Der 72-Jährige kann von sich sagen, dass er jeden Stein der Weidener Josefskirche in- und auswendig kennt: 40 Jahre lang, von 1961 bis 2001, war er hauptamtlicher Kirchendiener im größten Gotteshaus der Stadt, dessen 64 Meter hohe Türme zu einem ihrer Wahrzeigen geworden sind. „Vier Chefs“ hat er in diesen vier Jahrzehnten erlebt, zwei seiner Stadtpfarrer legte er bei deren Totenfeier auf der Bahre die liturgischen Gewänder an.
Stundenlang könnte Wilzek Anekdoten und Geschichten aus seiner Kirche erzählen. In seinen Augen schimmert es noch heute, wenn er von dem Vater erzählt, der am Abend eines Dreikönigstags in die Kirche stürmte, als der von der Arbeit erschöpfte Meßner das Haus gerade zusperren wollte. „Die Ärzte im Krankenhaus hatten sein Kind aufgegeben. Ich beruhigte ihn und wir beteten gemeinsam, dass die Geschichte doch noch gut ausgehen möge. Er hat gebeten, eine Kerze über Nacht brennen zu lassen. Ich habe eine Ausnahme gemacht und sie brennen lassen“. Der Mann kam am nächsten Tag zurück, wieder atemlos, aber diesmal vor Glück. „Es hat gehustet!“ rief er – sein Kind hatte überlebt.
Das ungeliebte Simultaneum
Seit 1656 mussten sich die Weidener Katholiken die einzige Pfarrkirche St. Michael mit den evangelischen Brüdern und Schwestern teilen. Ende des 19. Jahrhunderts war dieses Simultaneum aus zwei Gründen am Ende: Das Verhältnis zur anderen Konfession war alles andere als geschwisterlich, und die Industrialisierung brachte viele Neubürger in die Stadt. Die katholische Pfarrgemeinde beschloss, sich am Rande der heutigen Altstadt ein neues Gotteshaus zu bauen.
Ein Wahrzeichen der Stadt Foto: Gabi Schönberger
Und was für eines: Architekt Johann Baptist Schott aus München erhielt den Auftrag, eine neuromanische Kirche für 1300 Besucher mit zwei mächtigen Glockentürmen zu planen. Pfarrer Max Söllner wählte sich als Kirchenpatron einen „starken Partner“ aus, der „ihn nie im Stich ließ“: den heiligen Joseph. Tatsächlich kam bei dem monumentalen Werk kein Handwerker zu Schaden, und die Kirche ist 112 Jahre nach der Einweihung bestens in Schuss. Die hohen Baukosten – allein der Rohbau verschlang 750.000 Mark – konnten den Enthusiasmus des Weidener Kirchenvolks nicht bremsen. Die Konsekration der Pfarrkirche am 29. September 1901 mit Bischof Ignatius von Senestrey wurde zum Festtag.
Einen ernüchternden Eindruck machte hingegen die Inneneinrichtung: Mit dem kargen romanischen Stil wurden die Weidener nicht warm. Auch der Münchener Künstler Franz Hofstötter war mit seinen Malereien an Wänden, Gewölben und Apsis nicht zufrieden. Und so begann die Wandlung der neuromanischen Kirche in ein Juwel des Jugendstils. Begeistert nahmen die Weidener das Angebot Hofstötters an, die Kirche völlig neu auszumalen.
Die Begeisterung ist nachvollziehbar, ist man erst durch den gläsernen Windfang, eine Bausünde von 1964, ins Kircheninnere getreten. Abgeschirmt vom draußen tosenden Verkehr empfängt den Besucher eine magische Atmosphäre, die durch den Dialog der beiden Stilrichtungen, beleuchtet von dezentem Tageslicht, fasziniert. Ernst und höchst lebendig sind die Gesichter der Menschen auf den Bildern, auch diejenigen, die sich Hofstötter von Gott und dem Gottessohn gemacht hat. Gleichzeitig erstrahlen die aufwendig restaurierten Farben, vor allem in Gold und Blau. Charakteristisch für den Jugendstil sind auch die vielen Tiere. Erst vor einigen Jahren hat Werner Wilzek eine kleine Schildkröte entdeckt, die der Künstler von der riesigen Goliath-Figur im Hauptschiff zermalmen lässt.
Der Künstler im Adamskostüm
Auch damals lebende Personen dienten als Motiv, von Mitgliedern der Kirchenverwaltung bis zum Künstler selbst. Dieser hat sich als Adam zusammen mit einer Eva in einem Seitenaltar verewigt – nackt, aber züchtig von Efeu umrankt, was einige eifernde Bilderstürmer im Kirchenvolk später nicht daran hinderte, das „unzüchtige„ Bild entfernen zu lassen. Heute hängt es wieder dort, wo es hingehört.
Jugendstil-Malerei über dem Altar Foto: Gabi Schönberger
Voll ist die Josefskirche wie fast in allen katholischen Kirchen nur mehr an Weihnachten und Ostern oder bei Beerdigungen wie zuletzt der von Altoberbürgermeister Hans Schröpf. Immer wieder aber sitzen Menschen auf der Suche nach Beistand oder Spiritualität in den Holzbänken und genießen die dämmerige Stimmung im 18 Meter hohen, domartigen Kirchenschiff.
David kämpft gegen Goliath. Foto: Gabi Schönberger
Netzaberg: Zuhause in der Fremde
Es war das größte Bauprojekt in Bayern, wenn nicht in Deutschland: Die Netzaberg Housing Area mit 830 Wohneinheiten für US-Soldaten bei Grafenwöhr.
Die US-Siedlung auf dem Netzaberg mit dem 2008 noch nicht völlig fertiggestelltem Village Center (Mitte rechts). Luftbild: Fritz Winter
Von Fritz Winter, MZ
NETZABERG. Die Familie Wiggins fühlt sich in der Oberpfalz zu Hause. Mutter Diane fährt gerne in die nahe Metzgerei und kauft Schweinernes, Aufschnitt und Leberkäse, Vater Anthony ist zu einem bekennenden Fußball-Fan geworden, Sohn Anthony jun. (12) geht mit seiner Schwester Aerin (10) auf die Netzaberg-Mittelschule, nur Tochter Ashton (18) besucht das College in Savannah im US-Bundesstaat Georgia, ist aber oft zu Besuch daheim.
Die Familie kann sicher leben
Anthony Wiggins ist Oberstleutnant und Bataillonskommandeur bei der 172. Infanteriebrigade der US-Streitkräfte in Grafenwöhr – und zusammen mit seiner Familie lebt er auf dem Netzaberg, der jüngsten Stadt Bayerns. Offiziell ist der Netzaberg ein Ortsteil der nahen Stadt Eschenbach – hier entstanden im Rahmen des US-Projektes „Efficient Basing“ zwischen 2006 und 2008 mit einem Kostenaufwand von rund 700 Millionen US-Dollar 830 Doppel- und Dreifachhäuser für US-Angehörige und ihre Familien.
Die Familie kam im Mai 2011 aus Seoul in Korea in die Oberpfalz. „Ich wollte schon immer gerne nach Europa, nach Deutschland versetzt werden“, sagt Wiggins. Und seine Frau, eine gebürtige Koreanerin, war bass erstaunt: „Es war alles so schön grün hier – fast wie in einem Gemälde“, sagt sie. Die Häuser am Netzaberg sind perfekt auf US-Gewohnheiten zugeschnitten: Elternschlafzimmer mit angeschlossener Dusche, Bad, Kinderzimmer, Wohn-Esszimmer, Küche, Hausmeisterservice, 110-Volt-Strom.
Während die Wohnhäuser uneingeschränkt erreichbar sind, ist das benachbarte Netzaberg Village Center der US-Armee mit Kinderbetreuungs- und Jugendzentrum, Grund- und Mittelschule eingezäunt und bewacht. „Mir war wichtig, dass die Familie in einem sicheren Umfeld in der Nähe der militärischen Einrichtung lebt, für den Fall, dass ich in einen Auslandseinsatz muss“, sagt Oberstleutnant Wiggins. Schon in Korea sei ihm empfohlen worden, sich um ein Haus am Netzaberg zu bewerben. Derzeit läuft für das Village Center auch die Ausschreibung für die Kirche und ein Gemeindehaus. Über eine nichtöffentliche Straße ist die Siedlung direkt mit dem nahen Lager Grafenwöhr verbunden.
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