„Vielleicht will er sich auch dem Kaiser auf seinem Palästinazug anschließen und holt sich nur den Segen für sein Vorhaben?“ mutmaßte der neunzehnjährige Kaspar.
„Oh nein, Kaspar. Niemals! Du hast nicht miterlebt, wie heftig sein Zorn auf den Kaiser war, nachdem dieser ihn nicht empfangen hat. Denn so war der Markgraf wochenlang von Meißen fern, während sich hier die Ereignisse überschlugen und die Feinde Albrechts ihre Macht festigen konnten. Sein Bruder und der Thüringer, das sind seine ärgsten Feinde. Glaube nicht, dass er so schnell aufgibt, und ihnen das Terrain überlässt. Und dann die Markgräfin; sie ist gestorben, ohne dass Albrecht sich mit ihr aussöhnen konnte. Das lastet schwer auf seiner Seele. Doch auch dafür macht er Dietrich und den Kaiser verantwortlich. Bei sich selbst sucht er die Schuld nicht.“
„Woher weißt du das alles, Ragin?“ fragte Wolfram erstaunt.
„Ich habe meine Quellen, mein Freund“, antwortete Ragin gelassen, „und glaub mir, wenn Albrecht jetzt geht, wird er den Tag verfluchen, an dem er das beschlossen hat.“
„Was heißt das? Was weißt du, was wir nicht wissen? Was spielst du für ein Spiel, Ragin?“ Die anderen stürmten beinahe zornig auf ihn ein. Beschwichtigend hob der die Hände.
„Keine Angst, meine Freunde. Ich weiß auch nicht viel mehr als ihr. Aber ich habe Augen im Kopf und Vertraute in der Burg, die meiner Familie zugetan sind. Kommt, lasst uns zu Meister Tassilo gehen. Der wird uns sagen, was wir jetzt tun sollen, denn offensichtlich hat der Markgraf momentan keine Verwendung für uns.“ Ragin wollte sich schon abwenden, um seine Beinlinge und seine Tunika überzustreifen, da fiel ihm etwas ein. „Ach, übrigens, wisst ihr, wo Falk von Schellenberg ist?“ Fragend sah er in die Runde.
„Er ist beim Tross des Markgrafen“ sagte Konrad schlicht.
„Dachte ich mir`s doch. Noch Fragen?“ Die anderen Jungen schüttelten die Köpfe.
Dann wandten sie sich ihren Kleidern zu, um hineinzuschlüpfen. Ohne sich lange bei der Morgentoilette aufzuhalten, nur etwas kaltes Wasser ins Gesicht spritzend, eilten sie bald darauf in den Speisesaal der Burg, wo sie ihren Lehrmeister anzutreffen hofften. Im Vorübereilen sahen sie, wie Albrecht auf sein Pferd stieg und die Hand zum Aufbruch hob. Noch bevor sie die Tür des Saales erreicht hatten, begann sich der Tross in Bewegung zu setzen und bald darauf zeugte nur noch das sich entfernende Rumpeln des schwer beladenen Karrens von der überstürzten Abreise des Markgrafen. Keiner der Jungen sollte Albrecht wiedersehen.
Kloster Altzella
Juli 1195
Ein heftiger Gewitterregen erschwerte das Vorankommen des markgräflichen Trosses. Der schwere Wagen blieb immer wieder im Schlamm des ausgefahrenen Weges stecken. Auf ihm stand eine große Kiste, prall gefüllt mit Silber. Der Markgraf war getrieben von seinem schlechten Gewissen. Er musste unbedingt diesen Schatz nach Altzella zurückbringen, die Mönche um Vergebung bitten und selbst dort Unterschlupf finden, bis er wieder neue Kräfte gesammelt hatte.
Was war so schrecklich falsch gelaufen in seinem Leben? Warum liebte seine Mutter seinen Bruder Dietrich mehr als ihn? Er hatte sie fragen wollen, Trost und Schutz gesucht bei seiner Mutter. Er, der Markgraf, ein Mann, lange dem Jugendalter entwachsen. Doch sie weigerte sich, ihn zu empfangen. Zu tief saß ihr Gram über den dauernden Streit der Brüder um die Herrschaft in der Mark. Sie hielt immer noch zu Dietrich, wollte lieber ihn als Albrecht auf dem Markgrafenstuhl sehen. Sie hatte Intrigen gesponnen, seinen Vater überredet, sich von seinem ältesten Sohn abzuwenden. Nur mit Waffengewalt war es Albrecht gelungen, den Vater zur Abkehr von dem Entschluss, Dietrich als seinen Nachfolger zu bestimmen, zu bewegen. Stattdessen erhielt dieser die Grafschaft Weißenfels. Doch diese genügte ihm nicht, und immer wieder versuchte er die anderen Fürsten gegen den Älteren aufzuhetzen. Was blieb ihm, Albrecht, denn anderes übrig, als seinerseits gegen Dietrich zu ziehen?
Doch die schwere Niederlage vor Weißenfels vor noch nicht einmal einem Jahr hatte eigentlich sein Schicksal schon besiegelt. Die Fürsten stellten sich gegen ihn, seine Verbündeten fielen reihenweise von ihm ab und der Kaiser wollte ihn nicht empfangen und ihm nicht verzeihen. Heinrich hatte sogar mit dem Einzug des Lehens und der Entmachtung Albrechts gedroht. Und als wäre das noch nicht des Leides genug, war auch noch seine Frau Sophie gestorben, bevor er aus Italien zurückgekehrte. Er hatte keine Chance gehabt, sich mit ihr auszusöhnen. Und das war das Schlimmste, bescherte ihm jede Nacht aufs Neue Albträume, in denen seine Frau blutüberströmt mit einem Dolch in der Brust an seinem Bett erschien, ihr Kind in den Armen haltend.
Christina. Seine Tochter, sein einziges Kind. Ihre Zukunft hatte er geregelt. Die arrangierte Ehe mit Hartmann von Lobdeburg war eigentlich keine standesgemäße Verbindung. Christina hätte die Frau eines Fürsten werden können. Aber Albrecht wollte sich eines Getreuen in der Nähe seines Erzfeindes, dem Landgrafen von Thüringen, versichern. Die Lobdeburger waren eine weitverzweigte Sippe, die auch familiäre Beziehungen in den welfischen Landen hatte. Landgraf Hermann betrachtete sie mit Argwohn, da sie zunehmend an Land und Einfluss gewannen. Doch Christina war noch sehr jung, gerade einmal fünf Jahre alt. Und wer weiß, was die Zeit so alles bringen würde.
Der Tross näherte sich Altzella. Der Schrei eines Raben ließ Albrecht aus seinen Gedanken auffahren. Ihn durchfuhr ein Schauer und kurz erfasste ihn das Gefühl einer düsteren Vorahnung. Albrecht riss sich zusammen und richtete sich in den Steigbügeln auf, um bessere Sicht zum Kloster zu haben. Obwohl ihn die Mönche schon von weitem hätten sehen müssen, gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass man das Tor öffnen wollte.
„Schickt jemanden an die Pforte“, befahl der Markgraf dem Anführer seiner Waffenknechte, Henzo von Malsdorf. Mit einem herrischen Kopfnicken wies jener einen der Ritter an, zum Tor zu gehen. Der Mann schlug mit dem Knauf seines Schwertes gegen die hölzerne Tür. Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich schließlich eine kleine Luke im oberen Teil des Tores. Ein alter Mönch mit einer äußerst sauertöpfischen Miene schaute vorsichtig heraus, als wolle er sich vergewissern, ob vielleicht der Zorn des Markgrafen diesen zu unüberlegten Handlungen hinreißen ließ. Es wäre nicht das erste Mal, dass Albrecht sich mit Gewalt gegen das Kloster wandte. Als nichts dergleichen passierte, fragte er nach dem Begehr der Ankömmlinge. Bevor der Ritter antworten konnte, knurrte Albrecht in barschem Ton: „Öffnet endlich das Tor. Ihr wagt es doch nicht etwa, uns den Einlass zu verwehren? Habt ihr vergessen, dass ihr das Kloster nur der markgräflichen Gnade zu verdanken habt?“
Der Bruder Schließer wurde etwas unsicher. Er musste das Kloster vor unliebsamen Eindringlingen schützen. Erst kürzlich hatte er den Abt zu einem Mitbruder in äußerst verwerflicher Rede über Albrecht sprechen hören. Dass dieser ein Dieb sei und nicht würdig, die Geschicke des Landes zu leiten. Doch beruhigte er sich damit, dass es nicht ihm oblag, darüber zu urteilen. Und so öffnete er das Tor und der Tross des Markgrafen ritt und rumpelte mit großem Getöse in den Wirtschaftshof des Klosters.
Albrecht winkte Falk von Schellenberg zu sich. „Geh und finde jemanden, der mich dem Abt meldet“, wies er den Knappen mit barschem Ton an. „Der Feigling scheint sich hier irgendwo verkrochen zu haben. Vielleicht will er sein Geld ja auch gar nicht zurück?“, fügte er boshaft hinzu. Falk beeilte sich, dem Befehl seines Herrn nachzukommen. Für ihn war es ein Wink des Schicksals gewesen, als ihn Albrecht zusammen mit zwei weiteren Knappen auswählte, den Tross zu begleiten. Er hoffte, dass es bald zu einer Schlacht kommen würde zwischen dem Markgrafen und seinem Bruder. Und dann würde er sich seine Rittersporen verdienen. Vielleicht konnte es ihm gelingen, später einmal zu einem Vertrauten des Fürsten aufzusteigen. Immerhin war er der Spross einer bedeutenden Ministerialenfamilie, die weitreichende familiäre Beziehungen ins benachbarte Böhmen unterhielt.
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