»Rasch öffnen! Es kommt Besuch, mach' den Wagenschlag auf!«
Herr Binet, Kammerdiener Seiner Hoheit des Dauphins, lächelte mit glatten Mienen, als er den Eifer der hübschen Zofe sah.
»Gemach, gemach, Kleine! Sie reißen mir ja den Mantel in Stücke. Eilt's denn so sehr?«
Dann rief er dem Kutscher die Weisung zu, in einer Stunde wieder vorzufahren.
Nanette starrte derweilen verzückt auf das kunstvoll gemalte Wappen am Wagenschlag.
Herr Binet schritt ihr mit großen, majestätischen Schritten voraus, die Treppe hinauf.
»Meine schöne Cousine zu Haus?« fragte er nachlässig zurück.
Auf den oberen Stufen wurde Frau Madeleines scharfe Stimme laut.
»Wir erwarten Sie schon, Vetter. Mit Ungeduld erwarten wir Sie.«
Binet zuckte vornehm die Schultern unter dem dunklen Mantel.
»Hofdienst, meine liebe Madame Poisson, geht vor Frauendienst!«
Auf der obersten Stufe angelangt, küßte er Madeleine galant die Hand.
»Ich grüße Sie, Madame Poisson!«
»Warum so steif, mein lieber Binet, weshalb nicht Cousine – Tante?«
»Weil ich mit den Étioles, nicht mit den Poissons verwandt bin,« gab der Kammerdiener Seiner Hoheit des Dauphins mit Würde und starkem Nachdruck zur Antwort.
Frau Poisson hielt ihren Gast an den weit ausfallenden Spitzen seines Ärmels fest.
»Gleichgültig! Die Hauptsache, bringen Sie die Einladungskarte?«
Wieder zuckte der große Mann die Schultern.
»Wäre ich sonst hier?«
Frau Poisson atmete erleichtert auf und bekreuzigte sich.
»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«
Als sie in den blauen Salon traten, in dem die Holzscheite zusammengesunken waren und nur noch einen schwachen Lichtschein gaben, fanden sie das Zimmer leer.
Während Frau Poisson den vielarmigen Lüster entzündete, fragte Binet ungeduldig nach Madame d'Étioles.
»Mein Auftrag geht an meine schöne Cousine.«
»Sie wird bei der Kleinen sein. Jeanne ist eine zärtliche Mutter!«
»Ein Vorzug mehr«, meinte Binet vieldeutig, mit zynischem Lächeln.
Nanette, die den schon vorher beorderten Muskateller und die kleinen Körbchen mit süßem Kuchen, Binets Lieblingskuchen, vor dem Gast niedersetzte, erhielt den Auftrag, Frau d'Étioles zu rufen.
Kaum daß Madeleine ausgesprochen hatte, trat Jeanne schon ins Zimmer, strahlend, erwartungsvoll.
Binet küßte die schöne, schlanke Hand länger, als nötig gewesen wäre.
»Alles steht zum besten!« flüsterte er. »Ich habe Ihnen viel zu sagen.«
Jeanne nickte und ersuchte ihre Mutter, sie mit Herrn Binet allein zu lassen.
Als Madeleine zögerte zu gehen, fragte Binet ungeduldig:
»Darf ich fragen, Madame, wer im Hôtel des Chèvres Herrin ist? Sie, die Sie nur Gast sind, oder Madame d'Étioles, der das Haus gehört?«
Frau Poisson wollte heftig werden. Ein bittender Blick der Tochter besänftigte sie sofort. Schweigend und verärgert verließ sie das Zimmer.
»Und nun erzählen Sie, Vetter,« bat Jeanne mit heißen Wangen. »Hab' ich dem König wirklich gefallen? Will er mich wirklich beim Fest haben? Seine blauen Augen, bei Gott, die schönsten blauen Augen Frankreichs, wie man sie nennt, sahen mich bei der Audienz sehr gütig an. Haben Sie Seiner Majestät gesagt, daß ich schon um ihn geweint, als er in Metz auf den Tod lag?«
Binet streichelte die schöne Hand seiner Cousine.
»Alles hab' ich ihm gesagt, direkt oder durch den Herzog von Ayen. Seine Majestät hat die bezaubernde Amazone aus dem Walde von Sénart nicht vergessen. Übrigens dürfen Sie Ayen getrost als Ihren Bundesgenossen betrachten.«
Binet griff in die Tasche.
»Hier die Einladungskarte für die Schlußfeierlichkeiten der Hochzeit. Morgen Maskenball in Versailles, übermorgen Ball im Stadthaus.«
Jeanne wiegte mit triumphierendem Lächeln die Karte in der Hand. Laut las sie ihren Namen und das Datum der Tage.
»Man wird ihn sich merken müssen, diesen 25. Februar 1745, an dem eine gewisse Madame d'Étioles zum erstenmal das Parkett von Versailles betrat,« meinte Binet vielsagend.
Jeanne saß nachdenklich da, das feine Oval ihres Gesichtes in die Hand gestützt.
Nach einer kleinen Pause, während Binet wohlgefällig und seiner Sache gewiß das schöne Geschöpf betrachtete, sagte sie zögernd:
»Wir haben in unserem Optimismus eins nicht bedacht, Binet. Ich gehöre nicht zur Hofgesellschaft, ich bin eine Bürgerliche. Wird der König darüber fortkommen?«
Binet bewegte mit der Miene des Besserwissers den Kopf.
»Gerade darin liegt ein neuer Anreiz für Seine Majestät. Er hat die Mailly, die Vintimille, die Châteauroux gründlich satt. Diese drei Schwestern Nesle haben ihm genug zu raten aufgegeben. Die Zeit der vornehmen Damen ist für ihn vorüber. Sie haben ihm zuviel Ungemach eingetragen.«
»Immerhin, er hat sie geliebt. Seltsam – drei Schwestern – eine hat die andere abgelöst.« Und bei sich dachte sie: Dieu merci, daß ich keine Schwestern habe!
»Der König liebäugelt mit dem Bürgertum. Er braucht den Bourgeois und will ihn dadurch ehren, daß er keine Frau von Geburt mehr zur Geliebten nimmt. Aber das alles wird Ihnen der Herzog von Ayen oder – der König selbst viel besser erklären, als ich es vermag.«
Er hielt einen Augenblick inne.
»Sie sind sehr klug, Jeanne, und dabei, leugnen Sie es nicht, im Grunde eine kalte Natur. Sie werden, wenn Sie die Gunst Louis des Vielgeliebten erringen – und ich zweifle nicht daran –, sehr bald tiefer und klarer in die Dinge hineinschauen als wir, trotzdem wir seit Jahren am Hofe sind. Nur auf eines möchte ich Sie von vornherein aufmerksam machen: des Königs Gedanken und Sinne bleiben bei keinem Gegenstand, auch bei keiner Frau, lange stehen. Wer ihn halten will, muß es verstehen, ihn dauernd zu beschäftigen und zu amüsieren, mit einem Wort: es verstehen, ihn über sich selbst hinauszubringen, damit er den unwiderstehlichen Anwandlungen der melancholischen Langeweile, die ihn wie eine Krankheit gefangen hält, nicht unterliegt.«
Jeanne nickte verständnisvoll.
»Ich weiß von diesen Anwandlungen. Abbé Bernis und der Herzog von Nivernois, die ich auf den Montagen der Madame Geoffrin kennen lernte, und die dann später in Étioles viel bei mir verkehrten, haben mir öfter davon erzählt. Auch Voltaire weiß ein Lied davon zu singen. Wo mag der alte Spötter stecken?«
»Wie man sagt, in Cirey bei seiner Freundin.«
»Der weisen Marquise von Châtelet!« lachte Jeanne. »Ich kann sie mir lebhaft vorstellen, die beiden, wie sie in ihrer geliebten Champagne Mathematik und Naturwissenschaften miteinander treiben – anstatt –« Sie biß sich auf die Lippe und verhielt ein Lachen.
Binet blickte nach der Bouleuhr auf dem Kaminsims.
»Gleich neun! Um zehn hab' ich Dienst. Übrigens fragt Seine Hoheit, sonst die Präzision in Person, momentan nicht viel nach Pünktlichkeit, so verliebt ist er in die Infantin, seine Braut.«
»Um so besser,« dachte Jeanne. »So wird er sich nicht um andere Dinge kümmern, bei denen man den frommen Herrn ganz und gar nicht brauchen kann.« –
Binet war aufgestanden, nachdem er den letzten der kleinen, süßen Kuchen zwischen die Lippen geschoben.
»Nur eine Frage noch, schönste Cousine! Haben Sie für ein interessantes Kostüm gesorgt, und was ist es, was Sie tragen werden?«
Jeanne legte den Zeigefinger auf den Mund.
»Pst!« machte sie. »Staatsgeheimnis, Herr Vetter!«
»Oh! Oh! Ich werde es doch erfahren dürfen?«
»Trotz aller schuldigen Dankbarkeit – nein!«
»Wirklich unerbittlich?«
»Unerbittlich!«
Jetzt sah Jeanne auf das Zifferblatt.
»Der Dienst ruft, Herr Vetter. Selbst ein verliebter Dauphin braucht seinen Kammerdiener – Vielleicht erst recht –«
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