„Das kann nicht sein, da muss jemand hier sein, der das hineingelegt hat“, überlegt Maika. „Aber wer kann das bloß sein, will mir jemand einen Streich spielen, oder in den Wahnsinn treiben?“ Sie kann sich einfach keinen Reim darauf machen. Aber unheimlich kommt ihr das Ganze mittlerweile schon vor. „Ist bloß gut, dass Frank heute nach Hause kommt“, tröstet sie sich.
Philipp wartet bereits in der Küche, als seine Mutter hereinkommt. „Fahren wir jetzt in die Stadt?“, will er wissen.
„Nun lass mich erst einmal die Hände waschen und umziehen, ich bin ja noch ganz dreckig“, lautet die Antwort. „Was macht überhaupt dein Buddelschiff?“, möchte Sie von Philipp wissen.
„Ich habe es unters Bett geschoben. Es dauert mir einfach schon zu lange, dass ich nicht laufen kann“, meint der Junge ärgerlich.
Unterdessen sind beide bereit für die Stadtfahrt. Sie steigen ins Auto und los geht es. „Hoffentlich ist die Praxis nicht schon geschlossen, bis wir hinkommen, es ist ja bald zwölf. Wenn ich wieder richtig gehen kann, dann bin ich auch öfters da unten, wo die anderen sind“, bemerkt Philipp beiläufig.
Dabei deutet er auf die drei Kinder, die am Strand mit einer Luftmatratze herumtollen. Das Meer zeigt sich von seiner besten Seite, blaues klares Wasser. Das Glitzern der rauschenden Wellen, beeindruckt den Jungen sehr.
Maika kann gar nicht so recht ihrem Sohn zuhören. Zu stark ist der Verkehr, auf den sie sich konzentrieren muss.
Tüt, Tüüüt , schallt es plötzlich aus einer Hupe hinter ihr.
„Was ist los?“, will Philipp wissen, dreht sich um und schaut aus dem Heckfenster.
Gedankenverloren hat sie nicht bemerkt, dass die rote Ampel bereits wieder auf grün umgeschaltet hat. Wie soll Maika auch richtig aufpassen können, wenn sich immer wiederkehrende Gedanken einschleichen. Nachdem, was alles in letzter Zeit geschah, ist dies nicht verwunderlich. Sie möchte sich alles von der Seele sprechen, aber mit ihrem Sohn ist das auch nicht befriedigend. Zum Glück kommt ja heute ihr Mann zurück, wenn nichts dazwischenkommt.
Nur noch an der Ecke rechts abbiegen, dann sind beide bei der Massagepraxis. „Das hat aber heute lange gedauert, der ewige Verkehr“, stöhnt Frau Bremer und parkt ihren Wagen ein. „Bleib du sitzen, ich laufe schnell hinein und hole deine Krücken, ich bin gleich wieder da“, erklärt sie Philipp.
Gesagt, getan. Nach fünf Minuten kommt Maika mit einem Lächeln aus dem Haus und zeigt ihrem Sohn mit erhobenem Arm seine neue Gehhilfe. „Einen schönen Gruß von Alexandra soll ich dir ausrichten“, sagt die Frau zu ihrem Sohn. „Du sollst es sehr vorsichtig probieren und sie will dich nächste Woche wiedersehen.“
Bevor sie den Motor wieder startet, schrillt ihr Handy aus der Handtasche. Maika kramt zwischen den Utensilien das Telefon hervor und erkennt sofort, dass es Frank ist. Es wird doch nichts passiert sein? „Hallo Frank“, meldet sie sich und horcht, was er ihr zu sagen hat. „Ja, ja, in einer halben Stunde, okay“, hört Philipp seine Mutter nur sagen. Jubelnd und sichtlich erleichtert nach dem Gespräch, verstaut sie ihr Handy wieder.
„Stell dir vor, Papi ist schon hier. Wir sollen ihn gleich in der Firma abholen“, quasselt Maika hektisch vor Freude. Ihr Sohn kann sie kaum verstehen.
„Ich bin ja so erleichtert, dass Frank wieder hier ist. Er wird sich bestimmt erst einmal richtig ausschlafen, so wie er es immer macht“, denkt sie sich. Die Fahrt durch die riesige Stadt, ist ihr immer ein Dorn im Auge. Doch für ihren Frank nimmt sie es gern in Kauf. Philipp ist auf dem Rücksitz eingenickt und bekommt so von dem Getümmel auf der Straße nichts mit.
„Ach nein, auch das noch“, stammelt Maika vor sich hin, „diese verdammte Umleitung.“
Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als der Beschilderung zu folgen. Kaum dreihundert Meter gefahren, sieht sie nur noch rot. Nein, keine Ampel, nur viele Lichter, der vorausfahrenden Fahrzeuge. Nun heißt es STOPP, sie steht im Stau. Das Maika leicht nervös wird, sieht man ihr an. Sie rutscht auf dem Fahrersitz hin und her und schaut immer wieder in den Rückspiegel.
Philipp ist wieder aufgewacht und schaut aus dem Seitenfenster. „Sind wir schon da?“, fragt er seine Mutter.
„Das wäre schön“, gibt sie ihm zur Antwort.
Weiter vorne beginnt sich die Fahrzeugschlange wieder in Bewegung zu setzen. Allmählich zuckelt Maika wieder los, sehr langsam, aber sie fährt. Nun dauert es nicht mehr lange und sie ist wieder mit normaler Geschwindigkeit unterwegs.
„Schau mal da vorne, siehst du den Spielplatz?“, äußert sich die Mutter so nebenbei.
Philipp schaut zwar, aber irgendwie ist es ihm egal, er kann ja doch nicht hin. Kurze Zeit darauf passieren beide die Hofeinfahrt eines riesigen Geländes. Es stehen viele Lastwagen, größtenteils mit Anhänger auf dem Firmengelände. Alle wurden schön in einer Reihe eingeparkt. Maika stellt ihr Fahrzeug in der Nähe der Büros ab und steigt aus. Nach ein paar Dehnungs- und Streckübungen sieht sie ihren Mann aus der Spedition kommen. Frank hält eine große Tasche in der Hand.
Philipp, der noch im Auto sitzt, erspäht seinen Vater ebenfalls und schreit: „Papi, Papi!“
„Wenn ich doch nur laufen könnte, dann würde ich zu Papi in seine Arme rennen“, denkt er sich.
Die Frau hetzt ihrem Mann ein Stück entgegen. Beide fallen sich gleichzeitig um den Hals und küssen sich vor Freude. „Ich liebe dich“, flüstert Frank seiner Frau ins Ohr.
„Ich habe dich auch lieb", erwidert sie.
Beide drehen sich um und gehen zum Auto zurück, wo Philipp bereits sehnsüchtig auf seinen Papa wartet. „Hallo Papi“, empfängt Philipp seinen Vater, als er die Autotür öffnet.
„Du glaubst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe“, gesteht er.
Frank setzt sich ans Steuer, denn er weiß, dass seine Frau nicht gerne durch die Stadt fährt.
„Es war eine lange Zeit ohne dich, wie war es bei dir?“, will Maika von Frank wissen, der etwas gestresst aussieht.
„Es war diesmal nicht so schön, überall ging irgendetwas schief, oder hatte lange gedauert - ungewöhnlich lang.“ Man merkt, dass er im Moment nicht gerne redet.
Die Ehefrau schaut zu ihrem Mann hinüber, während er durch die Stadt braust. Der ist ja richtig schön braun im Gesicht und an den Armen geworden. Es ist ja kein Wunder, wenn er weit weg war, denkt sie sich.
„Schau mal Papi, mit diesen Stöcken werde ich bald wieder richtig laufen können“, unterbricht Philipp die Ruhe im Fahrzeug.
„Das wird ja auch langsam wieder Zeit“, äußert sich Frank lächelnd. „Wenn wir zu Hause sind, dann werde ich mich erst einmal richtig schön duschen und etwas hinlegen. Die Straße könnten sie auch mal wieder herrichten“, meint er weiter. „Im Ausland muss ich selten über eine Fahrbahn mit so tiefen Schlaglöchern fahren.“
Nach weiteren fünf Minuten Fahrt, sieht Frank sein Zuhause und denkt: „Gott sei Dank, endlich da.“
Während alle drei aussteigen bemerkt Maika, dass die Haustüre offen steht. „Warum ist denn die Tür auf?“, fragt sie sich.
„Du hast bestimmt nicht richtig zugezogen. Du weißt ja, dass sie ein bisschen klemmt, pass das nächste Mal besser auf“, meint Frank.
Die ungewöhnlichen, ja ängstlichen Ereignisse der letzten Tage, belagern wieder Maikas Kopf. „Ich muss es Frank auf alle Fälle erzählen, aber erst später, spätestens morgen. Ob er mir das überhaupt glauben wird? Wie wird er reagieren, wenn ich ihm eine solche Story erzähle“, grübelt die Frau.
Frank trägt zuerst Philipp, dann seine schwere Tasche ins Haus. Philipp hat auf einmal große Lust bekommen, die neue Gehhilfe auszuprobieren. Er nimmt die Krücken und stellt sich damit erst mal gerade hin. Irgendwie ist er noch sehr ängstlich und wacklig.
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