Jetzt war dieser endgültig wach. Kurze Zeit ärgerte er sich, kein Wort aus der Sprache seines Freundes zu kennen, deshalb konnte er nur hoffen, dass der sein "wart’s ab" verstand.
Zumindest herrschte von jetzt an Ruhe hinter ihm. Noch eine weitere Stunde behielt er die Arme auf dem Rücken um keinen Verdacht zu erregen. Dann kamen sie an die Stelle, die er in fieberhaften Überlegungen für ihre Flucht auserkoren hatte. Die ganze Zeit sprach sein Unterbewusstsein‚ was sind schon 50 Peitschenhiebe gegen die reale Chance erschossen zu werden oder zu Tode zu stürzen. Aber der Hilferuf des Jungen hatte sich tief in sein Herz eingebrannt. Und er wusste, er musste Mut zeigen und die Flucht wagen, wenn er jemals wieder Achtung vor sich selbst haben wollte.
Sie ritten jetzt in einer Reihe.
"Langsamer Schritt zur Dämpfung der Geräusche" war die Anweisung.
Als die Dunkelheit den Trupp komplett einhüllte, kamen sie ans Ufer des Johnson River. Das Ufer stieg stetig an. Schließlich waren sie etwa 60 Fuß über dem Fluss. Alles passte optimal. Jetzt musste es nur noch schnell gehen.
"Festhalten!", rief Francis laut und versetzte seinem treuen Tier einen kräftigen Fersenstoß in die Flanke, dass Zeichen plötzlich zu stoppen.
Sancho, der das Pferd mit den Gefangenen am Zügel führte, flog aus dem Sattel und ließ los. Im gleichen Augenblick beugte sich Francis über den Hals seines Freundes, fasste die Zügel, riss das Tier zur Seite und stürmte mit ihm die steile sandige Böschung hinunter. Bevor seine Begleiter reagieren konnten, klatschen Pferd und Reiter ins Wasser. Rasch trieb sie die Strömung rasch davon.
"So 'ne Scheiße", fluchte der Boss, als er die Situation überschaute, beruhigte sich jedoch schnell. Bei aller Brutalität war ein strategischer Denker und wusste, dass man überhastete Aktionen in der Nähe des Kontrollpostens schnell bereuen konnte. "Du fängst sie wieder ein", fauchte er Sancho an, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Staub erhob. "Nimm Rick mit und bring mir die Kinder lebend, Francis gehört dir."
Die Truppe zog weiter. Manch unterdrückter Fluch war noch zu hören, bevor sie am nächsten Abend in Little Rock ankamen, wo die Arrow Boys gut getarnt als harmlose Siedler lebten und ihre Beutezüge planten.
Das Wasser spritze hoch. Husky, Francis Pferd schwamm kräftig gegen die Strudel des Flusses. Irgendwie gelang es ihm dem Jungen die Fesseln zu lösen und auch seine eigenen Füße zu befreien. Alles schien eine Ewigkeit zu dauern. Das Mädchen war inzwischen mehr unter als über Wasser.
"Nimm die Zügel und schwimm mit dem Pferd ans Ufer", keuchte Francis zu dem Jungen. Neben Husky schwimmend, hielt er den Kopf des Mädchens über Wasser. Unter einem Felsüberhang erreichten sie festen Boden und Francis konnte die Kleine endlich losbinden. Der Junge sprach bereits beruhigend auf Husky ein. Wie von Geisterhand geführt, legte sich das Tier auf den Boden.
"Kleiner Wolf", er zeigte auf sich. "Weiße Feder, Schwester", dabei deutete er auf das reglos am Boden liegende Mädchen.
Weiße Feder atmete flach. Ihr Herz schlug schnell. Langsam regte sie sich jedoch und schlug schließlich die Augen auf. Diese großen schwarzen Augen und das darin liegende unendliche Leid würde Francis sein Leben lang nicht vergessen. Warum habt Ihr meine Welt zerstört? Was ist Gold gegen das Leben von Menschen, gegen das Glück eines Kindes? So schrie ihr Blick ihn an. In diesem Moment hätte sie alles von ihm fordern können. Dennoch versuchte er rational zu denken. "Wir bleiben hier. Es wird bald hell. Sicher sucht man nach uns. Erst in der Nacht reiten wir weiter."
Francis rechnete damit, dass der Boss sie nicht so einfach ziehen ließe. Genauso fürchtete er aber die Entdeckung durch den Militärposten. Die Aussicht auf Zwangsarbeit im Steinbruch fand er ebenso wenig verlockend wie einen Kampf mit seinen ehemaligen Gefährten.
Die drei Flüchtlinge schmiegten sich an Husky und aneinander. Francis wusste, dass ihm sein Pferd absolut vertraute, dennoch schien kleiner Wolf magischen Einfluss auf das Tier auszuüben. Es blieb so entspannt, dabei waren sie doch eben noch quasi senkrecht in die Tiefe gerast und fast ertrunken. Vielleicht freute es sich aber auch nur nicht mehr drei gebundene Reiter auf seinem Rücken tragen zu müssen. Die Kinder schliefen schon, als auch Francis in einen von wilden Träumen gefüllten rauschähnlichen Zustand verfiel.
"Herr, lass uns die verfluchten Bastarde lebend finden."
"Wenn du weiter so fluchst, wird dich der Herr kaum erhören."
Sancho war immer noch außer sich. "Ich peitsch ihm erst die Haut vom Rücken, bevor ich ihm eine Kugel in den Kopf jage."
"Erst müssen wir sie finden. Und denk dran, die Kinder braucht der Boss lebend." Rick wünschte sich, dass auch Francis überleben möge. Schließlich war das für ihn die einzige Chance in der Bandenhierarchie wieder aufzusteigen.
"Einer von uns muss über den Fluss. Sie werden ja nicht gegen die Strömung schwimmen, und vor den Oat Creek Fällen müssen sie aus dem Wasser, wenn sie am Leben hängen."
"Die nächste Furt kommt zwei Meilen flussabwärts. Ich reite hin und suche das gegenüber liegende Ufer ab, bis ich dich hier wieder erreiche. Du wartest so lange." Rick übernahm jetzt das Kommando. Er war manchmal unbeherrscht, Sancho intellektuell jedoch weit überlegen. Instinktiv ordnete dieser sich unter und hörte auf die Anweisungen seines Begleiters. Es wurde hell, als Rick am anderen Ufer wieder auftauchte.
"Hast die Schweine gesehen?"
"Nein, deshalb reiten wir jetzt beide flussabwärts bis zu den Fällen."
Gutes Versteck, dachte Francis. Auch hierbei hatte Kleiner Wolf eine besondere Begabung bewiesen, schließlich führte er Husky als sie an Land schwammen. Der Fels war durch den Fluss tief ausgewaschen. Bei niedrigem Wasserstand lag eine kleine vom gegenüberliegenden Ufer nicht einsehbare Höhle trocken. So zogen Sancho und Rick in unmittelbarer Nähe vorbei ohne die Flüchtigen zu bemerken. Als sie am Oat Creek Fall ankamen, hatten sie noch immer kein Spur gefunden. "Die Schweine sind den Fall runter. Ihre Knochen treiben wohl einzeln Richtung Colorado."
"Mag sein, aber vielleicht verstecken sie sich auch nur." Rick war ganz der coole Rechner und im Gegensatz zu Sancho nicht durch blinden Hass geleitet. "Lass uns in Ruhe überlegen. Richtung Bullet Nose wird Francis nicht ziehen. Wer einmal Fußeisen trug, will dies mit Sicherheit zukünftig vermeiden. Die Umgebung von Little Rock wäre ebenfalls kein gutes Ziel, da hätte er ja gleich bei uns bleiben können. Auch scheint er ja plötzlich eine abartige Vorliebe für Rothäute entwickelt zu haben. Er wird sich hochwahrscheinlich nach Norden wenden um die Kids bei ihrer Sippe abzugeben und vielleicht eine schöne Belohnung zu kassieren."
"Das kommt ihn hoffentlich übel zu stehen", sagte Sancho. "Die Wilden werden die Kinder nehmen und ihn dann langsam zu Tode martern. Schließlich hat er sich in der Vergangenheit nicht als Indianerfreund hervorgetan. Ich denke da nur an den Überfall auf die Native People Security Bank. Geschieht ihm ganz recht, aber wäre immer noch das Paradies gegenüber der Behandlung, die ich für ihn vorgesehen habe."
"Wirst schon noch dein Vergnügen kriegen, aber jetzt müssen wir planvoll vorgehen. Es wird bald dunkel, da sollten wir ein Lager für die Nacht finden."
Francis schoss mit dem tosenden Wasser dahin und wurde von einem Fels zum anderen geschleudert, doch dann merkte er, dass es kleine braune Hände waren, die ihn rüttelten und eine erregte Kinderstimme die in unverständlichen Worten auf ihn einsprach. Er hatte nur geträumt.
"Psst" entfuhr es Kleiner Wolf, der durch den Lärm ebenfalls erwachte. Beruhigend sprach er auf seine Schwester ein, die von Francis abließ und bis auf ein lautloses Schluchzen verstummt. "Weiße Feder und ich Kinder von Grauer Büffel. Unser Onkel Lauter Donner. Wird uns retten. Wer du?"
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