Frans Diether
Indianerkinder
oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)
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Inhaltsverzeichnis
Titel Frans Diether Indianerkinder oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version) Dieses eBook wurde erstellt bei
Vorwort
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
Nachwort
Impressum
Vorwort
Es regnete. Regen in der Wüste? Staub und Wasser verbanden sich auf dem Straßenasphalt zu einer Art Schmierseife. So hatte ich mir meinen Ausflug zum Canyon de Chelly nicht vorgestellt. Ich wollte doch nur den neuen Van einfahren. Er sollte mir für den Rest meines USA-Aufenthalts zum treuen Begleiter werden und nicht schon in der ersten Woche unseres Zusammenseins als Schrott im Straßengraben enden. Entsprechend langsam zog ich meine Bahn. Zum Glück musste ich erst zwei Tage später wieder in Las Vegas sein. Regen in der Wüste, wer hätte das gedacht.
Das langsame Fahren lud zum Träumen ein. Weit weg waren der Alltagsstress, die vielen großen und kleinen Probleme auf der Baustelle, die Differenzen zwischen deutscher Ingenieurskunst und amerikanischer Arbeitsauffassung. Hier war Indianerland. Hier roch es nach Freiheit und Abenteuer. Ein lauter Knall holte mich unsanft in die Realität zurück. Ein weißer Pick Up schoss an mir vorbei, drehte sich und raste gegen die Straßenböschung. Bremsen brachte nichts. Ich wich nach links aus. Unendlich langsam kam ich zum Stehen, schaltete die Warnblinkanlage an, stieg aus meinem Wagen. Er war hinten rechts getroffen, aber sicher noch fahrbereit. Vorsorglich griff ich nach dem Pfefferspray in meiner Hosentasche. Man weiß ja nie. Der andere Wagen hatte ordentlich was abbekommen. Er stand schräg auf der Böschung. Der massive Kühler eingedrückt, das rechte Vorderrat nach außen zeigend, schien er nur noch Schrottwert zu besitzen. Der Fahrer lag auf dem Lenkrad. Lange schwarze Haare, verklebt von Blut, verdeckten sein Gesicht. Ich dachte nicht an das Risiko, dachte nicht an die Geschichten von Überfällen auf Touristen. Hier brauchte ein Mensch Hilfe. Die Fahrertür ließ sich mit etwas Mühe öffnen. Er lebte. Ein Indianer. Er? Indianer? Nein, sie und natürlich eine Native American.
„Brauchen sie Hilfe?“ Meine Frage war nur Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit.
Sie hob abwehrend die Hand und lallte unverständlich. Ein Arzt musste her und die Polizei. Ich griff nach dem Handy. Da spürte ich sanften Druck auf meiner Schulter. Ich erschrak bis ins Mark. Doch eine tiefe melodische Stimme sagte nur: „Alles in Ordnung. Keine Polizei.“
Ich hatte das Kommen des Mannes nicht bemerkt.
„Mein Name ist John. Ich kenne die Frau. Ich bringe sie zu ihrer Familie.“
Unschwer erkannte ich John als Navajo. War ja auch kein Wunder. Wir waren in der Navajo-Nation.
„Und was wird aus meinem Wagen?“
„Wir kümmern uns“, war Johns kurze Antwort. Dann ließ er mich stehen und redete intensiv auf meine Unfallgegnerin ein.
Inzwischen kam ein Abschleppwagen. Er nahm den Pick Up an den Haken, während John die Lady, wie ich die Unfallverursacherin in Gedanken nannte, zu seinem Fahrzeug führte. „Fahr mir nach“, rief er dabei.
Ich, offensichtlich von allen guten Geistern verlassen, setzte mich hinters Steuer meines Van und startete den Motor. Aber welche Wahl hatte ich denn? Ich wollte nicht auf den Reparaturkosten sitzen bleiben. Oder sollte ich doch besser abhauen und die Polizei verständigen? Aber wusste ich, ob mich die Natives fahren ließen? Und in welcher Position war ich? Meine Aussage stand gegen ihre. Die Spuren hatten sie vorsorglich beseitigt. So folgte ich John. Mir blieb ja noch ein ganzer Tag. Ich hoffte, dass es mit der Reparatur schnell ginge.
Es ging nicht schnell. Ich meldete mich auf der Baustelle für eine Woche ab. Sie würden schon ohne mich klar kommen und kommenden Samstag sollte mein Wagen fertig sein, hatte der Mechaniker hoch und heilig versprochen. Ich wohnte bei John. Die Lady, meine Unfallgegnerin, hieß Anabelle. Sie hatte, von ein paar Hautabschürfungen abgesehen, keinen körperlichen Schaden davongetragen. Und sie war schön, wunderschön. Ich konnte es ihr nicht abschlagen Versöhnung zu feiern. Wir saßen am Feuer, redeten über Belangloses. Tief in der Nacht saßen wir allein. Da holte sie ihn hervor, den Geist aus der Flasche. Alkohol war in der Navajo Nation verboten. Sie hatte dennoch welchen. Und sie war so schön. Ich wollte, ich konnte ihr Angebot nicht ablehnen. Ich weiß nicht, wann die Flasche geleert war. Ich weiß nicht, wie ich in ihr Haus kam. Ich weiß nicht, wie ich in ihr Bett kam. Ich weiß nur, dass es John war, der uns am nächsten Vormittag weckte und dass ich wahrlich annahm, er würde mich auf der Stelle umbringen.
„Ihr Weißen habt so viel Leid über uns gebracht, über unser Volk, über unsere Familie.“ John konnte sich kaum beherrschen. Er nahm mein Handy und zertrat es auf dem Boden. "Meine Schwester ist eine Hure", rief er dabei. Dann rannte er aus dem Haus.
„Er meint es nicht so.“ Anabelle wickelte die dünne Decke um ihren schlanken Körper und setzte sich auf einen Stuhl. „Du kannst dich jetzt waschen. Du bist nicht schuld. Ich bin nicht schuld. Schuld ist der verdammte Alkohol. Und wenn du willst, erzähle ich dir später eine Geschichte, die Geschichte meiner Familie, in der Weiße eine Rolle spielen. Dann verstehst du.
Und Anabelle erzählte, tagelang, nächtelang. Der Van war längst repariert. Ich blieb dennoch, sehr zum Leidwesen von John und der anderen Navajo. Aber Anabelles Wort hatte Gewicht. Und sie verfügte über ein bedeutsames Argument. „Was passiert, wenn er doch zur Polizei geht?“
Das wollte keiner. So durfte ich bleiben. Die Navajo opferten meinetwegen einen Teil Ihrer Tradition, welche forderte, Fremde lange zu prüfen, bevor man sie bei sich aufnahm. Und ich? Ich opferte Anabelles wegen mein bisheriges Leben, tauschte es gegen beengtes Wohnen ohne Telefon, ohne Fernseher, ohne warmes Wasser und ohne meinen Van. John ließ ihn über eine Klippe stürzen, weit entfernt von hier. Man würde nicht lange nach mir suchen. Und ich wurde Schriftsteller. Anabelle erzählte und ich schrieb alles auf. Daraus entstand dieses Buch. Es beschreibt die Geschichte aus Anabelles Sicht und in Anabelles Sprache. Es achtet nicht auf historische Korrektheit. Es achtet nicht auf die komplexen religiösen Vorstellungen der Navajo oder besser Diné, denn so ist ihr wahrer Name. Es achtet nicht auf exakte geographische Angaben oder politische Korrektheit. Anabelle erzählte ihre ganz eigene Geschichte, ihren ganz eigenen Traum, von Freiheit, von Liebe, von Freude und Leid und genau davon handelt dieses Buch, nicht von mehr aber auch nicht von weniger.
1. Kapitel
"Nun du uns retten."
Francis schreckte hoch. Die letzten Stunden waren durch traumhafte Erinnerung und einen Zustand der Apathie geprägt. Doch jetzt konnte er seine Hände frei bewegen. Die langsam einsetzende Geistestätigkeit gebot ihm jedoch sie auf dem Rücken zu halten. Er musste ja nicht die Aufmerksamkeit der anderen erregen. Gleichmäßig schritt sein Pferd voran. Hinter ihm saßen zwei Indianerkinder, Junge und Mädchen, vermutlich Geschwister, jedenfalls Gefangene wie er. Eines der Kids hatte es offenbar geschafft mit seinem Mund die Knoten zu öffnen, welche den Strick um Francis Handgelenke fixierten.
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