Helena wird in dieser Legende durch Paris, den Sohn des trojanischen Königs Priamos zwecks Heirat entführt. Nach dieser ungeheuerlichen Tat vereinigen sich die Griechen und ziehen gemeinsam gegen Troja, um das ruchlose Verbrechen zu rächen. Aber auch nach zehn Jahren Belagerung ist kein Sieg der alliierten Griechen in Sicht. Auf Anraten des Odysseus bauen die Griechen ein überdimensionales Holzpferd, in dessen hohlem Innenraum sie die besten und tapfersten ihrer Krieger verstecken. Dann täuschen sie ihre Abreise vor und lassen das Holzpferd am Strand der kleinasiatischen Küste vor den Toren Trojas stehen. In der Stadt beraten die Trojaner und werden sowohl von der Wahrsagerin Kassandra als auch vom Priester Laokoon gewarnt. Aber ihre Warnungen werden in den Wind geschlagen, das Pferd in die Stadt geholt und die Niederlage von Troja besiegelt, denn die Soldaten klettern nachts aus dem Inneren des Pferdes, öffnen die Stadttore, lassen die wieder zurück gekehrten Griechen in die Stadt und stecken Troja in Brand.
Athen und Sparta sind streng patriarchalisch organisierte Gesellschaften. Dennoch ist der Gegensatz zwischen ihnen groß. Wenn die Europäer heute von Griechenland als „der Wiege der Demokratie“ sprechen, dann meinen sie Athen und die attische Demokratie und die griechische Philosophie - aber nicht das ganze Griechenland. In Athen und Attika werden erste Demokratieschritte erprobt, die trotz mannigfaltigen sozialen Problemen nicht zurückgenommen werden. Sparta ist eine Militärdiktatur. Athen entwickelt binnen weniger als 100 Jahren aus der Erklärung der politischen Gleichheit aller Vollbürger eine Form geradezu radikaler Demokratie, die auch im Angesicht massiver äußerer Bedrohung durch die Perser nicht aufgegeben wird. Sparta hingegen bleibt auch weiterhin eine Diktatur unter der Fuchtel der Militärs, die die Stadt und ihre Krieger zu weithin gefürchteten Gegnern machen.
Zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. wird Athen von sozialen Unruhen erschüttert. Die Angehörigen der Aristokratie fürchten um ihre Privilegien, sie sorgen sich vor sozialen Umwälzungen, selbst eine Revolution der weitgehend verarmten Bevölkerung scheint nicht mehr ausgeschlossen. Als gleichzeitig viele nicht-adlige, aber freie Bürger mehr Rechte in der politischen Mitbestimmung fordern, muss ein Kompromiss gefunden werden. Für die Oberschicht ist eine Revolution oder gar eine Militärdiktatur das größere Übel, also stimmen sie schließlich 594 v. Chr. der Wahl von Solon (640 – 560 v. Chr.) zum Archonten – dem höchsten Beamten in der Stadt – zu. Eine Reform aus seiner Hand kann nicht so schlimm sein, schließlich gehört Solon selbst dem Adel an.
Aber sie haben sich getäuscht, denn unmittelbar nach Beginn seiner Amtszeit löst Solon die seit 621 v. Chr. geltenden, sprichwörtlich „drakonischen“ Gesetze des Drakon auf und reformiert den Stadtstaat Athen. Zunächst werden die Bauern entschuldet, nicht ohne massiven Druck auf die Gläubiger auszuüben, der Entschuldung auch zuzustimmen. Dann werden Maße und Gewichte vereinheitlicht, wodurch Waren überall miteinander verglichen werden können. Heute nennt man das Markttransparenz. Anschließend verbietet Solon die so genannte „Schuldknechtschaft“. Das „Leihen auf den Körper“ ist bis dahin oft der letzte Ausweg für in Not geratene Bauern, bedeutet aber Sklaverei. Solon legt außerdem eine Höchstgrenze bei Grundbesitz fest und reformiert das Gerichtswesen.
Anschließend legt er eine Verfassung vor, die die Beteiligung aller vier Klassen in Athen festlegt. Die Klassen sind nach Einkommen – gemessen in Scheffel – aufgeteilt; in der ersten finden sich Großgrundbesitzer in der vierten Landarbeiter wieder. Sie haben unterschiedliche Stimmrechte: Gemeinsam wählen sie die Volksversammlung, die das alleinige Recht hat, die obersten Richter des Volksgerichts zu bestimmen. Die drei ersten Klassen dürfen den „Rat der 400“ wählen und die erste Klasse zudem über die Wahl der Archonten mitbestimmen. Die Volksversammlung entsendet 400 Männer in den „Rat der 400“. Da diese Funktion ein Ehrenamt ist, kann es nur von Reichen, also dem Adel oder der Oberschicht angehörenden Personen wahrgenommen werden. Wichtigste Funktion des Rates ist die Bestimmung der Archonten, den höchsten und wichtigsten Beamten in Athen. Der „Rat der 400“ schickt Vorschläge und Abstimmungsvorlagen an die Archonten, die teilweise aus der Volksversammlung kommen, teilweise von ihnen selbst. Schließlich gibt es den Areopag, der sich aus ehemaligen Archonten zusammensetzt. Der Areopag ist eine Art Oberaufsicht über die öffentlichen Belange Athens. Zudem obliegt dem Areopag die so genannte „Blutgerichtsbarkeit“, also Strafverfahren, die mit Tod oder körperlichen Verstümmelungen geahndet werden können. Areopag-Urteile sind unwiderruflich, haben also eine große Bedeutung. Später wird der Areopag entmachtet und auf sakrale oder heidnisch-religiöse Aufgaben beschränkt.
Solon gilt als einer der Wegbereiter der „attischen Demokratie“ – in der Antike hat er den Ruf einer der „sieben Weisen“ des Landes zu sein, aber es gibt nur wenige Überlieferungen über ihn, so dass man mit dem Urteil über sein Wirken vorsichtig sein sollte. Trotzdem hat er es zu Weltgeltung gebracht, denn er ist der erste, der
[Schaubild 2: Verfassung von Solon 594 v. Chr.]
in einer Verfassung den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Solon hat zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit versucht, das Individuum zu emanzipieren. Er hat diese Idee in die Welt gesetzt und damit eine kulturelle Entwicklung angestoßen, die den Menschen und seine Lebenswelt zur Richtschnur des gesellschaftlichen Handelns macht. Der Mensch und sein Leben stehen im Mittelpunkt und nicht die Interessen der Machthaber oder jener, die sich die politische und ökonomische Pfründe bis dahin gegenseitig zugeschoben haben. Jeder Bürger soll teilhaben am Gemeinwesen, nicht nur einige. Dieser Grundsatz gilt bis heute für die europäische Verfassungsgeschichte. Aber so groß Solons Eifer auch ist, es bleibt festzuhalten, dass von wirklicher Gleichheit in modernem Sinne im Jahr 594 v. Chr. nicht die Rede sein kann. Die Reform des Solon gilt nämlich nicht für Frauen, Sklaven und Fremde. Ihnen werden pauschal sämtliche Rechte einer beginnenden politischen Partizipation vorenthalten.
Den Ruf, der Begründer der „attischen Demokratie“ zu sein, hat der um 570 v. Chr. geborene Kleisthenes (570 – 507 v. Chr.). Er ist schnell zum höchsten Beamten Athens geworden, gerät aber in die innerattischen Streitigkeiten über eine Tyrannei des Hippias (ca. 540 – 490 v. Chr.). Jener Hippias schickt Kleisthenes in die Verbannung, wo – der Legende nach - Kleisthenes das Orakel von Delphi bestochen haben soll. Der gekaufte Orakelspruch weissagt daraufhin, dass ausgerechnet der Spartanerkönig Kleomenes I. (um 500 v. Chr.) die Stadt Athen von der Tyrannei befreien müsse. Da die Wirkung eines solchen Orakelspruchs in der antiken Welt der Griechen seine Wirkung nicht verfehlt, hat also jener Kleomenes I. die Meute des Tyrannen vertrieben. Nach einigen weiteren militärischen Auseinandersetzungen kehrt Kleisthenes nach Athen zurück und startet 508 v. Chr. ein Reformprogramm. Man weiß nicht besonders viel über diesen Mann, der vermutlich ein Jahr nach dem Beginn Reformen gestorben ist. Jedenfalls hat er vorher die Stadt verlassen – freiwillig oder gezwungen ist unklar.
Klar ist, dass er in Attika – also in Athen und in den umliegenden Regionen – die Gleichheit der Vollbürger eingeführt hat - die so genannte „Isonomie“. Dazu teilt Kleisthenes das Staatsgebiet Attikas in drei Teile. Diese „Demen“ sind in drei Regionen gegliedert: Stadt, Küste und Hinterland. Die Demen sind in jeweils 10 Unterbezirke aufgeteilt. So entstehen in jeder Region 10 „Phylen“, die in der Volksversammlung vertreten sind. Die Volksversammlung wiederum bestimmt per Los je 50 Abgesandte pro „Phyle“ in den dadurch entstehenden „Rat der 500“. Dieser Rat ist die attische Regierung, während die Volksversammlung zum „zentralen Entscheidungsgremium“ geworden ist, wie es der Althistoriker Wilfried Nippel in seiner 2008 erschienenen Abhandlung „Antike oder moderne Freiheit“ festgestellt hat. Durch die Gleichheit ihrer Stimmen werden alle Bürger Attikas an den politischen Entscheidungen ihrer Region gleichberechtigt beteiligt.
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