Es war am Abend eines heißen Tages, als Richard auf seinem ihm ebenso verhaßten wie schmerzvollen Krankenbette lag. Sein helles blaues Auge, das stets einen ungemein lebhaften Glanz hatte, flammte förmlich vor Fieberglut und blickte unter seinen langen blonden Locken so scharf wie die letzten Strahlen der Sonne durch das Gewölk eines im Nahen begriffenen, durch ihren Glanz noch vergoldeten Ungewitters. Seine männlichen Züge verrieten die Fortschritte der verzehrenden Krankheit, und der vernachlässigte, ungepflegte Bart bedeckte Lippen und Kinn. Während er sich von einer Seite zur andern warf, bald die Decke über sich zerrend, bald sie ungeduldig wegstrampelnd, stand Thomas von Vaux, an Gesicht, Anstand und Benehmen der schärfste Kontrast zu dem leidenden Monarchen, vor seinem Lager. Ein Mann von riesenhafter Größe, behaart wie Samson, mit derbem, kraftvollem, durch zahlreiche Narben entstelltem Gesicht, die Oberlippe nach Normannen-Sitte von einem dicken Knebelbarte bedeckt, der sich im Haupthaare verlor, so lang war er; von einem Körper, so muskulös und ausdauernd, daß er dem Klima und all den Strapazen Trotz bieten konnte, galt er im Heere der Kreuzfahrer als der rührigste, tüchtigste, wichtigste Kämpfer. Das Zelt, worin er sich mit dem Könige befand, zeigte, dem Charakter des letzteren entsprechend, keine Spur von Luxus. Allerhand Waffen lagen oder standen umher, Häute von Jagdtieren bedeckten den Boden oder hingen an den Wänden. Dazwischen kauerten drei gewaltige Windhunde mit schneeweißem Fell. An einem Tische in der Nähe des Bettes lehnte ein dreieckiger Schild von gewundenem Stahl, auf dem sich die drei wandelnden Löwen befanden, die der ritterliche Monarch in sein Wappen aufgenommen hatte, darüber der einer Herzogskrone ähnliche Goldreif, der mit der die Krone einfassenden gestickten Tiara aus purpurnem Sammet damals das Sinnbild von Englands königlicher Herrschaft bildete. Neben dem königlichen Symbol, gleichsam zu seiner Wehr, lag eine gewaltige Streitaxt, für jeden als König Richards Arm zu schwer.
In einem äußeren Abteil des Zeltes warteten einige Beamte des königlichen Haushaltes, in tiefer Unruhe über den Gesundheitszustand ihres Gebieters, nicht weniger auch über ihre eigene Sicherheit im Fall seines Todes.
»Du hast mir nichts Besseres zu berichten, Sir Thomas?« fragte der König nach langem, düsterem Schweigen in fieberhafter Aufregung. »Alle unsere Ritter sind zu Weibern geworden? und all unsere Weiber zu Betschwestern? nirgends mehr sprüht ein Funke von Mut und Tapferkeit in einem Lager, das den Kern der Ritterschaft Europas enthält! Ha!«
»Der Waffenstillstand,« erwiderte Thomas von Vaux wohl schon zum zwanzigsten Male mit Ruhe und Gelassenheit, »hindert uns an Taten; und was die Damen betrifft, nun, so bin ich kein Freund von Gelagen und vertausche Stahl und Leder selten gegen Gold und Samt. Doch, soviel ich weiß, warten unsere schönsten Schönen auf Ihre Majestät die Königin und die Prinzessin, um nach dem Kloster von Engaddi zu wallfahrten, wo sie Gelübde für die Genesung Eurer Hoheit erfüllen wollen.« – »Wir sind also dahin gekommen,« versetzte Richard mit fieberhafter Ungeduld, »daß königliche Frauen und Jungfrauen sich in einer Gegend in Gefahr begeben, wo die herumstreifenden Hunde dem Menschen so untreu sind, wie das Volk seinem Gott!« – »Mylord,« sagte, Thomas von Vaux, »Saladins Wort ist ihnen doch Bürgschaft genug.« – »Hm, hm!« entgegnete Richard, »ich habe dem heidnischen Sultan Unrecht zugefügt und bin ihm Genugtuung schuldig. Wollte Gott, ich könnte sie ihm in Person zwischen den beiden Heeren anbieten – vor den Augen des Christen- und des Heidentums!«
Richard streckte bei diesen Worten den rechten Arm, bis an die Schulter entblößt, aus dem Bette, richtete sich mühsam in die Höhe und schüttelte die geballte Faust, als ob er Schwert oder Streitaxt über dem mit Juwelen besetzten Turban des Sultans schwenkte. Nicht ohne Anwendung von Gewalt, die der König schwerlich von einem anderen geduldet hätte, nötigte Thomas von Vaux seinen fürstlichen Gebieter, sich ins Bett zurückzulegen, und deckte den nervigen Arm mit Hals und Schulter fürsorglich wie eine Mutter zu. »Du bist ein rauher Wärter, aber Du meinst es gut, Thomas!« rief der König, bitter lachend, während er sich dem stärkeren Manne fügte... »Mich dünkt, eine Haube müßte Deinem grämlichen Gesicht so gut stehen, wie dem meinigen ein Häubchen. Kind und Amme müßten wir sein, zum Schrecken für alle.« – »Es sind auch schon Männer durch uns erschreckt worden, mein König,« sagte Thomas von Vaux, »und ich erlebe es wohl auch wieder. Was hat ein Fieberanfall zu bedeuten?« – »Fieberanfall?« rief Richard ungestüm. »Bei mir magst Du recht haben; aber wie stehts bei den übrigen christlichen Fürsten, bei Philipp von Frankreich, bei jenem dummen Oesterreicher, bei dem von Montserrat, bei den Hospitalitern, bei den Tempelrittern, wie stehts bei diesen? Ich will Dir sagen, was es bei ihnen ist: Lähmung, Schlaf oder Starrsucht ists, eine Krankheit, die ihnen Sprache und Tätigkeit raubt, ein Krebs, der ihnen am Herzen frißt! Das hat sie ihrem Rittergelübde untreu gemacht, das hat sie gleichgültig gemacht gegen Ruhm, das hat sie von ihrem Gott abwendig gemacht!«
»Um Gottes Willen. Lehnsherr, nicht so heftig!« entgegnete Thomas von Vaux. »Man hört Euch ja draußen, und solche Aeußerungen sind schon zu verbreitet unter den gemeinen Soldaten und wecken Streit und Zwietracht unter dem christlichen Heere. Bedenkt, daß eben Eure Krankheit hauptsächlich ihre Tätigkeit lähmt!«
»Du schmeichelst Deinem König, Thomas,« erwiderte Richard, und, für Lob nicht unempfindlich, legte er, bedächtiger als vordem, den Kopf auf das Kissen zurück. Aber Thomas von Vaux war kein Höfling und wußte nicht, wie er das Thema weiter ausspinnen sollte, um den König in der ruhigeren Stimmung zu erhalten. Drum schwieg er, bis Richard, wieder in seine düsteren Betrachtungen fallend, scharf sagte: »Fürwahr, das sind angenehme Worte, einen Kranken zu besänftigen. Entschwindet denn einem Fürstenbunde und der ganzen Ritterschaft Europas Mut und Kraft, wenn ein einziger erkrankt – und wäre dieser einzige auch zufällig König von England? Warum sollte Richards Krankheit oder Tod den Zug von dreißigtausend Mann aufhalten, die ebenso tapfer sind wie er? Warum treten die Fürsten nicht zusammen und wählen einen Stellvertreter zur Heerführung?« – »Mit Verlaub, Eure Majestät,« entgegnete Thomas von Vaux, »wie ich höre, sind hierüber Beratschlagungen unter den königlichen Befehlshabern gepflogen worden.« – »Ha!« rief Richard, dessen Eifersucht wach wurde und seinen Gedanken eine andere Richtung gab, »bin ich schon vergessen bei meinen Bundesgenossen, ehe ich noch das letzte Sakrament empfangen habe? Halten Sie mich schon für tot? Doch nein, nein! Sie haben recht. Und wen erwählten Sie denn zum Anführer des christlichen Heeres?« – »Wahrscheinlich den, König von Frankreich,« versetzte Thomas. – »Ei, versteht sich!« entgegnete der englische Monarch, »Philipp von Frankreich und Navarra, Seine allerchristlichste Majestät! wenn er bloß nicht » en avant« mit » en arrière« verwechselt und uns statt nach Jerusalem nach Paris zurückführt.« – »Man könnte vielleicht auch den Erzherzog von Oesterreich wählen,« meinte Thomas von Vaux. – »Er ist allerdings so dick und stark wie Du, Thomas, wohl auch so dickköpfig, doch nicht so gleichgültig gegen Gefahr und Beleidigung. Ich sage Dir, der Oesterreicher hat bei aller seiner Fleischmasse nicht mehr Mut als ein Zaunkönig. Fort mit ihm! Er ein Anführer der Ritterschaft zu ruhmvollen Taten? Eine Flasche Rheinwein laßt ihn saufen mit seinen schmutzigen Bärenhäutern und Landsknechten!« – »Wie denkt Ew. Majestät vom Großmeister der Tempelritter als Heerführer?«
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