1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 Franzis schluckte und senkte seinen Blick. Leise sprach er weiter. "Wir müssen deine Haare abschneiden."
Er hätte auch sagen können, ich will dich lebendig rösten. Nicht nur das vor Schreck erstarrte Gesicht, der ganze bronzefarbene Körper schien Nein zu schreien. Natürlich wusste Francis, dass er eine erhebliche Verstümmelung vorhatte, aber trotz der räumlichen Nähe lebten die meisten Weißen kulturell so weit von den Ureinwohnern des Landes entfernt, dass sie keinen Schimmer von ihrem Glauben und ihren Gewohnheiten hatten. Diese Dinge waren ihnen auch völlig egal. Die Beschäftigung mit der indianischen Lebensweise galt als mindestens ebenso exotisch wie die Erforschung seltener Tiere. Der typische Weiße sah Rothäute als störendes aber vorübergehendes Problem an.
"Wir müssen in einer Siedlung von Weißen übernachten. Da kann ich keinen Diné-Jungen mitbringen ohne Verdacht zu erregen. Wir laufen sonst Gefahr Weiße Feder nie wieder zu sehen." Francis wusste nicht, ob Kleiner Wolf ihn verstand. "Haare ab sonst sehen Weiße Feder und Stamm nie wieder!"
Jetzt verstand er. Vermutlich hatte Francis allen Kredit der letzten Tage verspielt, aber er machte nicht nur von dieser Drohung gebrauch, sondern stellte auch seine körperliche Überlegenheit sichtbar zur Schau, indem er den Jungen derb an den Schultern fasste und zu sich drehte. "Du verstehen?"
"Ja mein Herr."
Francis zog das Messer aus dem Stiefel, welches sie Little Jack abgenommen hatten und fasste nach dem Schopf des Kindes.
"Ich selbst machen." Alles in dem Jungen schien sich zu sträuben, als er den Stahl nahe am Ansatz durch sein Haar führte. Das Messer war scharf, aber körperliche Schmerzen entstanden mit Sicherheit. Der Seelenschmerz allerdings überwog bei weitem. Das Ergebnis entsprach jedoch ganz den Erwartungen. Durch den Staub der Wüste hatte sich ihrer beider Hautfarbe Richtung Grau verändert. So hoffte Francis, dass ein bärtiger Weißer und ein schmutziger Junge mit kurzen Haaren nicht auffallen würden. Er vertraute auch darauf, dass es dem Boss wichtiger war unerkannt zu bleiben, als einen desertierten Arrow Boy mit Hilfe der lokalen Bevölkerung zu suchen. Francis selbst kannte in diesem Landstrich niemand. Aktuelle Steckbriefe gab es von keinem Arrow Boy, so auch nicht von ihm. Das einzige Bild stammte aus seiner kurzen Zeit in Haft. Doch den jungen Francis Blackwater brachte sicher keiner mit den aktuellen Ereignissen in Zusammenhang. Als sie losritten, saß neben Francis ein Bündel Elend im Sattel, das äußerlich und innerlich verstümmelt worden war. Erst nach einer Stunde traute er sich Kleiner Wolf anzusprechen. "Haare?"
"Atsii'." Langsam richtete sich Kleiner Wolf auf.
Sie ritten die ganze Nacht und auch den folgenden Tag über, der Weiße und sein Indianerjunge. Ihre Wasservorräte waren erschöpft. An Snake Valley führte also kein Weg vorbei. In der Nähe des Ortes trafen sie auf einen Schafhirten, der ihnen kaum Beachtung schenkte. Francis nahm dies als gutes Ohmen. Schließlich gelangten sie an ein etwas abseits gelegenes Haus mit Stallung. Eine ältere Frau versorgte gerade das Vieh. Als sie die beiden Reiter sah, nahm sie das bereitliegende Gewehr und kam ihnen langsam entgegen. Scherzhaft hob Francis die Arme. "Wollen sie zwei fast verdurstete Wanderer umbringen."
"Man kann ja nie wissen, welches Gesindel sich hier herumtreibt. Zieht am besten weiter und lasst mir meine Ruhe."
"Liebe Frau, ein Nachtlager für die Tiere und für uns werden sie doch nicht verwehren. Wir sehen zwar durch den langen Ritt und das ausstehende Jagdglück etwas mitgenommen aus, aber wir können für eure Mühe bezahlen."
Francis zog ein kleines Geldstück aus dem Gürtel, Little Jack sei es gedankt. Dies brachte deutliche Bewegung in den Ausdruck der Dame.
"Das reicht aber nur für einen, der Junge und die Pferde kosten jeweils das gleiche."
"Der Junge das gleiche und für alle Pferde noch mal so ein schönes Stück." Francis ließ die Münze durch seine Finger wandern.
"Abgemacht. Ihr schlaft im Stall, und morgen zieht ihr weiter."
"Abgemacht, das als Anzahlung", Francis reichte ihr die Münze. "Den Rest bei Abreise."
Etwas missmutig nickte sie. Es war nicht leicht in dieser Region Geld zu verdienen.
"Kann der Junge auch was sagen?"
"Nein, ist leider von Geburt an stumm."
Diese Geschichte fiel Francis auf dem Wege ein. Kleiner Wolf wiederum fiel es leicht sich daran zu halten.
"Sieht aus wie eine verdammte Rothaut." Die Dame blickte verächtlich. "Aber man müsste die Mutter dazu sehen. Ihr Männer macht ja mit jeder rum, da braucht man sich über das Ergebnis nicht zu wundern."
"Seine Mutter müssten sie erst ausgraben, doch es stimmt schon, sie war eine exotische Schönheit. Aber lassen sie jeden seine Last tragen und fragen sie nicht zu viel. Wer zu viel weiß, lebt oft kürzer. Sie bekommen Ihr Geld, und wir wollen nur eine Nacht Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Wir haben beide einiges hinter uns, und ein bisschen Freundlichkeit im Miteinander steht jedem Menschen gut zu Gesicht."
"Ja, ja, jeder muss sein Kreuz tragen. Auch ich habe meinen Partner verloren und schlage mich allein durch. Sie sollten mir verzeihen, wenn ich nicht allzu zutraulich bin. Aber man erlebt schon schlimme Sachen in der heutigen Zeit."
Die Farmerin führte ihre Gäste ohne weitere Worte in das Stallgebäude und wies ihnen eine Bucht mit Stroh zu, die für Mensch und Tier das Nachtlager sein sollte.
Es war weit nach Mitternacht, als Husky Francis durch leichtes Zucken weckte. Kleiner Wolf schlief friedlich. Francis nahm das Gewehr und schlich sich nach draußen. Da stand die Herrin des Hauses. Sie rechnete wohl damit bemerkt zu werden.
"Ich hätte gedacht, die kleine Rothaut wird eher wach, aber du scheinst auch über scharfe Sinne zu verfügen. Ich bin übrigens Cathrin, und ich habe so eine Ahnung, wer ihr seid."
"Ich verstehe nicht was du meinst, aber wir können uns gern unterhalten. Ben heiße ich."
"Ben, so so, dann bist du also doch nicht der reiche Viehzüchter aus Little Rock, der zwei Indianergören vor der Sklaverei gerettet hat und sie gegen viel Gold an ihren Stamm zurückgeben will."
"Hast du schon mal einen Indianer mit kurzen Haaren gesehen? Und wo ist denn das zweite Kind?" Francis blieb ruhig und beherrscht. Er war dankbar für diese Informationen. Es kursierte also schon eine Geschichte über sie. Natürlich würde der Boss nicht wegen ihm die Tarnung auffliegen lassen, aber der Weg nach Hause war für die beiden Rothäute, wie Cathrin so nett sagte, mit Hindernissen gefüllt. "Wir haben immer mal mit Vorurteilen zu kämpfen, aber meine Frau war amerikanische Staatsbürgerin mit langer Tradition. Dich scheint doch auch das Schicksal nicht gerade verwöhnt zu haben, als gib nichts auf Gerüchte. Rechne dir eine gute Tat zu und vergiss uns dann am besten."
"Ja, ja, der Herr wird mich für meine Güte belohnen, aber wenn du lügst, wird er dich bestrafen, spätestens in Gestalt der Militärmission von Bullet Nose, die bereits die Wege ins Navajo-Land bewacht. Ich diene nur dem Gesetz der Gastfreundschaft. Wenn man mich fragt, sage ich, ihr hättet mich bedroht und keine Staatsmacht war in der Nähe mich zu beschützen. Vielleicht verlegen sie dann einen Militärposten in unser Kaff. Ein paar Männer mehr zur Auswahl sind nie verkehrt. Für den Rest der Nacht will ich mich aber mit dir begnügen. Lass uns den Sternen zusehen und sonst noch tun, was schön ist."
Cathrin und Francis schliefen bis zum Morgen nicht mehr. Sie war überaus zärtlich und hatte die körperliche Liebe wohl schon länger vermisst. Francis sah darin lediglich ein Abenteuer und einen Gewinn an Sicherheit.
In der Morgendämmerung sah Kleiner Wolf aus dem Stall. Sein verwunderter Blick traf Francis, als dieser neben Cathrin über den Hof kam.
Читать дальше