»Entschuldigen sie bitte. Ich suche die Haltestelle ´Jamaica` der Air Train.«
Ich sprach ein Ehepaar an, das an einem Taxistand wartete und sich in meiner Sprache unterhielt.
»Sie gehen hier nach rechts, nach circa hundert Metern kommt eine Rolltreppe, die führt sie zur Air Train nach unten. Unten sehen Sie dann das Hinweisschild zur Haltestelle ´Jamaica`.«
»Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.«
Ich schnappte mein Hab und Gut und ging in die gezeigte Richtung. Nach etwa fünf Minuten saß ich endlich im Zug nach New York City. Mein Hotel lag im zentralen Bereich von Brooklyn. Unterwegs musste ich nochmals umsteigen, dann traf ich vollkommen erschöpft und müde im "The New York Loft Hostel" ein. Welch hektische Stadt habe ich mir denn hier ausgesucht? Der Lärm dröhnte mir in den Ohren und mit letzter Kraft und gestammeltem Englisch meldete ich mich an der Rezeption an.
»How are you?«, begrüßte mich eine nette Frauenstimme.
»Hello. Mein Name ist Constanze Winterstein. Ich habe ein Einzelzimmer für fünf Tage in ihrem Hostel gebucht. «
»Hier gebe ich Ihnen das Anmeldeformular, das Sie bitte ausfüllen. Ich benötige bitte Ihren Reisepass. Sie haben das Zimmer Nummer 308 im 3. Stock. Der Aufzug befindet sich dort am Ende der Halle.«
»Vielen Dank.« Mehr brachte ich nicht mehr über die Lippen. Zu müde war ich in der Zwischenzeit und wollte nur noch schlafen.
»You are welcome«, wurde ich freundlich verabschiedet.
***
Am nächsten Morgen war ich schon um sechs Uhr wach. Gemütlich ging ich duschen. Das große Badezimmer am Ende des Flurs hatte ich um diese Uhrzeit noch für mich alleine. Schnell waren die Haare geföhnt und ich ging zum Frühstück nach unten.
»Hier ist ja mächtig was los!«, murmelte ich vor mich hin. Der Frühstücksraum war um diese Uhrzeit offensichtlich von den Nachteulen gut besucht. Kleine bunte Tische waren arrangiert direkt neben dem großen Buffet an der hinteren Wand des großen Raums. Große Fenster sorgten für viel Licht und Pflanzen als Abgrenzung zwischen den Tischgruppen für Behaglichkeit. Leise Musik spielte im Hintergrund.
»Hi, ich bin Conny, ist bei euch noch ein Platz frei?«
»Klar, wir gehen jetzt schlafen, waren die ganze Nacht in der City unterwegs.«
»Wow. Und mächtig getankt, was?! Könnt ihr mir noch einen Tipp geben, womit ich heute und um diese Zeit mit dem Besichtigen von New York beginnen könnte?«
Eines der Mädchen antwortete mir: »Ich würde dir empfehlen, nach dem Frühstück gleich zur Freiheitsstatue zu fahren. Dann ist dort noch nicht so viel los. Ach ja, ich bin Peggy«, und schon war sie verschwunden.
Gesagt, getan! Aber zuvor schrieb ich meiner Mutter noch eine kurze Mail an einem PC, der allen Gästen zur Verfügung stand. Sie sollte wissen, dass ich gut angekommen war und in einem netten Hotel wohnte.
Kurze Zeit später gegen 8:00 Uhr lief ich zwei Blocks weiter zur U-Bahn und fuhr bis zur Brooklyn Bridge. Die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich zwischen den hohen Häusern. Ein besonderer Großstadtgeruch lag in der Luft. Ich überquerte die Brücke, die mit einer beachtlichen Länge die Stadtteile Manhattan und Brooklyn verbindet. Unter der Brooklyn Bridge fließt dunkel und dominant der East River und der Blick auf die Skyline von Manhattan war spektakulär. Zu Fuß ging ich beschwingt weiter zum New Yorker Hafen und dort bestieg ich die Fähre ´attery Park – Liberty Island´, Richtung New York. Die Fahrt und der Fußweg zur Fähre waren unbeschreiblich aufregend. Fremde Sprachen erreichten mein Ohr. Ich hatte noch nie so eine laute, pulsierende Stadt erlebt. Überall eilende Menschen, Autogehupe, Leuchtreklamen, die auch am Tage leuchteten, und gigantische Werbetafeln. Die Gerüche waren mir so fremd und wieder beschlich mich das mulmige Gefühl, das mich schon beim Landeanflug heimgesucht hatte. Doch ich schritt weiter meines Weges und sprach mir selbst Mut zu. Du hast es so gewollt, nun musst du auch hier durch, mit allen Vor- und Nachteilen.
Von der Fähre aus hatte ich einen sagenhaften Blick auf die Skyline von New York. Es waren Gebäude, die in den Himmel wuchsen, so schien mir. Der Hudson River glitzerte im Morgenlicht. Weiße kleine Schaumkronen zeigten sich im Wasser, und die Gischt spritzte an beiden Seiten des Schiffs bis zur Reling hoch. Die Luft war warm und der Wind strich mir zärtlich um den Kopf, so als ob er mein aufgewühltes Inneres beruhigen wollte. Peggy hatte Recht, es waren erst wenige Touristen unterwegs, und die meisten New Yorker waren offensichtlich schon bei ihrer Arbeit.
Dann sah ich sie, die Freiheitsstatue, genannt ´Statue of Liberty`. Wow . Um mich herum verstummten die Gespräche und ein Raunen ging durch die Menge. Die imposante Statue kam immer näher, und nach etwa einer halben Stunde Fahrzeit legten wir an der Insel an. Ich schlenderte gemütlich zum Sockel, um mir die vielen Gedenktafeln anzusehen. Aber immer wieder schaute ich über den Hudson River zur Stadt oder zum New Yorker Hafen, die mich magisch anzogen. Anschließend begann ich mit dem Aufstieg im Treppensystem, das mich bis zum Kopf der Statue brachte. Ich fühlte mich betrunken vor lauter Glück. Der Aufgang zur Fackel war leider gesperrt. Erstmals genoss ich den grandiosen Ausblick auf die gesamte Stadt und das anstrengende Treppensteigen war vergessen.
Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich schaute Richtung Europa und dachte an meine Mutter und meinen Bruder. Was beide wohl gerade tun würden? Es war dort schon Abend. Ich vermisste sie sehr. Schmerzlich zog sich mein Herz zusammen. Ach hätte ich sie beide jetzt doch an meiner Seite und wir könnten zu dritt diese Reise erleben. Für Mama wäre so eine Reise zu anstrengend - sie würde sicher ständig über ihre Grenzen gehen, um mit uns beiden mitzuhalten. Auch der Jetlag, der nach dem Rückflug nach Deutschland nicht ausbleibt, würde ihre Kräfte übersteigen. Aber sie würde solche Momente wie hier in diesem Augenblick sicher genießen.
Direkt nach dem Abstieg kaufte ich Ansichtskarten. Ich schrieb diese an meine kleine Familie und meine Großeltern, erzählte ihnen von meinen ersten Eindrücken, während ich mir ein verspätetes Mittagessen in einem kleinen Lokal gönnte, das ich auf dem Rückweg zum Hotel in Chinatown entdeckt hatte. Auch in diesem bunten lauten Stadtteil pulsierte das Leben, exotisch und fremd. Satt, zufrieden und auch ein bisschen kaputt nahm ich die U-Bahn und kehrte zur Herberge zurück. Ich gähnte und stellte fest, dass ich inzwischen zu müde war, um mich den anderen im Aufenthaltsraum anzuschließen, nur bei Peggy schaute ich kurz vorbei.
***
»Hi, Peggy. Mensch, bin ich geschafft. Es war echt ein guter Tipp von dir, dass ich so frühzeitig zur Freiheitsstatue gehen sollte.«
»Ja, wir hatten am Montag den Fehler gemacht, erst mittags hinzufahren und da war die Hölle los.«
»Peggy, du sprichst so gut deutsch mit wenig Akzent. Woher kommst du eigentlich, Skandinavien oder so?«
»Danke. Aus Norwegen bin ich, aus einem kleinen Nest in der Nähe von Oslo. Ich hatte vier Jahre Deutsch in der Schule und dieses Jahr machte ich meinen Abschluss. Im Herbst gehe ich nach Oslo, um Medizin zu studieren.«
»Ehrlich? Ich werde hier zwei Semester Englisch studieren und anschließend zuhause auch Medizin!«
»Das ist ja ein Zufall!«
Nachdem wir uns umarmt hatten, verabredeten wir uns zum Frühstück am kommenden Tag. Wir wollten dann zusammen zum Solomon R. Guggenheim Museum und anschließend in den Central Park.
***
Beschwingt starteten Peggy und ich am nächsten Morgen, spazierten nur wenige Straßen über eine Brücke zur U-Bahn 495. Der Himmel zeigte sich wieder von seiner freundlichsten Seite, trotz der frühen Morgenstunde. Nach nur kurzer Fahrzeit nahmen wir den Ausgang ´96 thStreet` und landeten in der Nähe des Central Parks mitten in Manhattan. Von überall her empfing uns Lärm. Polizisten, die mit gellenden Pfeifen den Verkehr regelten, Hupen, hetzende Menschen, die irgendein Ziel anstrebten. Wie im Irrenhaus! Nichts auf Dauer für mich , dachte ich entnervt. Wir spazierten an riesigen Bäumen entlang, und auf der gegenüber liegenden Seite zeigten sich prachtvolle viktorianische Häuser. Mittlerweile hatten wir sommerliche Temperaturen, kein Wölkchen war am stahlblauen Himmel zu sehen. Wir lachten ausgelassen und erzählten uns die ganze Zeit aus unseren Leben.
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