Dominic D. Kaltenbach
GELD & SEX
Die Lieblingsthemen derer,
die beides nicht in erfüllender Weise haben?
Impressum
GELD & SEX. Die Lieblingsthemen derer, die beides nicht in erfüllender Weise haben?
Dominic D. Kaltenbach
Copyright: © 2014 Dr. Dominic D. Kaltenbach
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-9965-6
Inhaltsverzeichnis
Vorsicht, Eindringlinge
Geld im Spiegel Dritter
Sex im Spiegel Dritter
Sie haben das Recht, zu schweigen
Literatur
Enttäuscht werden muss, um es gleich vorwegzunehmen, wer glaubt, hier direkt etwas über besonders geheime, erfolgreiche Methoden des Geldverdienens und über besonders ausgefeilte Praktiken der Sexualität zu erfahren. Gegenstand dieser Betrachtung ist weder das Eine noch das Andere.
Vordergründiger Stein des Anstoßes sind hier auch weder die kriminellen Finanzberater, die den „kleinen Mann“ um sein ohnehin nicht vorhandenes Geld bringen, noch die ausufernd schamlosen Medienvertreter, die mit ihrer sexuellen Reizüberflutung selbigen auch noch um seine Sittlichkeit bringen.
Es geht hier vielmehr um bürgerschaftlich engagierte Mitmenschen, die auf kurz oder lang jedes Gespräch völlig willkürlich und gänzlich unabhängig vom jeweiligen Personenkreis auf ihre Lieblingsthemen Geld und Sexualität lenken. Dabei beschränkt sich deren Vorgehen keinesfalls auf kostenlose, unerwünschte Vorträge, wie man sie beispielsweise von Glaubensvertretern kennt, die an der Haustüre klingeln. Wer bereits größte Anstrengungen aufbringen muss, um unverlangte Informationen weder vor sein geistiges Auge, noch in sein Gedächtnis vordringen zu lassen, steht bald vor einer weit größeren Herausforderung. Wie entkommt man möglichst höflich der investigativen Bohrung nach der eigenen finanziellen und sexuellen Erfülltheit?
Die Devise unserer vermeintlich unübersichtlichen und ohne jede Orientierung daherkommenden Zeit scheint zu lauten, wer nicht detailliert berichtet, lebt offensichtlich in einem mehr als bedauernswerten finanziellen wie sexuellen Mangelzustand.
Die Neugier kennt keine Grenzen, schließlich gibt es unendlich weit mehr zu verpassen, als die physische und psychische Begrenztheit eines Menschenlebens zu praktizieren erlaubt. Zum einen eröffnet die Globalisierung die Möglichkeit, unabhängig von der je eigenen Kulturangehörigkeit, weltweit nach geeigneten Lebensentwürfen zu suchen. Zum anderen besteht eine Facette der Individualisierung korrespondierend daraus, sich eigenverantwortlich aus diesen Möglichkeiten seine eigenen Lebensentwürfe zusammenzubasteln. Diese nicht ganz einfache Aufgabe scheint jedoch einige Mitmenschen keinesfalls vor ihr größtes Problem zu stellen. Für diese wirft die grundsätzliche Gestaltbarkeit mit Blick auf den zwischenmenschlichen Umgang vor allem zwei Fragen auf: Mit wem hat man es als Gegenüber wirklich zu tun? Und natürlich auch in umgekehrter Richtung: Für wen oder was werde ich selbst gehalten?
Der amerikanische Soziologe Richard Sennett beschreibt jedoch nicht nur die Blüten dieser von Verunsicherung geprägten Situation. Er sieht darin nicht weniger als den Untergang der Zivilisiertheit begründet. Zunächst spräche natürlich einmal nichts dagegen, den Mitmenschen die notwendige Einschätzung des Kommunikationspartners so leicht als möglich zu machen. Allerdings kommen dem kulturellen Vertreter des lockeren amerikanischen Umgangs erhebliche Zweifel daran, ob diese Hilfestellung zum besseren Verständnis notwendigerweise detaillierte Beschreibungen der sexuellen Begierden enthalten muss. Auch die persönliche Finanzlage und die bevorzugte Vorgehensweise in monetären Angelegenheiten hält Richard Sennett nicht unbedingt für die dringlichsten Informationen, um ein zwischenmenschliches Gelingen zu gewährleisten.
Die wahre Bedrohung für den zivilisierten Umgang scheint jedoch bei genauerer Betrachtung vielmehr von geheimniskrämerischen Lebensweisen auszugehen. Nicht umsonst rückt das „Impression Management“ mit Vorliebe das Intime in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Eindrücke, die andere vom „Ich“ haben sollen, müssen unbedingt ausgeschmückte Details über die Finanzen und das Sexualleben enthalten. Ansonsten passiert, was passieren muss: „Lathe biosas“ - lebe im Verborgenen, riet nämlich bereits der griechische Philosoph Epikur (341 v. Chr. bis ca. 270 v. Chr.). Er kaufte zu diesem Zweck für seine Anhänger in Athen einen Garten („kepos“). Wenn man sich allerdings eine derartige, nicht öffentlich zugängliche Oase zulegt und zudem eine Lebensauffassung vertritt, die sich gänzlich an der „hedone“ (griechisch: Lust) orientiert, liefert man damit vor allem den Ausgeschlossenen eine Steilvorlage, als abartiger Lustmolch verschrien zu werden.
Zwar befanden sich die Griechen auch damals bereits in einer Krise, in einer Hinsicht war die Welt vor dem endgültigen Umbruch allerdings entscheidend übersichtlicher. Zumindest findet Rudolf Wolfgang Müller in den homerischen Schriften aus dem 8. Jahrhundert vor Christus weder ein autonomes Subjekt, noch überhaupt ein Ich-Bewusstsein. Natürlich lockt eine derart harmonische Ordnung zwischen Menschen und Göttern obligatorisch Störenfriede an. Bereits Mitte des 7. Jahrhunderts vor Christus wollte sich der Spötter Archilochos einfach nicht mit dem ihm zugewiesenen Platz gänzlich außerhalb der ehrenwerten Gesellschaft abfinden. Die Argumentation mutet aus heutiger Sicht befremdlich an. Er fühlte sich von aller Welt missverstanden. Ebenso empfand er es als ungerecht, dass die gesamte Ordnung nur „ihm“ feindselig gegenübertreten würde. Heutzutage gehört man mit derlei Auffassungen obligatorisch zur Mitte der Gesellschaft. Damals existierten Ich-Identitäts-Muster jedoch allenfalls in rudimentärer Form.
Relativ kurze Zeit später war der Ofen für das griechische Weltbild der Einheit von Stadtstaat („polis“) und Weltordnung („kosmos“) endgültig aus. Die sich ausbreitenden Makedonier hatten unter Philipp II (um 382 v. Chr. bis 336 v. Chr.) und dessen großem Sohn Alexander (356 v. Chr. bis 323 v. Chr.) das Weltverständnis derart ins Wanken gebracht, dass die altehrwürdige, athenische Demokratie im Jahr 321 vor Christus eine für die Todesfeststellung notwendige, aber nicht hinreichende Nulllinie im Elektroenzephalogramm aufwies. Die Wiederbelebungsversuche der städtischen Gemeinschaft konzentrierten sich nunmehr erstmals auf das Individuum.
Eine individuelle Glückseligkeit („eudaimonia“) aus der staatlichen Ordnung heraus hatte sich als Illusion erwiesen. Bisher zielte die Suche nach dem jeweiligen Glück auf den perfekten Staat. Jetzt drängte sich vielmehr die Frage auf, welche Umstände dem Einzelnen ein Wohlbefinden verwehren. Die Antwort war relativ leicht zu finden: Dem Glück stehen nicht irgendwelche konkreten Dinge, sondern lediglich angsterzeugende Vorstellungen im Weg!
Dies ist der wesentliche Kernsatz der Stoa, einer philosophischen Schule, die um 300 v. Chr. begründet worden war. Versammlungsort war die namensgebende Säulenhalle, die „Stoa poikile“. Diese war nicht nur bunt, wie der Name bereits verrät, sondern, im Unterschied zum Kepos, vor allen Dingen öffentlich zugänglich. Die dort verbreitete Lehre sah die Ursache der menschlichen Angst alleine in der Wahrnehmung. Die Welt als solche ist perfekt. Nichts anderes gilt es von jedem Einzelnen zu erkennen und stoisch hinzunehmen. Ein entsprechend tugendhaftes Leben äußert sich im pflichtbewussten und vernünftigen Gehorsam gegenüber dieser göttlichen Ordnung. Die damals offensichtliche Staatskrise widerlegt diese Auffassung nicht. Kein Stoiker hätte das sich in der Krise befindliche Gebilde als Staat bezeichnet. Der wahre Staat basiert nicht auf willkürlichen Gesetzen, die der Mensch hervorgebracht hat, sondern alleine auf jenen der „Allvernunft“. Ein Garten der Lust kann jedoch weder tugendhaft noch vernünftig sein und führt den Menschen ohne Umweg in die Unfreiheit.
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