Vielleicht stimmte der erfolgreiche Raubzug den Boss milde. Vielleicht war ihm auch nur die Kugel zu schade, oder er hatte Angst, das klapprige Gestell zu verfehlen und sich dem Spott seiner Männer auszusetzen. Jedenfalls legte er den Mann nicht um und befahl Francis die Hütte zu untersuchen. Nevada Johns, so hieß der Einsiedler, bei dem das offensichtliche Risiko bestand sich mit Krätze anzustecken, zeigte Francis die Hütte und flüsterte: "Sag ihnen nichts. Ich habe Gold gefunden. Wenn du mich beschützt, gebe ich dir die Hälfte ab."
Francis glaubte ihm kein Wort, sah es aber als unwürdig an, einem offensichtlich verwirrten Menschen Leid widerfahren zu lassen. "Hier ist nichts Brauchbares", rief er nach draußen.
Nevada Johns machte eine kurze Geste der Dankbarkeit. Dass er Francis dabei berührte, war diesem reichlich unangenehm. Erst als er später ein Goldnugget in seiner Tasche fand, wusste Francis, er hatte diesem Mann Unrecht getan. Nevadas Hütte stand dann auch über die Jahre. Reichtum schien er nicht zu erwerben, jedenfalls traf man ihn immer in spärlichen Lumpen und hielt ihn für einen harmlosen Sonderling, den man gut in seiner Nähe dulden konnte. Francis nutzte später einen Erkundungsritt Richtung Bullet Nose noch einmal bei ihm vorbeizuschauen und zeigte ihm das Goldnugget.
"Brauchst’s zurück, um mal was Ordentliches zu essen?"
"Nein, nein mein Herr. Sie haben mir einmal das Leben gerettet und das ist nur ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit. Sie werden in Ihrer Überheblichkeit wahrscheinlich nie auf den Gedanken kommen, dass auch ich Ihnen einmal helfen könnte. Aber sie haben ein gutes Herz, und deshalb sage ich Ihnen, es wird der Tag kommen, an dem sie Nevada Johns brauchen. Und er wird für sie da sein."
Der Tag war kommen. Inständig hoffte Francis den Alte anzutreffen und die Einlösung seines Versprechens erbitten zu können.
Mit Anbruch des Morgens tauchte Nevadas Hütte am Horizont auf. Es wurde auch Zeit, denn das Risiko der Entdeckung wuchs, je näher sie Little Rock kamen. Francis hatte Nevada bestimmt zwei Jahre nicht gesehen. Die Hütte schien noch schiefer als früher, aber nebenan fand sich eine Koppel mit zwei Eseln. Als sie sich näherten, schlug ein Hund laut bellend an. Das Tier war keiner Rasse zuzuordnen aber in einem guten Ernährungszustand, was man von Nevada nicht sagen konnte. Der sah aus wie immer. Ein spärlicher Schurz bedeckte das Nötigste. "Hey Francis, was machst du hier? Willst du einen alten Freund besuchen oder ihm das Hirn aus dem Kopf blasen? Und wo sind deine Kumpanen? Ihr tretet doch sonst immer im Rudel auf?"
"Von meinen Kumpanen würde ich mich gern ein wenig fern halten und hoffe auf deine Diskretion. Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit."
"Ach und jetzt gehst du als Büßer ohne Stiefel durch die Wüste und hast dir auch noch einen Kindergarten zugelegt. Ist das nicht die Tochter von Grauer Büffel?" Nevada Johns biss sich auf die Lippen und verstummte. Fast hätte er durch sein Geplapper ein jahrelang gehütetes Geheimnis verraten.
Francis bemerkte das nicht. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu hinterfragen, woher Nevada Grauer Büffel und dessen Kinder kannte. In seiner Einfalt freute er sich sogar nicht allzu viel erklären zu müssen. "Es sind die Kinder von Grauer Büffel und jetzt wohl meine." Er lachte und Nevada auch. "Es ist am besten für dich, wenn ich wenig erzähle. Nur so viel, meinen Leuten und mir gelang es nicht sich über den Umgang mit den Kids zu einigen. So tauschte ich sie gegen meine Stiefel. Leider hatte ich nur zwei, und so konnte ich das Pony der kleinen Lady nicht auch noch erwerben. Da sie aber ohne das Tier nicht lebensfähig ist, sind wir ausgezogen einen Pferdediebstahl zu begehen."
"Und ich dachte, du machst einen Kurs in Indianerleben. Aber ich kann mir schon vorstellen, was geschah. Deine Leute hätten die Kinder am liebsten beseitigt, und du hast sie ihnen geklaut. Und jetzt willst du auch noch Little Rock überfallen, wegen eines Pferdes, ha, ha. Dir muss die Sonne zu lang auf den Kopf gebrannt haben, aber ich war schon immer ein Freund der Verrückten. Sag an, wie kann ich dir helfen? Ich werde mein damaliges Versprechen jedenfalls einhalten. Und du wirst dich schämen mich jemals gering geschätzt zu haben."
Ja Nevada, es gibt so viele Dinge für die sich Francis schämen müsste, aber jetzt muss auch er ein Versprechen einlösen. "Ich brauche deine Hilfe. Und auch wenn es ein aussichtsloses Unterfangen ist, liegt vielleicht gerade darin meine Chance. Keiner vermutet mich in der Nähe von Little Rock. Die Kleine möchte ich jedoch bei dir lassen. Kannst du sie verstecken?"
"Ich habe Verstecke genug, aber wir müssen uns auch für dich eine Strategie ausdenken. Wenn meine grauen Zellen richtig gearbeitet haben, so willst du Little Rock von Süden her erreichen und das Tier des Mädels holen. Das könnte gelingen. Seit vor einem Monat zwei Pferdediebe direkt neben der Koppel gehängt wurden, hat sich niemand mehr an die Tiere herangewagt. Die Wachen sind schon wieder sehr unvorsichtig. Ich rüste euch entsprechend aus. Ihr bekommt von mir ordentliche weiße Kleidung. Man soll die Sache nicht den Indios in die Schuhe schieben."
"Du hast doch selbst nichts anzuziehen, und ich möchte auch nicht der Pest erliegen."
"Du solltest in deinem Urteil nicht zu schnell sein. Der Mensch sieht was er sehen will, die Wahrheit liegt weit dahinter."
Kleinlaut verstummte Francis.
"Und da ich wohl für dich Spatzenhirn mitdenken muss, klaut mindestens drei Tiere. Dann bringt man euch vielleicht nicht sofort mit dem Raub in Verbindung. Kommende Nacht ist Neumond. Da muss die Aktion steigen."
Nevada Johns ging flinken Schrittes los. "Binde das Pferd an und dann kommt in meine Hütte."
Kurze Zeit später standen eine Kanne frischen Wassers, Trockenfleisch und Schiffszwieback auf dem Tisch. Nevadas Gäste ließen sich nicht lange bitten. Ihre Mägen überstimmten das Gehirn ohne Mühe. Francis hatte nicht einmal bemerkt, dass Nevada aus der Hütte gegangen war. Der öffnete jedoch völlig überraschend fast die gesamte Seitenwand seiner Behausung und führte Husky herein. "Wir wollen bei den Nachbarn keinen Neid erzeugen."
Husky folgte ihm erstaunlich ruhig. Dies erinnerte Francis an den Indianerjungen. Hatte er es mit Tiermagiern zu tun? Wie ein folgsames Kind legte sich das Pferd auf den Boden.
"Kleiner Wolf muss Weißer Feder erklären, dass sie hier auf uns warten muss. Es gibt keine andere Möglichkeit." Francis machte eine eindeutige Handbewegung.
Kleiner Wolf war wohl der gleichen Meinung, jedenfalls sprach er intensiv auf seine Schwester ein. Der sah man jedoch das wachsende Entsetzen an. Jede Faser ihres Körpers schien sich gegen den Gedanken zu sträuben, dass Tauender Schnee ohne sie befreit werden sollte. Schließlich nickte sie aber. Tränen standen in ihren Augen.
"Sie wird bleiben bei Nevada Johns. Gute Mann, sehr lieb. Ich versprochen, wir kommen mit Tauender Schnee auf jeden Fall. Wenn wir sterben, sie auch sterben."
Sie verbrachten den Tag in Nevadas Hütte. Er hatte recht gut passende Baumwollkleidung aus seinem Stollen geholt, wobei Kleiner Wolf Ärmel und Hosen mehrfach umkrempeln musste. Für Francis fanden sich auch ein Paar Lederstiefel. Bald sahen sie aus wie echte Cowboys.
"Hast du da eine Zauberhöhle?" Francis kam aus dem Staunen nicht heraus.
Nevada lachte nur und brachte auch noch einen fast neuen Sattel für Husky. "Der Tag an dem du von diesen Dingen erzählst, ist dein letzter. Und denk dran, du hast mir schon mal nicht geglaubt und lagst damit völlig daneben."
Nevada gebot Weiße Feder sich zu erheben. Offensichtlich beherrschte er ihre Sprache. Zögerlich aber ohne Widerstand folgte sie ihm in den Stollen. Nach einigen Minuten kam er zurück. "Da findet sie keiner, und für euch wird es Zeit zu gehen. Hals und Beinbruch und komm mir nicht ohne Tauender Schnee zurück, sonst wird die Kleine auf dir nach Hause reiten."
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