Es verging eine weitere Stunde und nur das auf stumm gestellte Funkgerät blinkte ab und zu auf und eine Stimme kam leise flüsternd über den digitalen Funk. Ansonsten wollte man eine strikte Funkdisziplin halten. Aus reinem Zeitvertreib sah Elseke den Möwen nach. Plötzlich wurde sie stutzig, sie sah näher hin. Das am Himmel war doch keine Möwe! Jetzt hörte sie ein leises, monotones Motorengeräusch und in ihrem Glas konnte sie ein Fluggerät erkennen, das rasch größer wurde und an Höhe verlor. Jetzt sah sie es und sie sagte aufgeregt: „Sieh einmal, Bruni, da kommt etwas angeflogen. Das sieht wie ein Motorroller mit einem Lenkdrachen oberhalb des Rollers aus. Der Pilot scheint das Fluggerät mit einer Stange des Lenkdrachens zu steuern.“ Die Polizeipräsidentin hatte ebenfalls ihr Glas an den Augen, suchte den Himmel ab und fand das Leichtflugzeug.
Der Pilot steuerte auf den freien Platz im Hoddelker Moor zu, nahm Gas weg und landete direkt neben dem pinkfarbenen Koffer, griff geschickt mit einer Hand den Koffer und gab Vollgas. Der Motor heulte auf und das Leichtflugzeug brauchte keine nicht lange, um wieder an Höhe zu gewinnen. Der Pilot steuerte in die gleiche Richtung, aus der er gekommen war. Elseke sagte zu Bruni: „Ich möchte jetzt mal unsere dummen Gesichter sehen. Wir haben vor Aufregung nicht einmal Fotos von dem fliegenden Ding gemacht.“ Auf der Ladefläche klopfte es und eine dunkle Stimme, von der Sturmmaske gedämpft, sagte: „Was ist los, können wir zum Einsatz kommen?“ Bruni bekam einen Lachanfall und Elseke lachte laut mit. Sie öffneten die Hecktür, die beiden Spezialkräfte stiegen aus und mussten sich einmal recken. Bruni sagte: „Danke für alles. Ihr könnt eure Masken abnehmen. Unser Vogel ist mit dem Pinkkoffer entflogen.“ Sie zeigte in die Flugrichtung und alle sahen sich ratlos an. Nur Bruni und Elseke hatten einen kurzen Blickkontakt und lächelten.
Auf dem kleinen Flugplatz in Barßel mit der Kennnummer EDXL zwischen Papenburg und Bad Zwischenahn saßen in einem der acht zivilen Streifenwagen Frauke Nissen und Heidelinde Gambrino-Spezzano mit einer gemischten Truppe von Spezialkräften aus Hannover und Oldenburg, die man an den ebenfalls schwarzen Sturmhauben erkennen konnte, und mit eigenen Kräften aus Emden, Norden und Wilhelmshaven. Diese Kräfte saßen in zwei Mannschaftswagen, da Bruni darauf bestanden hatte, hier kein Risiko einzugehen. Frauke musste sich beugen. Im Innersten ihres Herzens war sie aber ganz froh, hier eine schlagkräftige Mannschaft der Kollegen zur Unterstützung zu haben. Die Fahrzeuge standen alle im kleinen Hangar des Fliegerclubs der Leichtflugzeuge von Barßel, die Beamten waren alle verteilt worden. Nun war Warten angesagt. Bei der Mehrzahl aller Fällen bestand die Polizeiarbeit ohnehin nicht in wilden Aktionen, sondern aus zähem Warten.
Nach einer Stunde hörten sie Motorengeräusche am Himmel und ein kleines Leichtflugzeug, das wie ein fliegender Roller für zwei Personen aussah, schwebte ein. Der Motor wurde gedrosselt und der Roller landete. Der Pilot lenkte gekonnt und geschickt sein fliegendes Gefährt bis vor den vereinseigenen Hangar, vereinzelt gab er Gas. Der Pilot war alleine in dem Fluggerät, er schnallte sich ab, stellte den pinkfarbenen Koffer auf den Boden und schwang sich heraus. Direkt neben dem Leichtflugzeug stand ein Kerosinfass mit einer Handpumpe, hinter dem sich Frauke und Heidelinde versteckten. Frauke stand aus der Hocke auf und befand sich nun im Rücken des Piloten. Dieser war gerade dabei, seinen Helm abzunehmen, als Frauke sagte: „Guten Tag, Herr Richter.“ Akke Döhring-Feyke drehte sich blitzschnell erschrocken um. Aus der Luft hatte er doch noch mit seinem Glas den Flugplatz abgesucht und nichts Verdächtiges bemerkt!
Ehe er sich versah, war Heidelinde bei ihm, drehte seine Arme auf den Rücken und während sie ihm die Handschellen anlegte, verlas Frauke ihm seine Rechte. Sie schloss mit den Worten: „Auch wenn Sie das als Jurist alles kennen, der Gesetzgeber verlangt es so. Auch einem Richter müssen wir seine Rechte vorlesen. Herr Döhring-Feyke, wir verhaften Sie wegen Vortäuschung einer versuchten Entführung, ihrer eigenen, und wegen einer Lösegelderpressung. Wir führen Sie gleich nach dem ersten Verhör im Präsidium dem Haftrichter vor.“ Akke sagte nichts mehr, er war überrascht, dass man ihn geschnappt hatte, und überlegte, wo er wohl einen Fehler gemacht haben könnte. In Gedanken meinte er aber zu sich selber: „Dazu habe ich ja in der Haft Zeit genug und sogar eine gedankliche Aufgabe. Denn nichts ist langweiliger, als hinter Gittern nichts zu tun zu haben. Das haben mir schon viele Häftlinge bei weiteren Anhörungen in ihrer Sache gesagt. Die werden sich sicher freuen, einen Richter unter den Knackis zu haben.“ Akke sah resigniert hoch. Frauke sah ihn an und fragte: „Wollten Sie etwas sagen?“ Akke schüttelte den Kopf. Und während er in den zivilen Streifenwagen verfrachtet wurde, hielt Heidelinde beim Einstieg in das Fahrzeug schützend ihre Hand über seinen Kopf.
Im Präsidium ging es hoch und ausgelassen her. Frauke stand im Mittelpunkt und musste erzählen, was sie spät in der Nacht in der Internetzeitung gefunden hatte. Frauke hatte ein Glas Saft mit ein wenig Sekt in der Hand und alle im Raum waren ganz still, als Frauke loslegte und Elseke ansah: „In der ersten Besprechung nach der Entführung hast du, Elseke, etwas gesagt, dass mich wie ein elektrischer Impuls erfasste. Es ging um die Namensfindung der Sonderkommission. Heidelinde hatte ihre sizilianischen Wurzeln hervor gesucht und meinte, in Sizilien würde ein Fisch als Warnung an die Tür genagelt werden. Wir sollten die Soko einfach Fisch nennen, weil hier in Ostfriesland der Begriff unverfänglich wäre. Darauf hattest du, Elseke, gesagt, der Fisch fängt am Kopf zu stinken an. Ich wusste nicht, warum, wir hatten ja den Erpresserbrief genau durchstudiert und haben die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die ganzen Drohungen irgendwie übertrieben waren. Wir sagten noch, warum sollten ausgerechnet die Profis für Entführungen hier nach Ostfriesland kommen, wo die doch angeblich weltweit und brutal aktiv waren. Der ausschlaggebende Punkt war aber die Binsenweisheit, dass der Fisch vom Kopf her zu stinken anfängt, was übrigens wirklich so ist. Mir kam die Eingebung, der stinkende Fisch ist der Richter selber, er hatte alles mit Hilfe der Wirtsleute Buhrfeind aus Rechtsupweg inszeniert. Ich glaube nicht, dass die Frau des Richters etwas davon wusste, obwohl hier noch der Vorwurf der Korruption im Vordergrund steht. Ihr Mann hat sie in seinem vorgetäuschten Erpresserbrief selber ans Messer geliefert, das sollte wohl möglichst alles echt aussehen. Ihr Konto war nicht schlecht gefüllt. Für eine Ärztin im Landeskrankenhaus, die beim Staat angestellt ist und keine große Erbschaft machte, ganz beachtlich. Die Wirtsleute Buhrfeind haben inzwischen alles gestanden. Sie haben finanzielle Gründe angeführt, ihr Lokal stand am finanziellen Abgrund, da immer häufiger die Gäste aus blieben und die jungen Leute auch nicht mehr so wie früher zu ihnen kamen. Sie treffen sich lieber woanders, das ist eben der Trend der Zeit. So erzählte der Wirt. Sie zermarterten sich nachts das Hirn, wie sie gegensteuern konnten. Leider ist ihnen nichts Legales eingefallen. Und da kam ihnen der Vorschlag des Richters ganz gelegen, gegen ein kleines Entgelt mitzuspielen.Mal sehen, welche Gründe der Richter für seine Tat angibt.
Ich habe also die alten Zeitungsartikel durchgesehen und fand einen Artikel über einen Flugtag, den der Fliegerclub Barßel veranstaltet hatte. Und da entdeckte ich den Richter Akke Döhring-Feyke mit seinem Leichtflugzeug stolz in der ersten Reihe. Ich hatte ja bei unserer Nordic Walking Wanderung bis zu dem Lokal ‚Windschiefe Kate‘ in Rechtsupweg den Prospekt gesehen, den der Wirt schnell vor uns unter einem Stapel Zeitungen verschwinden lassen wollte und da wussten wir, wo der leuchtende Koffer mit dem Geld deponiert werden sollte. Ich fing an, eins und eins zusammenzuzählen und konnte mir vorstellen, dass der Lösegeldkoffer so gut aus der Luft erkennbar war und dass dieser mit dem Leichtflugzeug bei einem Touch down vom Boden weggefischt werden sollte. So blieb nur noch die Frage, ob er nach Barßel zurückfliegen würde oder ob er irgendwo ein weiteres Auto versteckt hatte, um danach einfach zu flüchten.
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