»Meine liebe Madeleine,« sagte er halblaut, »Sie sind nicht mehr so bezaubernd, daß Sie sich dergleichen Extravaganzen noch gestatten dürften. Früher hat man Ihnen auf Konto Ihrer Schönheit mancherlei verziehen. Selbst Herr Poisson ist gegen Ihre allzustürmischen Emotionen empfindlich geworden.«
Sie tat, als habe sie ihn nicht gehört, und ging mit ausgebreiteten Armen auf Jeanne zu, die ernst und nachdenklich in die Flammen blickte.
»Mein armes Kind, haben wir dich dafür so vornehm erzogen, bist du darum so engelschön, daß dieser Esel, dieser Binet – oder hat er vielleicht vergessen, daß das Hôtel des Chèvres in der Rue Croix des Petits Camps liegt?«
Jeanne fuhr der Mutter über das welke, bis vor kurzem noch so schöne Gesicht, das das ihre an Zauber noch übertroffen hatte.
»Beruhigen Sie sich doch, geliebte Mama! Vetter Binet ist kein Esel –«
»So hat er die Einladung nicht bekommen, was noch schlimmer ist,« schluchzte Madeleine Poisson.
»Er wird sie schon bekommen haben. Sie unterschätzen die Macht des Kammerdieners Sr. Hoheit des Dauphins. Aber vergessen Sie nicht, die Hochzeitsfeierlichkeiten bringen viel Arbeit – und ehe er von Versailles bis zum Hôtel des Chèvres kommt!«
Frau Poisson trocknete ihre Tränen.
»Du magst recht haben, mein Liebling. – Du bist ja klüger als wir alle zusammen, meine geliebte Jeanne.«
Sie herzte und küßte ihr schönes Kind.
»Herr von Tournehem,« sagte sie dann, sich mit gekünsteltem Zeremoniell nach ihm zurückwendend.
Tournehem verneigte sich in gleicher Art mit der leichten liebenswürdigen Ironie, die ihm eigen war.
»Madame Madeleine Poisson?«
»Poisson schrieb mir heut flüchtig und beruft sich auf einen Brief an Sie, den er Ihnen per Kurier, vom Rhein glaube ich, sandte. Er sagte, er habe Ihnen darin den jetzigen Stand seiner Angelegenheiten auseinandergesetzt. Wie liegen die Dinge?«
Auch Jeanne trat vom Feuer fort auf Herrn Le Normant zu.
»Ja, was machen die Angelegenheiten des armen Papa? Man sollte sich wirklich besser anstrengen, seine lange Verbannung wieder gutzumachen. Die Brüder Pâris, für die er sich doch im Grunde geopfert, dürften sich mehr für ihn ins Zeug legen.«
»Ta, ta, meine liebe Jeanne, wir dürfen – trotz aller schuldigen Liebe – die Fehler deines Vaters denn doch nicht gar zu gering anschlagen. Er hat als Angestellter der Proviantkommission ein bißchen stark auf eigene Hand gewirtschaftet.«
»Ich muß sehr bitten,« fuhr Madeleine Poisson auf, »François hat sich bei der Verproviantierung von Paris zuschanden gearbeitet. Da können kleine Irrtümer in den Finanzen schon vorkommen.«
»Das Schatzamt hat 232000 Livres zu Recht von ihm zurückverlangt. Wenn Sie das kleine Irrtümer nennen!«
Madeleine fuhr abermals auf.
»Lassen Sie doch die alten Geschichten, Tournehem. Das Urteil wurde vor beiläufig achtzehn Jahren gefällt. Da Seine Eminenz, der Kardinal Fleury, es durchgesetzt hat, daß François nach acht Jahren aus Deutschland zurückkommen durfte, da er vom Staatsrat Entlastung für einen Teil seiner Schulden erhalten, da die Pâris ihn mit Freuden wieder in ihre Dienste genommen haben, kann mein Mann doch nicht ganz der Dieb und Räuber sein, zu dem Sie ihn stempeln wollen.«
Tournehem lächelte über den Zorn der Freundin.
Sich bequem in den schweren, vergoldeten Armstuhl zurücklehnend, in dem er im Laufe des Gesprächs Platz genommen hatte, meinte er: »Da wären wir ja wieder bei dem alten Streit, der so überflüssig als irgend denkbar ist; denn wir haben alle drei nur Poissons Bestes im Auge, das er, nebenbei gesagt, seiner Begabung und seiner Energie halber vollauf verdient.«
»Ja, das haben wir, Onkelchen, und wenn ich erst da bin, wo ich bald sein werde,« – sie tauschten einen raschen Blick des Einverständnisses – »soll der Vater bald zu hoher Gunst und Ehre gelangen!«
Madeleine Poisson umarmte gerührt ihr schönes Kind.
»Ja du, du wirst uns alle glücklich machen,« schluchzte sie; dann, fast in demselben Atem, in ihren heftigen Ton zurückfallend, fing sie aufs neue auf Binet zu schelten an: »Wäre nur dieser verdammte Dummkopf erst da!«
Tournehem nahm den Faden wieder auf, ohne des weiteren auf den temperamentvollen Ausbruch Madeleine Poissons zu achten. Vierundzwanzig Jahre hatten genügt, ihn daran zu gewöhnen.
»Im übrigen geht es Poisson nichts weniger als schlecht. Seine Reise an den Rhein, wohin ihn die Pâris vorige Woche mit einem geheimen Auftrag geschickt, scheint sich recht einträglich zu gestalten. Klug, ehrgeizig und raffiniert, wie Poisson ist, wird er bald wieder Oberwasser haben.«
»Wollte Gott und die heilige Jungfrau, es wäre so!« Frau Poisson schlug die Augen fromm gegen die Salondecke auf. »Ich habe heut schon dreimal für ihn im Betstuhl gekniet.«
»Hoffentlich nicht vergebens«, tröstete Le Normant ironisch.
Halblaut fügte er hinzu. »Sie wissen doch, Madeleine, daß dem Himmel die Gebete der Sünder wohlgefälliger sind als die der Gerechten!«
Frau Poisson tat, als habe sie ihn nicht gehört, was sie nicht hinderte, ihm einen koketten Blick aus ihren noch immer bezaubernd schönen Augen zuzuwerfen.
Jeanne, die das Talent hatte, alles zu sehen und zu hören, auch wenn sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt schien, war die leise Bemerkung Tournehems und das Augenspiel ihrer Mutter nicht entgangen, obwohl sie seit einer ganzen Weile schon gegen das Fenster lehnte.
Wieder schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf, der ihr schon öfter gekommen war: Sollte Tournehem, dieser vornehme Kulturmensch, der ihr in Abwesenheit des Vaters eine so gediegene Erziehung gegeben, mit dem sie soviel kluges Verstehen verband, nicht am Ende ihr eigentlicher Vater sein?
Nachdenklich preßte sie die Stirn gegen die gefrorenen Scheiben. Was nützte das Grübeln? Sie würde die Wahrheit vermutlich nie erfahren. Im übrigen würde diese Wahrheit weder an ihren Gefühlen, noch an ihrer Beurteilung der beiden Männer auch nur das geringste ändern.
Sie hatte sie beide lieb, den begabten, gewalttätigen, grobschlächtigen, im Grunde gutmütigen Poisson sowohl, als den vornehmen, weltmännischen Tournehem.
Sie würde, wenn sich ihres Lebens Ziel erfüllte, an der Zukunft, an dem Glück und dem möglichen Ruhm beider mit gleicher Willenskraft arbeiten.
Als Jeanne d'Étioles sich zu den anderen zurückwandte, hörte sie, daß Tournehem von ihrem Bruder Abel sprach.
»Was nützt ihm seine Schönheit, Madeleine, wenn er faul und ohne Ehrgeiz ist?«
Die Frau, die in einem Stuhl vor dem Feuer kauerte, meinte müde, daß sie nicht wisse, wie ihr einziger Sohn zu diesem Mangel an jeglichem Temperament komme. In der Hauptsache sei Abel scheu und schüchtern über die Maßen, und aus diesem Grunde zu keiner Stellung tauglich.
»Der Effekt bleibt derselbe.«
»Ich werde ihn schon aufrütteln. Wartet's nur ab!« rief Jeanne, die wieder zu ihnen getreten war, den schönen Kopf stolz im Nacken.
»Sieh zu, gutzumachen, was dein Vater mit der Knute verschüttet hat!«
»Keine Sorge, Onkel Tournehem, ich weiß schon, wie der Bruder zu nehmen ist.«
»Still!« rief Frau Poisson, aus ihrem Stuhl aufschnellend. »Es biegt ein Wagen in die Rue Croix des Petits Camps.«
Sie stürzte ans Fenster und versuchte, mit den Nägeln den Frostschleier von dem Glase zu schaben.
Dann, als das Geräusch eines auf dem holprigen Pflaster näher kommenden Wagens stärker wurde, flog sie zur Tür, riß sie weit auf und schrie laut nach der Jungfer.
Nanette legte im Erdgeschoß die letzte Hand an Jeannes Maskenkostüm für das Fest in Versailles. Das Kostüm war bis jetzt für jeden tiefes Geheimnis geblieben.
»Nanette! Nanette!«
Der schwarze Kopf der Gerufenen wurde auf der Treppe sichtbar.
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