Da er sich nicht aufrichten konnte würden die Fahrer der Autos, die sich dem Heck seines Fahrzeuges näherten, ihn gar nicht erkennen, die aus der anderen Richtung kamen sahen einen Mann, der sich an der Motorhaube seines Gefährts zu schaffen machte, nichts Besonderes, vielleicht eine kleine Panne. Kein einziges der vorbeifahrenden Autos hielt an, er klemmte bestimmt schon 20 Minuten fest und trat panisch von einem Bein aufs andere. Jetzt geht‘s nicht mehr beschloss er erschöpft einen Moment später, dann kniff er die Augen zusammen und gab dem Druck seiner Blase nach. Erleichterung mischte sich mit Entsetzen, mit 43 Jahren einzuschiffen war keine Glanztat, aber was hätte er schon tun sollen. Der Urin rann warm seine Beine hinunter und sammelte sich zum Teil in seinen Schuhen. Wenn er sich jetzt bewegte war ein leises Quietschen zu vernehmen. Langsam machte sich auch sein Rücken bemerkbar. Die ihm aufgezwungene unbequeme Haltung erinnerte ihn daran, dass er eigentlich wieder einmal schwimmen gehen wollte aber erst einmal musste er frei kommen. Plötzlich traten ihm Tränen in die Augen, so ein Mist auch!
Ob er froh sein sollte oder eher nicht konnte er noch nicht beurteilen, jedenfalls hielt nach einer knappen halben Stunde ein Polizeiwagen direkt neben ihm, die zwei Beamten starrten ihn daraus ungläubig an. Beide stiegen sich duckend vorsichtig aus und rissen die Pistolen aus ihren Holstern, die Waffen mit beiden Händen vor sich haltend kamen sie Frieder Bergmann vorsichtig näher.
„Hände über den Kopf“ rief einer drohend und als Bergmann nicht reagierte brüllte er nochmals: „Können Sie nicht hören, Hände hoch!“
„Ich kann nicht“ erwiderte Bergmann schwach „ich klemme fest!“
Die beiden umkreisten ihn wie Hütehunde ein verloren gegangenes Schaf und kamen schrittweise an ihn heran, als sie seine Situation erkannten steckten sie die Waffen weg.
„Wie is‘n das passiert“ wollte einer wissen.
„Ich wollte mal nachsehen ob die Werkstatt das Scheibenwischwasser wirklich gewechselt hatte“ erklärte Frieder Bergmann hoffnungsvoll, bald wäre sein Martyrium beendet.
Die Polizisten wechselten beziehungsreiche Blicke, der Mann war wohl nicht ganz normal.
Einer zückte wieder seine Waffe, der andere ging zur Seite wo Bergmann festklemmte, dann wuchtete er an der Motorhaube herum und diese sprang blechern dröhnend hoch, um im gleichen Moment wieder herabzufallen und Bergmann erneut die Hände zu zerschinden. Vor Schmerz brüllend hüpfte er von einem Bein aufs andere, dann gelang es dem Beamten endlich die Haube festzuhalten und Frieder Bergmann war frei. Mit unsicheren Beinen wankte er aus der Reichweite der Haube und sank erschöpft zu Boden, aber die beiden Polizisten rissen ihn sofort wieder hoch und drängten ihn mit den Händen voran auf die jetzt ordnungsgemäß geschlossene Haube. Seine Beine spreizten sie mit kräftigen Fußtritten, so dass er mit dem Oberkörper auf die Haube aufprallte und sein Kopf ebenfalls auf das Blech schlug.
„So“ sagte einer der Beamten lautstark „jetzt noch mal die Geschichte, aber wenn Sie versuchen uns zu verarschen können wir sehr unangenehm werden, verstanden was ich meine?“
Wie um Bergmann einen Anhaltspunkt dafür zu geben was er meinte drosch er ihm mit dem Schlagstock in die Kniekehle, Bergmann schrie auf.
„Das Scheibenwasser“ stammelte er „es ist die Wahrheit.“
„Sag’ mal“ sprach der Polizist seinen Kollegen an „ob der besoffen ist oder unter Drogen steht? So benimmt sich doch kein normaler Mensch! Den nehmen wir mit!“
Sie rissen ihn erneut von der Haube empor und Bergmann stand ihnen zugewandt taumelnd da. Sein Haar war schweißverklebt, das Gesicht ölverschmiert, die Hose zerrissen, das Hemd mit der grünen Flüssigkeit gesprenkelt und seine Hose großflächig durchnässt.
„Ist das etwa..“ fragte einer der Beamten fassungslos und Bergmann nickte nur, dann heulte er.
„Der kommt mir nicht ins Auto“ sagte der Polizist „den Dreck und Gestank kriegen wir nie wieder los.“
„Stimmt“ bestätigte sein Kollege „wir haben nichts gesehen, los, hauen wir ab.“
In einem enormen Tempo waren die beiden Männer in ihrem Fahrzeug verschwunden, dann raste der Streifenwagen los, Frieder Bergmann war wieder allein. Vorsichtig näherte er sich seinem Auto, öffnete behutsam die Fahrertür und ließ sich in den Sitz sinken. Als er zufällig in den Rückspiegel schaute zuckte er erschrocken zurück, ein ölverschmiertes Gesicht starrte ihm entgegen, auf der Stirn hatte sich bereits eine dicke Beule gebildet (daran waren die Polizisten schuld) und die verklebten Haare standen auf seinem Kopf wirr durcheinander. Die flackernden Augen erinnerten ihn daran was in der letzten halben Stunde passiert war. Gott sei Dank, jetzt geht es nach Hause dachte er sich, da fiel ihm ein, dass er sich in dieser Hose nicht dorthin trauen konnte. Mit schwachen Beinen kam er aus dem Sitz hoch und durchstreifte die Müllkippe auf der Suche nach etwas Brauchbarem, erfolglos. Plötzlich erinnerte er sich daran, dass zwei Kreuzungen weiter weg ein Sammelcontainer für Altkleider stand und fuhr dorthin. Misstrauisch beobachtete er die Gegend, um diese Zeit (jetzt, bereits nach 19 Uhr) war keine Menschenseele mehr zu sehen und entschlossen bewegte er sich auf den Container zu.
Er stand das erste Mal vor so einem Behälter, ansonsten entsorgte seine Frau immer die abgetragene Kleidung. Der Mechanismus der Klappe war so ausgelegt, dass man zwar etwas hineinbefördern, aber kaum herausholen konnte. Trotzdem zwängte Bergmann seine Hand hinein und nach einigen Versuchen bekam er etwas in die Hand, er zog kräftig und bekam eine Hose durch die Klappe bugsiert. Mit seiner Beute versteckte er sich schnell hinter dem Container und begutachtete das Kleidungsstück. Die Hose war gar nicht einmal von schlechter Qualität, bloß ihr Schnitt und das Muster wirkte befremdlich. Wo hatte er so etwas denn schon einmal gesehen? Er zermarterte sein Gehirn, dann wusste er es. Kürzlich hatte er sich eine Reportage über Afghanistan angesehen, die Männer dort trugen solche ausladenden Beinkleider, die durchaus bequem aussahen. Da er am heutigen Tag an seinem Glück zweifelte beließ er es bei diesem einen Versuch und in der Deckung des Containers zog er seine Hose aus, als er nur in der Unterhose dastand nahm er aus den Augenwinkeln wahr, dass sich ein Polizeiauto langsam aus der Straße entfernte. Hektisch streifte er die Hose aus dem Container über und war dann mit einem Satz in seinem Auto, mit aufheulendem Motor entfernte er sich schnell vom Containerstandplatz.
Gut drei Kilometer lagen noch vor ihm, erleichtert, dem ganzen Schlamassel entkommen zu sein, pfiff er vor sich hin. Da ihm die Frontscheibe schmutzig erschien und einige Insekten darauf klebten betätigte er den Hebel um Wasser darauf zu spritzen und staunte, dass die Flüssigkeit braun und schlierig war, der Scheibenwischer verschmierte sie noch mehr und er sah kaum noch etwas. So entging ihm auch, dass die Ampel an der nächsten Kreuzung auf Rot stand und er rollte einfach darüber hinweg, wütendes Hupen verfolgte ihn und er trat erschrocken auf die Bremse. Nichts geschah, das Auto rollte weiter und obwohl er seinen Fuß auf das Pedal hämmerte verringerte sich die Geschwindigkeit nicht, verzweifelt schaltete er die Zündung aus und erreichte damit, dass die Servolenkung jetzt auch nicht mehr arbeitete. Wie ein Matrose auf einem alten Segelschiff zerrte er nun aus Leibeskräften am Steuer, um wenigstens in der Spur zu bleiben. Allmählich verlor das Fahrzeug an Geschwindigkeit, er rangierte es mit letzter Kraft in eine Parklücke und zog mit zitternden Händen die Handbremse fest. Um das Auto musste sich Rüdiger, sein achtzehnjähriger Sohn, morgen kümmern, schließlich hatte der Kerl gerade das Abitur abgelegt und bis zu ihrer Ferienreise frei. Er selbst würde am kommenden Tag eben ausnahmsweise einmal mit der Bahn auf Arbeit fahren.
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