und das Aroma? Handelte es sich um einen Unfall oder um eine bewusste Manipulation? Wer war dafür verantwortlich?
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