Überraschend klopfte es an der Tür. Ich öffnete und blickte in ein wunderschönes, strahlendes, grünes Augenpaar.
"Das wurde für Sie abgegeben", und reichte mir einen kleinen grauen Briefumschlag, warf einen Blick an mir vorbei ins Zimmer, lächelte wissend und verabschiedete sich.
Sie lächelte! Und verabschiedet hat sie sich auch! Was war ich doch für ein Glückskind! Sehnsüchtig sah ich ihr nach und bemerkte ein plötzlich eintretendes lebhaftes Treiben in meiner Hose.
Ich schloss die Tür, setzte mich auf die Bettkante und riss den Briefumschlag auf. Er enthielt ein zusammengefaltetes Blatt in der Farbe des Umschlages mit einer Telefonnummer und Sorbetes Namenszug.
Kurz darauf verließ ich das Hotel. War die Spur bis dahin lauwarm, erhöhte sich die Temperatur nunmehr beträchtlich. Endlich, möchte ich hier einfügen.
Es regnete. Und natürlich war es kühl. In der Telefonzelle, auf der dem Hostal und dem grünen Inselchen gegenüberliegenden Seite, wenige Meter von meinem parkenden roten Wagen entfernt, wählte ich die Nummer vom Zettel. Mit dem ersten Klingelzeichen meldete sich eine Frau.
"Wolf", stellte ich mich vor.
"Fahr zurück! Sorbete wird sich wieder melden."
Das hältst du doch im Kopf nicht aus. "Was soll das? Ist etwas passiert?"
"Er und zwei andere sind aus Bayonne kommend an der Grenze festgenommen worden."
Schwachköpfe! Das französische Bayonne war ein ebenso beliebter wie bekannter ETA-Stützpunkt. Wollte diese hohle Nuss mich ruinieren?
"O, Gott! Aber weshalb?", zeigte ich mich bestürzt.
"Wir hoffen, es handelt sich um einen Irrtum und man lässt sie heute oder morgen wieder frei. Genaueres wissen wir derzeit auch nicht. Er wird sich bei dir melden. Hasta Luego!"
"Halt! Was heißt das?"
"Sieh ins Wörterbuch."
Tut, tut, tut, tut - "War mir ein Genuss, mit dir zu sprechen. Einen schönen Tag dann noch!" - tut, tut, tut, tut, tut.
Zu Tun gab es für mich in dieser Gegend nichts mehr. Kein Grund also, mich länger als notwendig einer arbeitsfeindlichen und überdies saukalten Umgebung auszusetzen. Ich blieb noch eine Nacht und verwischte am Morgen kurz nach zehn meine Spuren.
Ausgesprochen gut fühlte ich mich dabei nicht. Dass sich Seiler trotz wiederholter Aufforderung nicht meldete, nun ja, es glitt mir am Gesäß vorbei. Hauptsache er schiebt Kohle rüber - reichlich und pünktlich. Aber Pumuckl ... Allzu gern hätte ich ihr bewiesen, dass die Dornen einer wunderschön blühenden Rose meinem Stachel nichts anhaben konnten. Doch ging mein Job vor.
Wann immer sich die Gelegenheit bot, trat ich das Gaspedal bis zum Bodenblech. Also gut, ich war gefrustet. Aber nur ein ganz klein wenig.
Abgesehen von zwei Stunden, die ich in Madrid im Stau verplemperte, weil jeder Affe glaubte, ausgerechnet dann Feierabend machen zu müssen, wenn ich in Eile bin, und einem Halt vis-à-vis des Madrider Gefängnisses, wo ich in einer Imbissbude eiligst einen Hamburger verdrückte, fuhr ich ohne Unterbrechung bis Estepona.
Ich sah nur das Schwarz des Asphalts, unterbrochen von einigen Dutzend Fahrzeugen, die mich behinderten. Es war, als führe ich durch ein Meisterwerk des Tunnelbaus - vom Atlantik bis zum Mittelmeer nicht die kleinste trivialste Ablenkung des Kraftfahrers.
Als ich am Morgen in meinem Hotelbett erwachte und ansetzte, mich über die aufsteigende Übelkeit und den stechenden Schmerz im Unterleib zu befragen, spurtete ich auch schon zur Toilette. Bewundernd nahm ich zur Kenntnis, wie viel Energie mein revoltierender Körper nach sechzehn Stunden Fahrt und vier Stunden Schlaf aufbringen konnte. Doch die Bewunderung hielt nicht lange vor. Mehr als eine Stunde klebte ich am Porzellan, bevor ich mich ganz vorsichtig löste und wie ein tatteriger Greis zum Telefon tastete. Ich schilderte Ulli mein Nasszellenproblem und bat ihn, Tomas zu schicken. Schweiß bedeckte meinen Körper. Minütlich fühlte ich mich schwächer und miserabler.
Es war die Hölle - bestimmt aber der direkte Weg dahin. Hatten sie mich also doch erwischt. Ich sah den schwarzen Mann. Hämisch grinsend lauerte er vor der Tür. Lümmelte an der Zarge und sah mitleidlos zu mir herüber. Berief er mich ab? Diese Ungeduld aber auch. Lass es mich aussitzen, nur dieses eine Mal noch, bat ich ihn in Gedanken. Wer oder was auch immer darüber entschied, es gestand mir eine weitere Stunde zu. Und als diese ausgestanden war, rappelte ich mich auf und öffnete die Tür.
Ullis Ansatz einer lockeren Begrüßung geriet ins Stocken. Ich sah wohl ungewöhnlich deformiert aus. Seine Gesichtszüge spiegelten Entsetzen. Auch gut, so verkniff er sich wenigstens einen unpassenden Spruch. Andernfalls wäre es wirklich fies gewesen und ich hätte mir sehr genau überlegt, von ihm noch einmal ein Stückchen Kuchen anzunehmen. Denn auch ohne überflüssige erheiternde Momente fühlte ich mich erbärmlich genug. Hinter seinem breiten Rücken, ein beruhigendes Doktorlächeln auf den Lippen, peilte Tomas hervor. Hatten sie geklopft? Ich musste es überhört haben.
Tomas fasste mich bei der Schulter und schob mich mit sanftem Druck zum Bett.
"Lebensmittelvergiftung", diagnostizierte er etwas später in einer wohltuend unverschlüsselten Sprache und schüttelte verwundert den Kopf.
"Was hast du zuletzt gegessen?"
"Ham-bur-ger."
"Fleischvergiftung. Gut. Das kriegen wir schon wieder hin. In einer Woche ist alles überstanden." Sprach es und verschwand, um allerlei Wundermittel aus der Apotheke zu besorgen.
Drei lange, grauenvolle Tage stand ich unter Kloarrest. Kaum eine Stunde verging, ohne dass es mich nicht drängte, das kleine weiße Ding zu umarmen. Dann erst war ich so weit genesen, dass ich mein Hotelzimmer verlassen und in der Pasteleria nach dem Rechten sehen konnte. Es lag weder von Seiler noch von Sorbete eine Nachricht vor.
Und nach fünf weiteren Tagen war es nur noch eine Episode mit - für mich - zweifelhaftem Unterhaltungswert.
Tagelang tingelte ich zwischen meinem Büro und der Pasteleria hin und her. Beinahe zwei Wochen waren seit meinem letzten Anruf vergangen, als ich am Mittwoch die Konditorei betrat und mit meinem Erscheinen das Telefon aufschrillte. Ullis flippige Verkäuferin hob ab, lauschte und reichte mir aufgeregt den Hörer.
"Deutschland! Für dich!"
Kundschaft wartete auf sie.
"Na, wenn das keine Überraschung ist!"
Ich wusste nicht, wer sich am anderen Ende überraschte. Aber kommt ein Anruf nicht immer irgendwie überraschend?
"Wir konnten uns nicht früher melden." Bernhards monotone Stimme brach ab.
Ich nutzte die entstandene Pause und schilderte ihm mit wenigen Worten, was sich im Baskenland ereignete. Oder genauer: was sich nicht ereignete.
"Es tut mir leid, mehr war einfach nicht drin."
"Du musst dich nicht entschuldigen. So was kann immer mal wieder passieren. Ich werde prüfen lassen, was an der Grenze vorgefallen ist. Seiler wird dich in den nächsten Tagen anrufen und alles Weitere mit dir besprechen. Kopf hoch! Bleib am Ball!"
Bei Bernhards sportlichem Abschiedsgruß wurde mir gewahr, wie weit sich meine Augen im Abseits befanden. Unwillig nahm ich sie vom Hintern des süßen neunzehnjährigen Mädchens, das sich eben über die Kühltheke beugte, um eine Kundin auf frischen Käsekuchen hinzuweisen. Der hauchdünne Stoff ihrer schwarz-weiß-gestreiften Hose spannte sich. Hindurch blinzelte ein verspielter weißer Tanga. Gehört sich so was? Aber selbstverständlich! Wahnsinnig würde ich werden, wenn dem nicht so wäre. Sie sah zu mir herüber und lächelte, als bedanke sie sich für meine Aufmerksamkeit. Beherrscht wandte ich mich ab und ging die drei Schritte durch die Pendeltür in die Backstube.
Ulli faltete Blätterteig für Schweinsohren und ich erzählte der Situation angepasste, Muskulatur entspannende Witze.
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