euch warnen. Wir selbst können diesen Zauber nicht zum Zwecke
der eigenen Bereicherung nutzen, weil uns von den Flaschengeistern
eine Art g eistige Sperre eingebaut worden ist. Sie wollten
damit wohl einen Missbrauch verhindern. Zwar können wir für
Menschen, die über eine ausreichend großes Flair verfügen, diesen
Zauber anwenden. Jedoch vermag ich nicht festzustellen, ob dieser
jemand dafür geeignet ist. Wenn seine Flairaura zu schwach oder
überhaupt nicht vorhanden ist, verwandelt sich der Zauberspruch
in einen Bann für den Auftraggeber, in diesem Fall also euch. Er
zwingt euch in den Dienst der Flaschengeister. Es kann also geschehen,
Kapitän, dass ihr euch in einer Flasche wiederfindet.«
Hieronymus Stern überlegte einen sehr langen Moment. »Reizende
Geschöpfe, diese Flaschengeister, immer einen zweideutigen
Scherz in der Hinterhand. Doch dieses Risiko werde ich eingehen,
Jeanny. Ich denke, dass meine Aura den Anforderungen genügen
wird, denn ich bin Träger eines zauberischen Artefakts, das mich
mit ausreichend magischem Flair versorgt oder zumindest warnt,
wenn mir Gefahr droht Ihr müsst mir noch einiges von der Fee
berichten, Jeanny. Erzählt mir alles, was ihr über Mondlicht und
Clovis sonst noch berichten könnt. Seid unbesorgt, ich bin ein
Freund der beiden und plane nichts von Übel. Trotzdem möchte
ich gerne wissen, was die beiden hierher verschlagen hat. Also wird
mir alles, was ihr mir erzählen könnt, dabei helfen, es besser zu
verstehen.«
Hieronymus Stern plante bereits weiter, denn er hatte sowieso
vorgehabt, der Fee und ihren Gefährten davon zu unterrichten,
wie er in den Besitz der geheimnisvollen Kristall kugel gekommen
war, um möglichen Streit über dessen Eigentumsrechte vorzubeugen.
Sagenhafte Mythen rankten sich um dieses wundersame
Artefakt. Niemals befand es sich lange im Besitz eines einzelnen
Menschen oder fremdrassigen Wesens, denn immer wieder war es
nach einiger Zeit auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Kaum
ein mächtiger Herrscher bekam jemals eines dieser Artefakte zu
Gesicht, geschweige denn in seinen Besitz. Niemand vermochte
zu sagen, wie viele von diesen Augen überhaupt existierten. Sie
verfügten, so schien es, über so etwas wie ein Eigenleben und suchten
sich immer wieder neue Orte, wo sie sich über Hunderte, ja
manchmal über Tausende von Jahren vor den Augen sterblicher
Wesen verbargen. Nur alle paar Epochen innerhalb einer Ära ließ
sich eines oder zwei von ihnen aufspür enund verführten seinen
Finder, es zu nutzen. Dem Unkundigen raubten sie die Seele, hieß
es. Und dem Wissenden öffneten sie ihre magische Schatztruhe,
wurde behauptet. Doch selbst dies nur für eine begrenzte Zeit,
denn die Zahl der Einblicke, sozusagen die Menge der Wünsche,
war durch magische Weise auf einige wenige beschränkt. Wie viele
genau, wusste niemand im voraus zu sagen. Es gab zwar historische
Aufzeichnungen, die von Funden eines Sehenden Auges berichteten,
doch war es schwierig, den Weg zu verfolgen, da sie nach einiger
Zeit immer wieder verschwanden.
Selbst der vorübergehende Besitz eines Sehenden Auges war sowohl
Fluch als Segen zugleich. Doch Hieronymus Stern gedachte den
Segen zu nutzen ohne vom Fluch des Verderbens getroffen zu werden.
Nach diesem Ausflug in seine Erinnerung kehrte Stern zurück
zu seinem Anliegen. Er setzte sich an den dreibeinigen Tisch
und holte eine Flasche Rotwein aus der ledernen Reisetasche, die
er stets locker an einem Schulterriemen hängend mit sich trug. Es
würde sicher ein langes Gespräch werden, wo eine Flasche Wein
gerade reichen mochte, die Dschinn in gelöste Stimmung zu bringen,
um ihre Zunge nachhaltig zu lockern.
Kurz bevor die zwölfte Stunde schlug, verabschiedete sich Hieronymus
Stern eilig von Jeanny. Die kleine Maike schlief längst mit
einem seligen lächeln im Gesicht auf ihrer, mit Stroh gepolsterten
Schlafstatt. Mit leichter Verspätung machte er sich auf den Weg
zur Hütte der Fee. Auf dem schmalen Pfad schritt er geschwind
voran, um noch einigermaßen pünktlich zur Stelle zu sein. Etwas
beschwingter als sonst war sein Gang, denn er hatte doch reichlich
vom vorzüglichen Rotwein genossen. Doch, so stellte er zufrieden
fest, der Einsatz hatte sich geloh nt.
Die Dschinn hatte den magischen Findezauber ausgeübt und
ihm verraten, wo das gesuchte Sehende Auge verborgen lag. Stern
konnte sich einer nervösen Anspannung nicht erwehren. Jedoch,
Neptun sei gepriesen, fand er sich nicht in einer Weinflasche wieder,
sondern hatte nur den Inhalt von zwei Flaschen gemeinsam
mit Jeanny geleert. Jetzt näherte er sich vorsichtig dem riesigen
Drachenbaum, der die große Lichtung überdachte, an deren Rand
die Behausung der Pangäerin stand. Von seiner Baumbewohnerin,
einer Dyrade, war nichts zu sehen. Doch dies war nicht verwunderlich,
denn es waren sehr scheue Geschöpfe, die sich nur äußerst
selten von Mens chen erblicken ließen. Am äußeren, rückwärtigen
Rand der Lichtung stand die kleine Hütte der Fee, deren flaches
Dach mit einer dicken Schicht aus lebenden G rassoden bedeckt
war. Licht schimmerte aus einem kleinen Fenster und die leisen
Klänge einer Laute drangen an sein Ohr. Der Barde spielte wahrlich
liebliche Melodien wobei seine Stimme im Einklang mit der
sie umgebenden Natur verschmolz. Gebannt lauschte Stern einen
Augenblick der wunderbaren Weise, die der Pangäer seinem Instrument
entlockte. Nur ein Barde war wohl in der Lage, auf der
Laute einen solchen Zauber zu entfachen. Nebenbei schienen die
beiden noch in einer Unterhaltung vertieft zu sein, doch konnte er
wegen der Musik nichts davon verstehen.
Der Piratenkapitän klopfte kurz, bevor er rief: »Ich bin es, Kapitän
Stern.«
»Kommt herein, Stern, wir haben euch schon erwartet. Euer
kommen ist nicht ungehört geblieben. Ihr habt mehr Lärm gemacht
als eine Meute Gorkawiesel «, kam die schelmische Antwort
der Fee.
»Tatsächlich, war ich so laut?«, brummte Hieronymus Stern
leicht gekränkt. »Dabei bin ich leise wie eine gondolesische Wildkatze
geschlichen.«
»Nun, dass mag sein, doch wenn, dann war es ein liebestoller
Kater oder gleich ein ganzes Rudel«, schmunzelte Clovis und stellte
die Laute beiseite.
»Lasst uns zur Stelle gehen, wo die Unbekannten etwas vergraben
haben«, drängte Mondlicht. »Ich sterbe sonst vor Neugier.«
Gemeinsam traten sie hinaus auf die Lichtung. Zur Vorsicht
hielt Bentus Clovis einen der berühmten Langbögen in der Hand,
für die sein Volk bekannt war.
»Nur sicherheitshalber«, murmelte er als er den fragenden Blick
des Kapitäns bemerkte. »Vielleicht kommen die Halunken früher
als erwartet, um sich ihre Beute zu holen. Da ihr schon die Hände
voll habt, muss ich meinen Bogen bereit halten.«
Mit einem unverschämten Lächeln schaute er auf Spaten und
Hacke, die der Pirat auf der Schulter trug. Leicht schnaufend
schleppte Stern die Gerätschaften, mit denen sie den verborgenen
Gegenstand aus dem Boden holen wollten.
Der Kapitän hatte den Freunden nicht von seiner Begegnung
mit der Dschinn berichtet, denn zuerst wollte er abwarten, ob sich
der Findezauber als zutreffend herausstellte. Ebenso erwähnte er
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