Nachdenklich grübelnd steht der König, gegen eine der Spiegeltüren gelehnt.
Irgend jemand hat ihm von dieser reizenden Amazone aus Sénart gesprochen. Wer war es nur? Plötzlich besinnt er sich. Der Herzog von Ayen – und ein anderer noch – der pfiffige Binet muß es gewesen sein. Die Gedankenkette schließt sich. Eine andere Stunde steigt plötzlich auf, da er sie hier in Versailles gesehen und gesprochen, die holde Fee von Sénart, in einer kurzen, ach viel zu kurzen Audienz, die ihm mit der Uhr zugemessen war.
Hat man ihm nicht gesagt, daß diese Frau, wenn er sich recht erinnert die Herrin von Étioles, eine Einladung zu dem Fest in Versailles erhalten hat? Ist sie der Einladung gefolgt? Ist sie hier? Wie soll er sie finden unter den vielen hundert Masken? Weshalb hat ihm dieser Binet nicht gesagt, welche Maske sie tragen wird?
Ein leises »Sire«, hinter ihm geflüstert, unterbricht seine Gedanken. Der Herzog von Ayen ist zu dem König getreten.
Er deutet mit der Hand unauffällig auf ein mit Gold ausgelegtes Konsoltischchen, neben dem eine im Stil der Zeit seines Ahnen gekleidete schlanke Frau steht.
Überrascht halten seine Augen das reizende Bild fest. »Die Montespan, wie sie leibt und lebt! Wissen Sie, Herzog, wer auf den originellen Einfall gekommen ist?«
Der Herzog flüstert ihm etwas zu. Erregt richtet der König sich aus seiner gedrückten Haltung auf. Rücksichtslos durchteilt er die Gruppen, die sich zwischen ihm und Jeanne d'Étioles stauen.
Jetzt steht er vor ihr und verneigt sich tief. Ein paar Augenblicke lang fehlt ihm das Wort. Dann reicht er ihr die Hand und fragt beinahe ehrerbietig:
»Darf ich um die Ehre eines Rundganges bitten, schönste Marquise?«
Unter der knisternden Seide ihres blauen Gewandes schlägt Jeannes Herz laut und unregelmäßig, aber keine Bewegung verrät, was in ihr vorgeht. Leicht und graziös bewegt sie zustimmend den Kopf und überläßt ihre Hand der des Königs. Mit leisem Druck umspannt Louis der Vielgeliebte diese schönste Frauenhand, die er je in der seinen gehalten.
Einen Augenblick wartet Jeanne auf eine neue Anrede. Da der König schweigt, sagt sie mit ihrer zarten, wohlklingenden Stimme:
»Welch eine Ehre und Freude, Sire, daß Euer Majestät meine Maske gleich erkannt haben!«
Der König wird lebhaft.
»Meine Gedanken sind so oft, so mit ganzer Seele bei meinem großen Ahnen, daß ich alles, was mich an jene goldene Zeit Frankreichs erinnert, mit Freuden begrüße.«
Er ließ Jeannes Hand einen Augenblick aus der seinen und stellte sich vor sie hin, sie mit entzückten Blicken zu betrachten.
»Sie haben Geschmack, Madame, einen exquisiten Geschmack. Einen künstlerischen und historischen Blick zugleich.«
Jeanne lacht leise mit ihrem verführerischen Lachen und überlegt klug jedes Wort, das sie spricht.
»Wenn es so ist, Sire, wie Sie zu urteilen geruhen, so danke ich es der Erziehung meines Onkels, Herrn Le Normant de Tournehem. Er ist eine Künstlernatur und hat mich ganz nach seinen persönlichen Grundsätzen ausbilden lassen. Jélyotte gab mir Musikunterricht.«
»Das hört man Ihrer Stimme an, Madame; sie klingt wie eitel Musik.«
Der König hat aufs neue ihre Hand ergriffen und führt sie in der Richtung auf die Königsgemächer zu.
»Und was hat dieser treffliche Onkel Sie weiter lernen lassen, Madame?«
»Bei Guibandot tanzen, bei Crébillon dramatischen Unterricht und Deklamation.«
»Das läßt sich hören, Madame. Sie müssen mir gelegentlich einmal vorlesen, wenn meine melancholische oder heftige Laune mich überkommt, so etwa wie David König Saul mit seinem Harfenspiel besänftigte.«
»Es wird mir eine hohe Ehre sein, Sire.«
»Oder ziehen Sie vor, sich dramatisch zu betätigen?«
Lebhaft sagte Jeanne: »Das Theater ist meine Leidenschaft, Sire. Wir haben in Étioles eine große Bühne, die Herr von Tournehem neben dem Schloß erbauen ließ. Es sind dort Aufführungen veranstaltet worden, an denen selbst der gestrenge Herr Voltaire nichts zu tadeln fand, es sei denn, Crebillon lobte sie.«
Der König lachte ein heiteres unbefangenes Lachen, wie man es selten von ihm hörte.
»Haben Sie die beiden Kampfhähne wirklich zusammen bei sich gesehen? Und sind sie nicht mit Furor aneinandergeraten?«
Nun lachte auch Jeanne.
»Ich habe mein möglichstes getan, Sire, sie zu besänftigen.«
Louis streichelte ihre Hand. Leise und bedeutungsvoll sagte er:
»Diese schönste und zarteste Frauenhand kann ja nicht anders, als Frieden und Segen spenden.«
»O Sire, ich fürchte, Sie haben eine zu gute Meinung von mir. Ich bin nichts weniger als eine sanfte Taube.«
»Das vermute ich auch nicht in Ihnen, Madame. Dazu haben Sie viel zu viel Rasse und Verstand. Sie werden ja nicht vergessen haben, wie klug und schlagfertig Sie mich dazu überredeten, Ihrem Gatten die gewünschte Generalpacht zu übergeben.«
»Geruhen Euer Majestät, sich noch daran zu erinnern?« fragte Jeanne kokett.
»Vergißt man Augen wie die Ihren? Sphinxaugen, unenträtselbare! Damals war ich besser daran als heute. Damals durfte ich ohne Maske in den reizendsten Zügen lesen.«
Louis zog seine Dame gegen die große Spiegeltür, die zu seinen Gemächern führte.
»Legen Sie die Maske ab, Madame,« sagte er warm und drängend, mit den Augen die reizende Gestalt verschlingend.
Jeanne schüttelte den Kopf und machte Miene, sich ihm zu entziehen.
»Seien Sie nicht grausam, Madame! Mein Arbeitsgemach ist jetzt still und leer. Meine Minister sowohl als meine Pagen haben heute Besseres zu tun.«
Aber Jeanne machte keine Miene, ihm zu folgen. Heute noch nicht – nein. Morgen war auch noch ein Tag. Sie sah und fühlte, daß der König in Flammen stand. Sie verlor nichts und konnte nur gewinnen, wenn sie diese Flammen durch ihren Widerstand noch schürte.
»Nur auf einen kurzen Augenblick! Stellen Sie sich vor, Sie seien in Wahrheit Athenais von Montespan und Louis XIV. stände bittend vor Ihnen.«
»Ich stelle mir vor, was Sie wünschen, Sire und gerade deshalb – nein. Die stolze Athenais war nicht so leicht für ein Ja zu gewinnen wie die in Wahrheit sanfte Taube, die La Vallière. Sie ist nicht mein Genre, Sire.«
Der König widersprach lebhaft.
»Sie war liebendes, hingebendes Weib vom Scheitel bis zur Sohle. Gibt es Beglückenderes für einen Mann, der liebt, wie Louis Louise von La Vallière geliebt hat? Nehmen Sie ein Beispiel an ihr!«
Aber Jeanne blieb unerbittlich.
Der König zog sich scheu in sich zurück. Er hatte noch nie, als halber Knabe nicht, um Frauengunst gebettelt. Sollte er es als Mann um die Mitte der Dreißig noch lernen? Das Bewußtsein seiner fast grenzenlosen Macht, die er noch eifriger hütete, als der Sonnenkönig die seine gehütet, kam über ihn. Gleichzeitig aber auch das Bewußtsein aller Qualen, welche seine scheue unruhige Seele ihm bereitete.
Er ergriff die Hand Jeannes, die er hatte fallen lassen, aufs neue. Er hatte sich ja nach etwas anderem als allem bisher Erlebten gesehnt! Hier war es, was er heiß gewünscht. Sollte er es zurückstoßen aus gekränkter Eitelkeit?
»Ich will Sie nicht drängen,« sagte er leise, sich zu Jeanne niederbeugend. »Aber morgen, Sie werden auf dem Stadthausball sein? Dort tanzt man unmaskiert. Dann, nicht wahr, werde ich das Glück haben, Ihr reizendes Gesicht wiederzusehen?«
Jeanne nickte Gewähr. Sie hatte mit ihren scharfen Augen, mit ihren rasch auffassenden Sinnen des Königs Kampf beobachtet, hatte triumphierend ihren Sieg erkannt. Sie wußte, morgen durfte sie gewähren.
Der König flüstert ihr Ort und Stunde des Rendezvous zu.
»Sie werden kommen – bestimmt?«
»Ich werde kommen – bestimmt!«
Er drückte heiß ihre Hand, daß die kostbaren Ringe, die er trug, sich beinahe schmerzhaft in ihre zarte Haut eingruben. Dann entschwand sie ihm rasch mit den zierlich schnellen Bewegungen einer Gazelle in dem Gewühl der nächsten Gruppe.
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