Der erste Teil des individuellen Beitrages heißt freitägliches Nichtstun. Je besser wir alle es fertigbringen, an diesem einen Wochentag möglichst ohne fossilen Energieaufwand (Kohle, Erdöl oder -gas bzw. daraus gewonnenen elektrischen Strom) auszukommen, desto weniger Kohlendioxid wird emittiert, weil für das verlängerte Wochenende auch viele große Kraftwerke heruntergefahren werden. Dies zu organisieren ist eine klassische gesamtstaatliche Regierungsaufgabe und das erforderliche Gesetzespaket ist im Bundestag und Bundesrat absehbar mehrheitsfähig, sobald die der Maßnahme innewohnenden Win-Win-Strategien erkannt sind. Dabei kann (und soll) mit den hier zusammengestellten Empfehlungen selbstverständlich kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, vielmehr möchte ich einige Gedankengänge exemplarisch zusammenführen, die global wie lokal, individuell wie international, politisch wie wirtschaftlich, biologisch wie gesellschaftlich insgesamt Wege zu zivilisatorisch positiv notwendigen Fortschritten aufzeigen.
Lasst uns also freie Freitage abhalten, arbeitsfrei, schulfrei, möglichst auch autofrei und vor allem gewaltfrei, friedfertig, verantwortungsbewusst und in demokratisch gleichberechtigten Kommunikationsbahnen, damit die Kinder wieder unbefangen lachen können, weil sie dann wissen, dass sie eine (ethisch) gute Zukunft haben.
Thilo Schäfer, Anfang 2020
Determination und Freiheit
Unser bisher trotz einiger historischer Rückschläge recht erfolgreiches Zivilisationssystem existiert auf der Grundlage einiger natürlicher Vorgaben des Lebens auf dem Planet Erde. Die im Universum weitgehend einzigartige Zufallskonstellation natürlicher Bedingungen, die das Dasein der Lebewesen bisher grundlegend garantiert, hat es den Menschen ermöglicht, ihre Freiheiten zu entdecken und so auszubauen, dass die meisten friedfertig glücklich sein können oder könnten.
Einige Elemente des Natursystems sind nun ausgenutzt, überlastet oder bereits zerstört: aussterbende Tier- und Pflanzenarten, Müll in den Meeren, verdichtete und vergiftete Böden, verschmutztes Trinkwasser, Klimachaos …
Die Gestaltung einer positiven Zukunftsperspektive für heutige und für künftige Generationen erfordert einen Stopp dieser negativen Nebenwirkungen, weil sie existenzielle Gefahren sind. Die größte positive Kraft im Zivilisationssystem ist die Freiheit. Wir brauchen sie und die nötige Zeit, um das Gesamtsystem so zu optimieren, dass es an die Naturbedingungen angepasst weiterexistieren kann.
Das ist ein sehr grundlegender Paradigmenwechsel: Bisher haben wir die Natur an unsere Vorstellungen von einem guten Leben angepasst, jetzt müssen wir unsere Lebensweise gut an das anpassen, was von der Natur noch übrig ist, denn wir sind existenziell davon abhängig und daher ist jegliches Gelingen des Lebens davon abhängig. Frei sein, zivilisiert und kultiviert sein steht dazu nicht im Widerspruch (nur die egoistische Willkür als vermeintliche und leider allzu oft missverstandene ‚Freiheit‘).
Viele – auch ethisch gute - Vorschläge wurden bereits gemacht und ansatzweise auch umzusetzen versucht, aber blieben angesichts laufend zunehmender CO2-Konzentra-tionen eben doch noch ohne wirklichen Erfolg. Es fehlt in der Regel der starke und zugleich gesellschaftlich breite positive Impuls und die Zeit läuft davon. Dabei ist die Größenordnung der Problematik von den meisten noch nicht erkannt, denn sie ist so ungeheuerlich, dass sie verdrängt wird, um es damit auszuhalten (s.u.: Die Größe des Problems).
Sahen sich die Menschen bisher von der Natur determiniert - in ihrer freien Entfaltung begrenzt – und haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte mit Hilfe von Artefakten und verschiedensten Techniken von der direkten Abhängigkeit weitgehend befreit, so befinden sie sich nun in einer umgekehrten Situation: Weil wir die Natur in unsere Schranken verwiesen haben, sind wir nun für sie und ihre Gesunderhaltung verantwortlich. Sie ist unsere Existenzgrundlage und wir sind zumindest körperlich lebendige Teilsysteme von ihr.
Unsere Freiheit ist zu einer neuen Determination geworden. Indem wir die Natur durch Rohstoffabbau, Wasserentnahme, Artenvernichtung, Abgase, Abwässer, Abwärme und Abfälle determinieren, schränken wir die Basis für die eigene Gesundheit, Versorgungssicherheit und die Gestaltungsmöglichkeiten heutiger und künftiger Generationen ein, arbeiten teils gegen unsere ureigenen Grundinteressen. Diese Zusatzdetermination im bisherigen Zivilisationsprozess ist durch eine qualitativ neue Art von Befreiung auflösbar: durch Seinlassen, d.h. durch bereinigen und befreien des Zivilisationsökosystems von den genannten negativen Nebenwirkungen, indem wir sie regelmäßig unterbrechen, wöchentlich einen Tag Pause machen und sie mittelfristig minimieren indem wir das Zivilisationssystem an das Natursystem anpassen. Im Zusammenhang von Klimagerechtigkeit und Freiheit sei an Hannah Arendts Feststellung zum Ursprung dessen, was wir heute ‚Demokratie‘ nennen, erinnert: „Freiheit und Gleichheit waren [und sind Anm.d.Verf.] keine Attribute einer wie immer gearteten menschlichen Natur, sondern Qualitäten einer von Menschen errichteten Welt“ (H. Arendt: Denken ohne Geländer , S.113, erschien 2005 im Piper-Verlag, München).
Mein Vorschlag für ein Maßnahmenbündel zum Erreichen der Klimaschutzziele des Pariser Abkommens besteht aus folgenden Elementen:
Mindestens ein Jahr lang die Freitage freimachen von Arbeit, Massenemissionen, unnötigem Straßenverkehr, unnötigem Konsum und Müll – am effektivsten gesetzlich und bundesweit, besser: europaweit und schließlich weltweit. Das heißt:
Möglichst schon donnerstagabends alles abschalten, was klimaschädlich sein kann. Nur Aktivitäten, die sich klimaneutral oder klimaschützend (z.B. Kohlenstoff bindend) auswirken, sind passend an freien Freitagen.
Freitags Großemittenten abschalten bringt eine sofortige Reduktion der Klimagasfreisetzung um ein Fünftel und stellt die nötige Lebens- und Lernzeit für das jetzt notwendige gesellschaftliche Umdenken sowie für die nötige Kreativität für nachhaltige Innovationen bereit, die dem Wohlergehen möglichst aller Lebewesen dienen.
Zeit gewinnen, um zukunftsfähig (oder auch ‚enkelfähig‘ ) zu werden und insbesondere den Natursystemen Zeit lassen, sich selbsttätig zu regenerieren und dabei Kohlenstoff zu binden.
Die an freien Freitagen gewonnene Freiheit als gewonnene Lebenszeit in individueller Weise nachhaltig gestalten. Freizeit hat in allen gegenwärtigen Gesellschaften eine hohe Wertstellung und ist selbst dann, wenn sie als ‚langweilig‘ empfunden wird, von größtem existenzial-pädagogischem Wert.
Sicherheit (durch gesetzliche Garantie): CO2-freie Freitage sind kein Kündigungsgrund, sondern zivilisatorische bzw. zivilisierende Ruhetage, Gewalt und Kriminalität haben an freien Freitagen noch weniger Platz und Gelegenheit als sonst, weil ihnen wesentliche Mittel fehlen, die individuelle und soziale Achtsamkeit deutlich gesteigert wird und dennoch Notdienste und öffentliche Sicherheitskräfte Dienst tun.
Lebensnotwendige Systeme und klimaschutzförderliche Aktivitäten können bereits mit erneuerbaren Energiequellen zumindest klimaneutral betrieben werden. Niemand muss am freien Freitag deshalb frieren oder hungern. In Wohngebäuden eingesetzte Energiequellen und ähnliche Kleinemittenten können auch an freien Freitagen noch fossil betrieben werden. Notbetriebe und Rettungsdienste sind ebenfalls freitags zu gewährleisten. Das hierzu notwendige Personal bekommt flexibel gestaltete Freizeit, die einem freien Wochentag entspricht.
Das in der gegenwärtigen Situation zutreffende Motto der Lebenserfahreneren ist im 21. Jahrhundert nicht mehr „früher war alles besser“, sondern „es war noch nie so gut wie heute, aber wir müssen jetzt einiges ändern, wenn es so gut bleiben soll“.
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