Cool, wie Wölfe nun einmal sind, bat ich, wieder im Parterre, die blasse Schönheit das hoteleigene Telefon benutzen zu dürfen. Sie nickte kühl und distanziert und deutete mit dem Kopf auf den himbeerfarbenen Apparat zu ihrer Rechten. Für einen Moment glitten ihre Augen über mich hinweg. Nur ein winziger Moment - und ich war hingerissen. Ich benetzte die Lippen und schluckte schwer. Noch einmal hob sie die Augen, senkte sie jedoch sogleich wieder. Doch konnte ich es sehen: Glühende Sehnsucht, ruhelos lodernde Leidenschaft - die pralle Lebensfreude. Sie hatte wunderschöne große, strahlende, grüne Augen, in denen sich alle Annehmlichkeiten eines sorgenfreien Lebens vereinten. Sah ich jemals zuvor eine vergleichbare Anhäufung unaufdringlicher, natürlicher Anmut? Nein, niemals. Sie hätte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt.
Mein Puls beruhigte sich nur langsam. Ich wählte Seilers Nummer und folgte der Ansage eines Anrufbeantworters. Eine Frauenstimme wies in deutscher und englischer Sprache auf die Nummer des Anschlusses hin. Nach dem Piepton vertraute ich der Maschine meine gegenwärtige Telefonnummer an und bat um Rückruf bis zwanzig Uhr. Als ich den Hörer aufgelegt hatte und mich meiner grünäugigen Schönen zuwenden wollte, war sie verschwunden. Benommen schaute ich um mich und entdeckte sie hinter der kleinen Bar im angrenzenden Speiseraum. Eilends, so als könne mir jemand einen der drei Barhocker streitig machen - es war niemand da, aber das störte mich nicht -, hastete ich nach nebenan und rutschte lässig auf den mittleren.
Meine Lederjeans quietschte über den roten Lederbezug. Sie sah auf. Ihre Augen! Jesus, was für eine Frau! Geschickt meine Gefühle verbergend, sah ich in ihr zartes, fein geschnittenes Gesicht mit der kleinen geraden Nase und den schmalen Lippen und fühlte mich plötzlich sehr klein und federleicht.
Aus irgendeinem Grund verlangte es mich nach Waldmeisterlimonade, obwohl ich dieses moosgrüne Gesöff, das mich an etwas erinnerte, das im Hals steckt und nur mit Mühe herausspringt, verabscheute. Allein in meinem bescheidenen spanischen Wortschatz fand sich keine Bezeichnung für Waldmeister. Also versuchte ich es mit grünem Wald und Förster. Sie verzog keine Miene. Weshalb lächelte sie nicht? Litt sie an einer seltenen Gesichtslähmung oder Glatze im Mund? Offengestanden, allmählich regte mich die Frostmaus auf. Trampelte mir ungeniert auf dem Sack herum. Natürlich verhedderte ich mich auch noch und stotterte wie ein verlegener Schuljunge um die dämliche Waldmeisterlimonade herum. Nach dem vierten Versuch gab ich entnervt auf und bestellte einen roten Martini on the Rocks.
Irritiert spielte ich mit meinem Glas. Ich weiß nicht, was mich in ihrer Nähe hielt. Vielleicht die Suche nach dem Knopf im Ohr, vielleicht die Erwartung, sie trete nahe genug an mich heran, um einen Hauch, eine winzige Spur ihres Geruchs zu erhaschen oder die Hoffnung, sie möge ein paar Gläser zerschlagen damit ich gehässig und weithin hörbar lachen könne.
Um sie erneut anzusprechen, sträubte sich etwas in mir. Ich vermochte es nicht, meine pubertäre Hemmschwelle zu überwinden.
Ergo verlegte ich mich auf das höchst unbefriedigende zählen der Gläser und Flaschen im verspiegelten Regal mir gegenüber an der Wand hinter der Bar. War ich durch, begann ich von Neuem. Dazwischen bestellte ich weitere Martinis - und versumpfte.
Irgendwann füllte sich der Saal. In den Zwischenräumen der siebenundzwanzig angebrochenen Flaschen und fünfundsechzig umgestülpten Gläsern spiegelte sich, was zwölf Hunger leidende Gäste hinter meinem Rücken veranstalteten.
Da gab es jene, die bei der Nahrungsaufnahme nicht nur den Mund öffneten, sondern das gesamte Gesicht zu einer abstoßenden Grimasse entstellten. Oder jene, die gleichgültig vor sich hin schmatzten und so jedem an ihrem Tun teilhaben ließen, und auch jene, die mit dem Besteck hantierten als benutzten sie es zum ersten Mal, und dass auch nur, weil ihre Forke nicht zugelassen wurde. Und doch verband sie eine Gemeinsamkeit: ihre verstohlenen Blicke, die sie mir immer wieder zuwarfen. Wollte mich dieser fressende Mob ärgern, gar provozieren?
Ich stieg auf Jack Daniels um und hoffte ... Ja, auf was hoffte ich eigentlich? Schönes Wetter? Ein Zeichen von ihr? Vielleicht ein Lächeln? Oder auf Seilers Anruf, um beizeiten ins Bett gehen und ausschlafen zu können?
Seiler rief nicht an. Und als kurz nach 23 Uhr ein völlig unerotischer Opa meine Schönheit ablöste, stapfte ich ärgerlich zur Rezeption und hinterließ auf Seilers Telefonbutler, dass ich seinen Anruf am folgenden Morgen bis spätesten 10 Uhr erwarte. Um diese Zeit müsse ich nämlich mein Zimmer räumen.
"Waaaas?", knurrte ich schläfrig, als das Klopfen an der Tür kein Ende nahm.
"Sie wünschten, sechs Uhr geweckt zu werden."
Pumuckl?! Schlagartig war ich hellwach. Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett, presste ein aufgeregtes "Muchas gracias!" in Richtung Tür, fand meine Hose auf der anderen Seite des Bettes unterm Fenster, klaubte sie vom Boden auf, schlüpfte geschwind hinein und hoppelte zur Tür.
Ich riss das Brett auf und Enttäuschung legte sich über das hoffnungsvollste Lächeln, das ich besaß. Der Flur war leer. Kein Pumuckl, keine Staubflöckchen, noch nicht mal ein verdammter Sonnenstrahl. Die Hose mit beiden Händen vor dem Bauch am Bund festhaltend, stand ich auf dem Korridor und fragte mich, ob mir der Restalkohol einen geschmacklosen Streich spiele. Ich sah auf die Uhr an meinem rechten Handgelenk: Es war acht nach sechs. Aller Wahrscheinlichkeit nach war ich in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit, als ich am Vortag bei meiner Anmeldung der aufgedonnerten Person den Weckauftrag gab. Zähneknirschend trat ich den Rückzug an.
Wenn ich etwas wirklich abgrundtief hasse, dann sind das schöne Frauen, die mich mitten in der Nacht aus dem Bett scheuchen, sich verkrümeln und mich halb nackt, frierend und verkatert schutzlos einem muffigen Hotelflur ausliefern.
Meine Stimmung sackte auf den seelischen Tiefpunkt. Dort blieb sie auch während des erbärmlichen Frühstücks an einem der aufdringlich dekorierten Tische im Speiseraum. Und dabei hatte ich zur Aufhellung meines Tiefs einen Fensterplatz gewählt und die kitschigen Plastikblumen auf den Nachbartisch geworfen.
Ich schüttelte mir die Weißbrotkrümel aus dem Bart, ging zum Empfang und bat Pumuckels Mama, ihr hübsches Telefon benutzen zu dürfen. Sie grinste maskenhaft und nickte bejahend, wobei sich zwar ihr Kopf, nicht aber das Gewusel auf ihm bewegte. Es kostete mich einige Anstrengung, einen kräftigen Brüller zu unterdrücken.
"Ja?", fragte eine männliche Stimme gedehnt.
Hatte wohl Angst, ihm könne jemand ins Ohr spucken.
"Gib mir Sorbete!"
"Warum?"
Das geht dich einen Dreck an. "Wolf hier. Sorbete erwartet meinen Anruf."
"Ah ja! Wo kann er dich erreichen?"
"Hostal Alameda in Zarautz. Aber nur noch heute." Na, dann muss ich eben noch etwas bleiben. Warum auch die Eile?
"Er wird sich bei dir melden."
Klack! Für einige Augenblicke hielt ich den klobigen, tutenden Hörer ans rechte Ohr gepresst, bis es schmerzte und er mir unsanft aus der Hand zurück auf die Gabel glitt. Mama fuhr zusammen, unterbrach die Lektüre eines Groschenromans und sah besorgt zu mir auf. Ich lächelte hilflos, mietete mein Zimmer eine weitere Nacht und ging hinauf.
War es aus der Mode gekommen, ein Gesprächsende mit einem Gruß zu signalisieren?
Dabei schien doch alles in bester Ordnung zu sein. Sorbete freute sich, als ich ihm ankündigte, nach Zumaia zu kommen. Seiler sicherte mir seine uneingeschränkte Unterstützung zu. Und meine grünäugige Schönheit ... Pingpong spielende Hormone ... wird schon werden.
Am Abend unternahm ich einen weiteren Versuch, mich mit Seiler über mein weiteres Vorgehen abzustimmen. Im Dialog mit seiner Maschine leierten wir unsere Sprüche herunter. Dann ging ich auf mein Zimmer und legte mich zu meinem extrascharfen Männermagazin aufs Bett. Orientierungslos blätterte ich darin, las hier drei, dort sieben Zeilen und betrachtete eingehend die aufgeklappte Doppelseite in der Heftmitte.
Читать дальше