Es war die Zeit der Herbststürme und der Marsch in das Operationsgebiet wurde zu einer Tortur. Über Wasser kam das Boot kaum voran und wurde durch die Strömung auch noch oft versetzt, so dass der Obersteuermann alle Mühe hatte, ihren Standpunkt zu bestimmen. Das einzig Gute an dieser Situation war, dass keine Flugzeuge in der Luft waren. Nach vielen Tagen der Plackerei hatte das Boot sein Zielgebiet erreicht. Die Männer an Bord waren erschöpft und Haberkorn brachte das Boot öfter unter Wasser, um ihnen wenigstens etwas Ruhe zu gönnen. Als sich das Wetter etwas gebessert hatte bildete das Boot zusammen mit anderen einen Sperrstreifen auf einer der Geleitzugrouten. Zwei Tage später lief ein Konvoi in das von den deutschen Booten überwachte Gebiet. Haberkorn hatte einen gut geplanten Unterwasserangriff gefahren und konnte mit einem Viererfächer zwei Frachter aus dem Geleit herausschießen, zwei Torpedos waren Oberflächenläufer gewesen. Er hatte aber eine in der Nähe stehende Fregatte übersehen, deren Leute an Deck das Sehrohr erkannt hatten. Das Boot war mit Alarmtauchen in der Tiefe verschwunden. Die ersten Wasserbomben waren gefallen als sie noch über der 100-Meter-Tiefenmarke waren und hatten, ob Zufall oder Können, so gut gelegen, dass es zu zahlreichen Ausfällen gekommen war. Die Ruderanlage war kurzzeitig ausgefallen und auf Handsteuerung umgekuppelt worden, Kompass und Echolot waren defekt, alles Dinge, die man aber durchstehen konnte. Schlimmer war jedoch gewesen, dass zwei Wasserbomben an Backbord unterhalb des Bootes und sehr nah hochgegangen waren. Durch die gewaltigen Erschütterungen hatte es an der Backbord-E-Maschine einen Kurzschluss gegeben, so dass nur noch die Steuerbord-Maschine zur Verfügung gestanden hatte. Einige Batteriezellen waren ausgefallen. Beim Backborddiesel war nach einer Sichtkontrolle festgestellt worden, dass offensichtlich einige Ein- und Auslassventile und Kipphebel des Motors beschädigt worden, aber das spielte momentan bei Unterwasserfahrt keine Rolle. Glücklicherweise hatte es keine Wassereinbrüche gegeben, so dass Haberkorn den Rat des Kapitäns berücksichtigt hatte und auf große Tiefe gegangen war. Die beiden Männer hatten vereinbart, dass Haberkorn das Boot auf dieser Reise prinzipiell führen würde, und wenn der Kapitän eine grundsätzlich andere Meinung zu dessen Befehlen haben sollte, würden sie sich kurz darüber verständigen. Bei 200 Metern Tiefe hatte der LI das Boot abgefangen und Haberkorn das Ruder schon vorher hart Backbord legen lassen, also aus der Ablaufrichtung des Kriegsschiffes herausdrehend. In 145 Metern waren zwei Bolde ausgestoßen worden. Er hoffte mit dieser Maßnahme die garantiert bald wieder anlaufende Fregatte mit diesem Scheinziel ablenken und damit Zeit gewinnen zu können. Eine Warnung des LI, dass die Steuerbord-E-Maschine nicht auf volle Touren kam, erschreckte ihn. Außerdem hatte er mit einem Blick auf den Tiefenmesser gesehen, dass das Boot jetzt auf 190 Meter Tiefe abgesackt war. Die Tiefe an sich hielt er noch nicht für bedenklich aber die Tendenz des Verhaltens des Bootes. Ihm war auch klar, dass die Leistung der nur einen E-Maschine keine grundlegende Änderung hervorrufen könnte, selbst wenn die Tiefenruder eigentlich durch ihre Stellung eine Aufwärtsbewegung veranlassen sollten. Er ließ kurz anblasen und wusste, dass er dadurch ihre Position verraten würde. Die Fregatte würde die durch die Bolde erzeugte Blasenwolke wahrscheinlich orten aber die aufsteigenden Luftblasen aus den Tauchzellen wären das eindeutigere Indiz. Außerdem war die Wirkung der Täuschkörper in großer Tiefe relativ gering. Haberkorn hatte aber keine Wahl gehabt, denn wenn er jetzt nicht gegensteuern würde könnte das Boot durchrauschen. Der Kapitän saß auf der Kartenkiste und beobachtete Haberkorn.
Das Boot war auf 175 Meter Tiefe gestiegen.
„Turbinengeräusche, kommen schnell näher. 125 Grad.“
Wenn sich die Korvette hätte täuschen lassen wäre sie hinter dem Heck des Bootes vorbeigelaufen, aber die Männer an Bord des Schiffes hatten sich offensichtlich nicht auf die falsche Fährte führen lassen und näherten sich dem Boot jetzt von schräg hinten von Steuerbord.
„170 Grad, schnell näherkommend!“
„230 Grad. Auf 120 Meter Tiefe gehen.“
Haberkorn versuchte die Kurse beider Fahrzeuge in ein Bild zu bringen. Die Korvette hatte eine Drehrichtung nach Steuerbord und genau auf 180 Grad in Bezug zum Boot. Die Asdic-Strahlen pingten. Er musste die Zeit nutzen um aus der Anlaufrichtung herauszukommen und ließ deshalb nach Backbord drehen. Da er große Befürchtungen hatte, dass das Boot bei einem erneuten Angriff noch mehr angeschlagen werden könnte, hatte er höher gehen lassen um dann nicht allzu tief zu sein.
„Anlauf beginnt!“
„Große Fahrt!“
Quälend langsam änderte das Boot den Kurs und dann waren auch schon die Schraubengeräusche mit bloßem Ohr zu hören.
„Wirft Wasserbomben!“
Haberkorn schaute zum Kapitän hin. Dieser hatte sich erhoben und lehnte am Kartentisch. Die Arme hatte er gekreuzt vor der Brust verschränkt und er schien ganz ruhig. Nach Haberkorns Einschätzung würde die Korvette, da sie während des Anlaufs jetzt nicht mehr orten konnte, doch hinter dem Heck des Bootes vorbeilaufen. Die Wasserbomben sanken mit ungefähr 7 Metern in der Sekunde. Sie hatten bei 120 Meter Tiefe also zirka eine viertel Minute Zeit um aus dem Wurfbereich herauszukommen. Die eine funktionsfähige E-Maschine verschaffte dem Boot eine Geschwindigkeit von vier Knoten, das waren sieben Kilometer in der Stunde oder rund zwei Meter in der Sekunde. Sie würden also gerade einmal 30 Meter Abstand gewinnen können. Haberkorn konnte natürlich auch nicht lokalisieren wo genau die Bomben geworfen worden waren sondern musste sich jetzt auf die wenigen Informationen stützen die er hatte. Wenn der Gegner seinen Kurs durchsteuern würde könnten sie unter dem Bombenteppich herauskommen, aber es würde knapp werden. Vier krachende Detonationen nah am Heck. Das Boot wurde durch die Detonationen nach vorn gedrückt. Das Licht ging aus. Die Stahlröhre dröhnte und jaulte wie ein getretener Hund. Taschenlampen blitzten auf. Haberkorn spürte sofort eine zunehmende Vorlastigkeit. Einen Moment später meldete eine panisch klingende Stimme aus dem Heckraum, dass die Steuerbord-Wellenstopfbuchse stark Wasser machen würde. Der Kapitän wies den LI an sich die Sache anzusehen und übernahm selbst die Tiefensteuerung. Haberkorn ließ mittschiffs steuern und auf 80 Meter gehen. Er vermutete, dass die Korvette ein Stück ablaufen und dann einen Vollkreis drehen würde. Der LI war nach kurzer Zeit zurück und meldete mit flatternder Stimme, dass zirka 300 Liter Wasser in der Minute eindringen würden.
„Mit Leckkeilen abdichten“ befahl Haberkorn.
In drei Minuten würden sie eine Tonne Wasser im Boot haben und der Trimm wäre gefährdet. Haberkorn glaubte nicht daran, dass man die Leckage richtig abdichten könnte. Dieses Problem könnte man aber eventuell durch die Nutzung der Hauptlenzpumpe lösen, doch das Gerät könnte nur während des Detonierens der Wasserbomben laufen, ansonsten würden sie ihre Position ganz deutlich preisgeben. Die Gefahr, dass ihnen die noch eine arbeitende E-Maschine absaufen würde war jetzt akut geworden. Sie würden unbedingt lenzen müssen.
Das Asdic zirpte.
„Schraubengeräusche aus 45 Grad, näherkommend.“
Wieder rasselten die Ortungsstrahlen über den Bootskörper. Diese Schweine dachte Haberkorn, die folgen uns wie an einer Schnur und wir sind fast vollkommen hilflos. Wir können absolute Stille halten, aber sie entdecken uns mit etwas Glück und Geschick trotzdem. Plötzlich sah er das Wort „Mucksmäuschenstill“ vor sind. Irgendeinen Sinn konnte er darin nicht erkennen. Mäuschenstill wäre für ihn noch erklärlich. Aber was war ein Mucksmäuschen?
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