Was war passiert? Francis Bande, weithin bekannt und gefürchtet als die Arrow Boys, hatte gerade eine Kleinstadt am Rande der Rockys besucht, wie sie ihre Überfälle beschönigend nannten und die örtliche Bankgesellschaft um Ihr Vermögen erleichtert. So schnell wie ein Pfeil waren sie gekommen und wieder verschwunden. Im Schutze der Nacht ging es zurück in Richtung ihres Lagers. Sancho und Francis bildeten die Vorhut. Es wurde schon Morgen, als beide auf das Lager einer Indianerfamilie trafen, die sich offensichtlich gerade zum Aufbruch rüstete. Als sie die Weißen sahen, packte die Frau ihre Sachen zu hastig. Ein Goldreif fiel aus ihrer Tasche. Was dann geschah, dauerte nur Sekunden. Die Augen gefüllt von Gier zog Sancho den Revolver und traf die beiden Erwachsenen direkt in den Kopf. Die etwas abseits stehenden Kinder erstarrten wie versteinert. Ihre dunkeln Augen waren weit aufgerissen und fixierten den Mörder mit ungläubigem Entsetzen. Das kannst du doch nicht tun schienen sie zu schreien. Aber es blieb entsetzlich stumm. Schon wollte Sancho auch diese beiden unnützen Rothäute wie er abschätzig zu sagen pflegte, von ihren irdischen Plagen erlösen, als Francis in einem Anflug von Gerechtigkeitssinn und ohne die Folgen nur im Ansatz zu bedenken gezielt vor das Pferd seines Begleiters schoss. Das Tier scheute und Sancho fiel in den Sand.
Von den Schüssen alarmiert, kam der Rest der Truppe im scharfen Galopp angerast.
"Wer hat denn diese Schweinerei angerichtet?", brüllte der Boss. Keiner benutzte den wahren Namen des Anführers. Soweit Francis sich erinnern konnte, wurde er stets nur der Boss genannt. Grimmig blickend, doch die Situation nicht wirklich durchschauend, fuhr er Sancho mit unverhohlenem Ärger an: "Was wälzt du dich da im Dreck?"
Sanchos Hand zitterte, als er auf Francis zeigend mit sich überschlagender Stimme schrie: "Da, das Schwein ist schuld. Alles ging gut, die beiden Alten kosteten mich nur zwei Kugeln. Dann ist der plötzlich ausgerastet, bevor ich die Kinder ihren Eltern nachschicken konnte."
"Damit rettete er dein Leben. Siehst du nicht das Zeichen von Häuptling Lauter Donner auf dem Tipi? Du hast offenbar gerade seine Verwandtschaft dezimiert. Dies dürfte eine schreckliche Rache auslösen. Zum Glück haben wir noch die Kinder. Sie werden uns als Geiseln dienen und am Ende vielleicht ein hübsches Lösegeld einbringen. Und nun zu dir", abschätzig schaute er an Francis herunter. "Du hast offenbar unsere Gesetze immer noch nicht verstanden. Selbstjustiz innerhalb der Gruppe ist strengstens verboten. Nur der Boss entscheidet über Strafe oder Gnade, egal was passiert. Dich betreffend wird es auf Strafe hinauslaufen. Und sei sicher, diese Lektion vergisst du nicht, solange dein elendes Leben auch dauern möge. Waffen abnehmen und fesseln."
Der kurze Befehl führte zu unmittelbarer Aktivität in der Truppe. Mit vorgehaltenem Gewehr zwangen sie Francis den Revolver fallen zu lassen und vom Pferd zu steigen. Unter Anwendung roher Gewalt drehten ihm zwei der ehemaligen Gefährten die Arme auf den Rücken und banden sie dort mit einem festen Strick zusammen.
"Fesselt auch die Kinder und dann räumt hier auf. Vergesst nicht das Gold einzusammeln. Diese verdammten Indianer verstecken es oft am Körper. Ihr müsst sie ausziehen, dann vergrabt alles Unnütze. Du bist mir für die Gefangenen verantwortlich." Mit diesen Worten wandte sich der Boss erneut an Sancho, der immer noch um Fassung ringend wieder auf den Beinen stand.
"Mit Vergnügen, auch wenn ich sie am liebsten sofort in die ewigen Jagdgründe schicken würde."
"Untersteh dich, du bürgst mit deinem Leben für Ihre Unversehrtheit."
Die beiden Kinder hockten nebeneinander, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihr ganzer Ausdruck zeigte nur Schrecken und ungläubiges Erstaunen. Sancho wies einen Begleiter an Francis die Stiefel auszuziehen. "Das ist gut gegen Weglaufen", rief er ihm hinterher.
Francis spürte den noch kühlen Wüstensand unter seinen Füßen während ihn Sanchos Revolver in Richtung der Kinder dirigierte. "Setz dich", rief sein Bewacher kurz.
In Ermangelung einer realen Alternative folgte er der Anweisung.
Nach nicht einmal einer halben Stunde waren Körper und Ausrüstung der toten Indianer vergraben. Ihre Mörder fanden eine erstaunliche Menge an Goldschmuck bei ihnen. Der in Ungnade gefallene Arrow Boy und die beiden Kinder mussten sich erheben und nacheinander auf Francis Pferd steigen, Francis vorn, dann der Junge und schließlich dessen kleine Schwester. Drei Paar Füße wurden unter dem Bauch des Tieres zusammengebunden. Sancho packte die Zügel, und in schnellem Schritt zogen alle ab. Anfangs gelang es Francis noch, sich gut mit den Beinen festzuklammern. Auch der unmittelbar hinter ihm sitzende Indianerjunge hielt sich aufrecht. Das Mädchen lehnte am Rücken ihres Bruders und schluchzte leise.
Sie ritten bis zum Mittag. Die Sonne brannte schon stark, als eine Felsengruppe auftauchte, in deren Schatten einige dürre Sträucher wuchsen. Francis vermutete, dass sie hier rasten würden, da sie bald einen Kontrollposten passieren mussten und dies bei Nacht sicherer war. Tatsächlich ließ der Boss absitzen. Sancho dirigierte die Gefangenen zu einem Einschnitt im Felsen. "Legt euch auf den Bauch", sagte er in strengem Ton.
Da Francis Widerstand zu diesem Zeitpunkt für ineffektiv hielt, folgte er der Aufforderung und die Kinder wiederum seinem Beispiel. Ihre Knöchel wurden erneut zusammengebunden, dann aber die Stricke an den Händen gelöst.
"Ihr bleibt liegen. Und fasst die Fußfesseln nicht an, sonst setzt’s was."
Nur langsam fand das Blut zurück in ihre geschwollenen Finger. Sancho gab die Wache an Rick ab. Rick, der vorigen Sommer einen Postraub fast vermasselte, indem er auf eine zufällig vorbeikommende Armeestreife schoss und von vier Soldaten nur einen traf, worauf sich ein viertelstündliches Feuergefecht entwickelte, ehe endlich die Flucht gelang. Dies widersprach völlig ihrer Strategie, die darin bestand blitzartig zuzuschlagen und dann wie der Pfeil zu verschwinden, was ihnen den bereits legendären Namen Arrow Boys eingebracht hatte. Rick ritt damals ebenso wie Francis jetzt als Gefangener in das Lager zurück. Als Strafe erhielt er am nächsten Tag 50 Schläge mit der siebenschwänzigen Katze. Seither war er der Letzte in der Gruppe und musste die gefährlichsten Aufträge ausführen. So konnte es nicht verwundern, dass Rick breit grinste, als er die Wache übernahm. Vermutlich würde Francis ihn in seinem Schicksal ablösen. Andererseits wusste Francis aus dem Erlebten, dass er die ganze Situation wohl überstehen könnte und das Leben der beiden Kinder bei Kooperation ihrer Verwandten gerettet war. Vor Erschöpfung schlief er ein und wurde erst durch unsanfte Fußtritte geweckt. Seine kleinen Freunde, wie er sie innerlich bereits nannte, standen schon. Der Junge blickte mit offener Verachtung in die Runde. Das Mädchen war immer noch starr vor Schreck. Große Angst sprach aus ihren Augen. Wie gehabt, wurden ihnen die Arme auf den Rücken gebunden, die Fußfesseln nur für den Weg zum und auf das Pferd gelöst und dann unter dem Bauch des Tieres wieder verschnürt.
Bevor sie abzogen, richtete der Boss nochmals das Wort an die bereits aufgesessenen Männer. "Ihr wisst, dass wir einen sehr erfolgreichen Ausflug hatten und der Erlös durch einen kleinen Zwischenfall noch erhöht wurde, auch wenn wir uns dafür mit drei Gefangenen belasten müssen. Noch eine Nacht dann sind wir in Sicherheit. Vergesst aber nicht, dass wir den Posten von Bullet Nose in weniger als 5 Meilen Entfernung passieren. In eurem eigenen Interesse seid absolut ruhig. Das gilt auch für dich Francis. Auch wenn es anders aussehen mag, du bist einer von uns, und dem Sheriff wäre es ein Vergnügen dich in Ketten nach Stone County zu schicken."
"Duuu uuuns retten." Der Indianerjunge sprach leise, aber er schlug seinen Kopf gegen Francis Rücken.
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