ehemaligen Kapitäns sah. »Genau, mein Pirat, von deinem Schiff
reden wir. Der Rotrock schwatzte und schwatzte weiter, dabei
plauderte er aus, dass der Dieb den Gegenstand vergraben hatte.
Nach Angabe dieser Quelle, soll die Übergabe morgen Abend
stattfinden. Irgendein hohes Tier des Tempels wird wohl eintreffen,
um diesen Artefakt in Empfang zu nehmen.«
Hieronymus Stern war wie vor den Kopf geschlagen, denn genau
diese Vermutung hatte er durch den Bericht der Pangäerin
selbst gehabt. Nur, dass er nicht an einen Verräter innerhalb der
Mannschaft gedacht hatte, doch diesen Darq würde er schon ausfindig
machen. Nun bestand große Hoffnung, dass e rdas Sehende
Auge noch vor den Dieben und der geplanten Übergabe wieder an
sich bringen konnte.
»Du bestätigst mir, was ich von einer Bekannten heute gehörte
habe, May. Dieser Gegenstand ist von äußerster Wichtigkeit, daher
muss ich morgen rechtzeitig dort sein, umihn mir wieder zu holen.«
»Es gibt noch einige andere seltsamere Gerüchte, die ich dir
mitteilen möchte, Hieronymus. Doch dafür verbleibt kaum Zeit,
denn die Nacht ist schon weit vorangerückt. So wie du aussiehst,
brauchst du Schlaf und der Weg zu deinem Schiff dauert recht
lang. Ich mache dir einen Vorschlag, mein Lieber. Du bleibst heute
Nacht bei mir und hörst dir noch einige von den Gerüchten an.
Dann findest du noch genug Schlaf, um morgen Vormittag ausgeruht
deinen Plan zu verfolgen. Was hältst du davon?«
Erwartungsvoll blickte MayLi ihren ehemaligen Geliebten an.
»Gerne würde ich das Bett mit dir teilen, MayLi. Doch ich
möchte nicht das Aurelia deine Feindin wird, daher kann ich dein
Angebot nicht annehmen.«
»Dummkopf«, erwiderte MayLi kopfschüttelnd, »ich will doch
nicht das Bett mit dir teilen, um unsere alte Leidenschaft wieder
aufzuwärmen, du Lüstling. Obwohl ich nichts dagegen einzuwenden
hätte. Es war immer schön mit dir, du hast stets einen guten
Liebhaber abgegeben, mein Lieber. Was natürlich überwiegend an
meiner leidenschaftlichen Natur liegt, wie ich betonen möchte.
Nein …, du sollst im Gästezimmer meines Hauses nächtigen. Ein
spezieller Trunk wird dich so tief schlafen lassen, dass du meinst,
eine ganze Nacht geruht zu haben. Ich habe einen guten Draht zu
unserer Kräuterhexe Lucretia . Sie mischt und braut hervorragende
Tränke, darauf kannst du voll vertrauen. Am Morgen, bevor du
mich verlässt, wirst du noch ein ausgezeichnetes Frühstück bekommen,
damit du richtig bei Kräften bist. Deine Aurelia werden wir
mit einem Botenwiesel benachrichtigen, damit sie nicht in Unruhe
verfällt und weiß, wo du dich aufhältst. Wer weiß, vielleicht hat sie
ja mal Lust, für mich zu arbeiten«, setzte die Herrin des Tempels
noch einen Scherz hinterher.
Hieronymus Stern überlegte nicht lange, denn seine Müdigkeit
wurde immer stärker, woran der genossene Rotwein einen gehörigen
Anteil hatte. »Einverstanden, May, ich werde gleich einen
Boten schicken. Du erzählst mir in der Zwischenzeit solange ich
noch die Augen aufhalten kann, was es noch an Gerüchten gibt,
die mit den aufkommenden Unruhen in Zusammenhang stehen.
Jede Information könnte von Wichtigkeit sein, vor allem wenn sie
unseren gemeinsamen Freund Rotrock betreffen.«
»Genau so werden wir es machen, Hieronymus, während du es
dir an meinem Busen kuschelig gemütlich m achst, erzähle ich dir
einige echte Anekdoten aus den Zimmern unseres Hauses. Und
glaube mir, mein Lieber, dir werden die Augen übergehen. Du
wirst deine Müdigkeit vergessen, wenn du hörst, was ich dir zu berichten
habe«, machte MayLi dem Piratenkapitän Lust auf mehr.
»Hmm …, ich will dich nicht kränken, May, doch in Sachen
Brust hat Aurelia etwas mehr Kuschelfaktor zu bieten«, lästerte
Hieronymus Stern verschmitzt über das Angebot und bereitete
sich innerlich auf eine unterhaltsame Nacht vor. Die weit gereis te
MayLi konnte sehr ausführlich und anschaulich berichten. Dabei
war sie zugleich eine köstliche Augenweide in ihrem erotischen
Gewand, das kaum etwas verbarg und die Phantasie zum Glühen
brachte. Und bei Neptun, MayLi konnte ein Vulkan der Lust sein.
Alte Erinnerungen drangen aus der Tiefe des Unterbewusstsein
empor, in denen sich Bilder und Empfindungen der damaligen
Zei tzu einer köstlichen Sinfonie vereinten.
Zeit:Gegenwart
Koordinate:Fuxina
Der Morgen war noch jung als Hieronymus Stern bereits wieder
unterwegs war. Seine alte, jedoch in den besten Jahren stehende,
ehemalige Waffenmeisterin und Geliebte MayLi entsandte ihn mit
einem wirkungsvollen Schlaftrunk ins Reich der Träume. So war er
nach nur wenigen Stunden erholt aus den fernen Gefilden jenseitiger
Welten aufgewacht. Ein kräftiges Frühstück vermochte seinen
knurrenden Magen zu besänftigen und eilig verabschiedete sich
Stern mit einer innigen Umarmung von der bezaubernden MayLi.
Wieder hingen die allgegenwärtigen Bettelkinder an seinen Stiefeln.
Sie baten und jammerten wie immer um eine milde Gabe.
Hartnäckig waren sie und verfolgten ihn wie die Beutelratten von
Vegus ihre Beute, den hüpfenden Fischen des ladoganischen Meeres.
Auch diesmal hatte Stern eine Handvoll Silberlinge für die
Ärmsten der Armen übrig, die er großzügig und unter freudigem
Gejohle der schmutzigen Bande verteilte. Ein wenig abseits der
ganzen Schar bemerkte Stern ein kleines Mädchen, dass ungefähr
acht Jahre zählen mochte. Sie hatte lange, verfilzte dunkle Haare
sowie große runde und traurig dreinblickende Augen. Stets hielt
sie sich etwas im Hintergrund. So, als scheue sie das große Gedränge
ihrer Gassenfreunde. Doch immer gaben ihr die anderen
Kinder einen Teil der erbettelten Gaben ab. Der Kapitän wandte
sich um und schritt auf das Kind zu.
»Wie heißt du, Kleine?«, fragte Hieronymus Stern mit sanfter
Stimme. Dabei ging er in die Knie, damit sein Gesicht auf Augenhöhe
mit dem ihren war. »Hab keine Angst, ich sehe zwar zum
Fürchten aus, doch nur böse Menschen müssen sich vor mir hüten.
Niemals jedoch ein Kind, schon gar nicht eine so kleine Elfe wie
du es bist.«
» Maike werde ich gerufen«, flüsterte sie mit ihrem zarten Stimmchen.
»Ich hab keine Angst vor euch, Mylord . Meine Mutter sagt,
dass ihr kein böser Mensch seid, weil ihr immer etwas Gutes für
uns Kinder tut.«
»So, so«, murmelte Stern leicht verlegen. »Sagt deine Mutter
das, Maike? Nun gut, dann soll sie wohl recht behalten. Doch warum
kommst du dann nicht näher, wie die anderen Kinder auch?«
»Sie sind größer und schneller als ich. Schau, mein Bein ist verletzt,
ich kann nicht so schnell l aufen wie die anderen.« Bei diesen
Worten streckte die Kleine ihr rechtes Bein unter dem zerlumpten
Röckchen empor und zeigte dem Kapitän eine nicht verheilte und
schwärende Wunde am Oberschenkel, die immer noch Wundplasma
absonderte.
»Oh …, das sieht aber übel aus, wie hast du die denn bekommen,
Maike?«, fragte Hieronymus Stern das traurig schauende Mädchen.
»Der Greuliche Johann vom Fiesling hat mich beim Wühlen in der
Abfalltonne erwischt. Ich suchte gerade mit anderen Kindern nach
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