essbaren Resten, die dort immer hineingeworfen werden. Die nette
Frau, die dort arbeitet, gibt uns manchmal was. Ich habe doch immer
Hunger und meine Mutter auch«, berichtete sie verlegen dem
immer finsterer dreinblickenden Kapitän. »Dann hat er uns verjagt
und ein böses Tier hinter uns hergehetzt. Es hat mich erwischt und
dabei ins Bein gebissen. Seither schmerzt es mich und will nicht
mehr richtig heilen. Doch für Medizin fehlt meiner Mutter das
Geld, darum ist es immer noch nicht heil.«
Heißer Zorn brodelte in Hieronymus Stern hoch, so sehr erregte
ihn diese Ungerechtigkeit. Er konnte gnadenlos im Umgang mit
seinen Feinden sein, doch den Schwachen, vor allem den Kindern,
stand er stets zur Seite, wenn es galt, Unrecht zu verhüten oder
nachträglich zu strafen. Für diese Untat würde er den Greulichen
Johann zur Rechenschaft ziehen, das schwor er innerlich. Tief in
sich spürte er eine eiskalte Wut aufsteigen, die von längerer Dauer
sein würde als kurzfristig aufflammender Zorn.
»Weißt du was, Maike, ich habe zwar nicht viel Zeit, doch wir
gehen jetzt zu deiner Mutter. Ich werde ihr sagen, wie sie dir helfen
kann.« Hieronymus Stern nahm die schüchtern emporgestreckte
schmächtige Hand des Mädchens in seine große Pranke und zusammen
machten sie sich auf den Weg zur Hütte, in der Maike
mit ihrer Mutter lebte. Nach kurzer Zeit hatten sie den großen
Marktplatz verlassen. Bald darauf näherten sie sich dem Armenviertel
Fuxinas. Abbruchreife Hütten drückten sich den schrägen
Hang entlang. Sie waren nur notdürftig mit Dächern aus astigem
Holz oder Blättern der Windpalme gegen Regen geschützt. Mit
Fell verhangene Fensteröffnungen, löcherige Wände und schief in
den Angeln hängende Türen ließen die Armut der Bewohner dieses
Slums deutlich sichtbar werden.
Übel stinkende Abwässer flossen in mehr oder weniger großen
Rinnsalen zu einem Graben hinab, der nahe am Viertel vorbeiführte.
Die Nase des Kapitäns war beileibe nicht empfindlich, denn zu
oft hatte Stern Blut und Angst sowie Schweiß und Erbrochenes
riechen müssen, wenn sie im Kampf gegen Feinde standen. Seine
Mannschaft konnte oder wollte nicht immer ausreichend Körperpflege
betreiben und daher roch es auf seinem Piratenschiff
manchmal nicht besser wie in diesem Viertel, wo die Ärmsten der
Armen ihr Dasein fristeten. Heftig zog ihn das Mädchen auf eine
kleine windschiefe Hütte zu, wo aus einem krummen schornsteinähnlichen
Rohr dunkler Rauch in den Himmel stieg. Schummriges
Licht von einem offen brennenden Herdfeuer erhellte notdürftig
einen fensterlosen Raum, dessen Fußboden aus festgestampftem
Lehm bestand. In einer der Ecken befand sich ein einfaches Schlaflager
bestehend aus einem groben Holzgestell, worauf man Säcke
geworfen hatte, die wahrscheinlich mit Stroh und Blätter gefüllt
waren. Ein paar schmuddelige Decken unbekannter Zusammensetzung
dienten den Schläfern als Zudecke gegen Zugluft und
Kälte, die es dank des milden Klimas jedoch nur selten gab. Die
andere Ecke des Raumes wurde von einem dreibeinigen Tisch eingenommen,
der sicher auf seinen abstehenden Holzbeinen stand.
Um ihn herum gruppierten sich drei ebenso breitbeinige Stühle,
die bereits vom bloßen Anschauen ins Wackeln gerieten. Insgesamt
spiegelte der Raum die Ärmlichkeit seiner Bewohner wieder.
Fortunas Kinder waren es sicherlich nicht, erkannte Stern mit innerer Anteilnahme.
Nicht umsonst stammte ein großer Teil seiner
Mannschaft aus solchen Verhältnissen, w obei man ihnen nicht verdenken
konnte, dass sie diesem Elend zu entkommen suchten.
Wenigstens konnten sie hier existieren und hatten ein Dach
über dem Kopf. Doch immer waren sie von abgrundtiefer Armut
und ständigem Hunger bedroht. Neptun sei Dank, war die Mildtätigkeit
der wohlhabenden Einwohner Fuxinas groß genug, um
wenigstens das nackte Überleben zu sichern.
Auf soviel Güte konnte Hieronymus Stern nicht zählen. Er hatte
sich soweit er sich erinnern konnte immer gegen Willkür und
Ungerechtigkeit behaupten müssen. Dabei hatte er viel Böses erlebt
und zu häufig Kämpfe geführt, in denen er einigen Mächtigen
auf die Füße getreten hatte. Daher konnte er kaum erwarten, ein
Leben in Frieden und Geruhsamkeit zu führen. Nun, dass war jetzt
nicht von Belang. Doch es lag ihm sehr am Herzen, der kleinen
und so traurig schauenden Maike zu helfen. Außerdem gedachte
er, dem Wirt des Fiesling eine deftige als auch heilsame Lektion zu
e rteilen. Das schmale helle Rechteck der Tür verdunkelte sich ein
wenig als eine schlanke jedoch verhärmt wirkende Gestalt eintrat.
»Mutter, Mutter«, rief die Kleine. »Schau, wen ich mitgebracht
habe. Es ist Kapitän Stern, der Pirat, der nur ein Auge hat. Von
dem du mir immer so viele Geschichten erzählst!« Begeistert hüpfte
die kleine Maike auf ihrem gesunden Bein auf und ab, um dann
ihre Mutter zum Kapitän hinüberzuziehen.
Misstrauisch trat die Frau in die Mitte des Raumes. Sie mochte
mittleren Alters sein oder war bereits in frühen Jahren vorzeitig
gealtert. Mit einem scharfen durchdringenden Blick beäugte sie
den vor ihr stehenden Piratenkapitän.
»Seid ihr es wirklich? Der Pirat Stern, der bekannte Kapitän des
Sternenteufel?«, erkundigte sie sich nach einem langen Moment
der Stille mit rauer Stimme.
»So ist es, gute Frau. Habt keine Angst, ich führe nichts Böses
im Schilde. Eure Tochter Maike traf mich auf dem Marktplatz.
Dabei kamen wir in ein kleines Gespräch und als Ergebnis dieser
Plauderei bin ich ihr gefolgt. Somit stehe ich nun vor euch, weil ich
eurer Tochter helfen möchte.« Mit sanfter einfühlsamer Stimme
versuchte Hieronymus Stern die Frau zu beruhigen, da sie ihm
erkennbar wenig Vertrauen entgegenbrachte.
»Mein Name ist Jeanny . Damit ihr es gleich wisst, Kapitän, ich
bin eine verstoßene Dschinn , vom Volk der Flaschengeister . Geächtet
und gejagt von üblen Wesen, muss ich mich hier mit meiner
kranken Tochter verbergen. Was wollt ihr von mir? Seid ihr im
Auftrag irgendwelcher Häscher unterwegs oder ist ein Kopfgeld
auf mich ausgesetzt? Manche Schurken machen sich ein Vergnügen
daraus, unsereins zu jagen, um uns dann an Sklavenhändler zu
verkaufen.«
Ungeachtet ihrer schwächlichen Verfassung richtete sich die
Frau voller Stolz auf wobei sie den Piratenkapitän herausfordernd
anblickte. Hieronymus Stern hatte ihren kläglichen Zustand wohl
bemerkt, doch nun horchte er auf. Eine leibhaftige Dschinn, das
war wirklich erstaunlich. Diese seltene Spezies, fleischgewordene
Brut von ehemaligen Flaschengeistern, konnte sich dereinst im
Einflussgebiet des Tempels Die Heiligen der letzten Tage niedergelassen.
Sie wurden still geduldet, doch nutzte man sie in der Regel für
niedrigste Arbeiten aus. Oft genug betrog man sie dabei um den
erbärmlichen Lohn, den sie hierfür erhalten sollten. Nirgendwo
waren sie richtig erwünscht und wo sie auch lebten, mussten sie ein
kümmerliches, geradezu kärgliches Dasein fristen.
»Verehrte Jeanny, ich bin selbst ein Geächteter. Piraten werden
gefürchtet, jedoch selten geachtet. Doch hier, in Alurien, respektiert
man mich, denn ich verfüge über nicht unerhebliche magische
Kräfte. Außerdem über ein Schiff mit einer teuflischen Mannschaft
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