Für heute mußte man die Späße einstellen, denn es war an der Zeit, heimzugehen. Beim Scheiden wurde aber beschlossen, daß man sich morgen nachmittag wieder hier treffen wolle.
»Jeder hat sich einen neuen Spaß ausgedacht«, rief Bärbel, »wer nichts weiß, muß uns bei Gelegenheit eine Tafel Schokolade schenken.«
Die Folge davon war, daß in allen fünf Köpfen angestrengt darüber nachgedacht wurde, wie man morgen die Leute auf der Straße belästigen könne, denn die Scherze sollten natürlich wieder auf der Straße ausgeführt werden, aber möglichst nicht in der Nähe der Apotheke.
Anderen Tages traf man sich wieder im Garten der Apotheke und hielt Kriegsrat ab.
Kuno war der erste, der seinen Feldzugsplan entwickelte. »Ich nehme einen Topf mit, der ist voll Wasser, unterwegs füllen wir ihn immer wieder, und jeder, der uns entgegenkommt, wird begossen.«
»Bist meschugge«, tadelte Bärbel, »wir wollen doch nur Späße, die einen vornehmen Charakter haben. – So was ist gewöhnlich!«
»Ich meine doch sauberes Wasser«, sagte Kuno entrüstet.
»Nein, – das geht nicht. – Wer weiß etwas Besseres?«
Lore entwickelte einen Plan, der begeisterte Aufnahme fand.
»Da wollen wir aber nicht in eine belebte Straße gehen, am besten ist es, wir gehen zum Stadtwall, dort kommen die Fuhrwerke vom Lande zur Stadt.«
Schon waren die fünf am Aufbruch. Unterwegs wurden wiederum die Rollen verteilt.
»Nur immer feste durcheinanderschreien«, kommandierte Bärbel.
Eingehenkelt marschierten die Kinder die Straße dahin, die zum nächsten Dorfe führte. Ein Einspänner kam den Kindern entgegen. In langsamem Schritt ging das Rößlein. Auf dem Kastenwagen hatte ein braves Bäuerlein Platz genommen, das stumpf vor sich hinschaute.
Nun war der Wagen an die Kinder herangekommen, – da ging es los. Bärbel wies erregt auf eines der Hinterräder: »Das Rad – seht nur das Rad!«
»Oh – das Rad – es dreht sich!«
»Das Rad dreht sich!« brüllten die Zwillinge.
»Wie das aussieht, oh – das Rad – das Rad!«
Alle fünf Kinder schrien aus Leibeskräften. Der Bauer bog sich zur Seite, um zu sehen, was es gäbe. Er hörte ein Geschrei, das einem Rade seines Wagens gelten mußte. War da vielleicht etwas in Unordnung?
Immer erregter gebärdeten sich die Kinder, sie liefen neben dem Wagen her, Bärbel schrie: »Das zweite Rad auch – oh, beide Räder!«
Der Bauer hielt das Pferd an. »Was ist denn?«
Alle fünf kreischten durcheinander: »Das Rad – das Rad – die beiden Räder!!«
Der Bauer wickelte sich aus der großen grauen Decke, stieg umständlich vom Wagen herunter; und nun rief ihm Bärbel nochmals triumphierend entgegen: »Das Rad dreht sich!«
»Das zweite auch«, ergänzte Lore.
»Ätsch – reingefallen«, schrie Kuno; und als der Bauer nach der Peitsche griff, rannten alle fünf Kinder, so schnell sie konnten, davon.
»Vermaledeites Pack!« schimpfte der Bauer, untersuchte aber doch die Räder und stieg dann verärgert wieder auf den Wagen.
Auch beim zweiten Fuhrwerk gelang der Spaß. Die kutschierende Frau hielt an und stieg ab, weil auch sie glaubte, daß eines der Räder sich löse. Sie schalt kräftig hinter den Kindern her.
Nun ging es wieder zurück nach Dillstadt. Man durchwanderte die Straßen. Voran die drei Mädchen, hinterher die Zwillinge. Da plötzlich tönte aus Martins Munde ein schriller Schrei. Als sich Bärbel umdrehte, sah sie einen Mann, der stehend Martin übers Knie gelegt hatte und ihm kräftige Schläge versetzte.
Man erkannte den Bauer, der irgendwo ausgespannt hatte. »Es dreht sich«, sagte der Bauer, indem er weiter schlug, »der andere Bengel kommt auch dran.«
Die vier stoben davon und überließen den schreienden Martin seinem Schicksal. Erst als sie sich in Sicherheit fühlten, warteten sie auf den weinenden Bruder.
Der teilte Püffe aus, auch Kuno beteiligte sich daran, beide beschimpften die drei Mädchen.
»Ihr Feiglinge, aber natürlich, ein Weibsbild hat eben keinen Mut im Herzen!«
»Bist ja auch fortgelaufen«, sagte Bärbel.
»Nur um euch zu beschützen.«
»Schafskopp!«
Daraufhin wurde beschlossen, sich von den Zwillingen zu trennen. Martin hatte für heute alle Lust zu dummen Streichen verloren, denn der Bauer hatte kräftig zugeschlagen.
»Ich denke, wir wollen uns erst ’mal stärken«, meinte Bärbel, und Lore kam auf den Gedanken, in den eigenen Garten zu gehen.
»Unsere Pflaumen sind zwar noch nicht blau, aber der Nachbar hat schon reife. Die werden wir kriegen.«
Man zog hin. Der Nachbargarten wurde vom Brunsschen Grundstück aus einer genauen Besichtigung unterzogen. Eine hohe Ziegelmauer trennte die beiden Grundstücke, aber über diese Mauer hinweg hing ein Zweig mit köstlichen gelben Pflaumen.
»Die kriegen wir nicht«, sagte Bärbel. »Der Baum steht zu weit von der Mauer entfernt.«
Sechs Augen gingen sehnsuchtsvoll zu den gelben Früchten hinauf.
»Wenn man auf den Baum steigen könnte, – aber so weit kann man nicht springen.«
Auf der mäßig breiten Mauer spazierten die drei Mädchen und schauten jenseits in den tiefen Graben, der sich an der Mauer entlangzog, hinter dem Baum an Baum stand.
»Hier herunter können wir nicht. Aber man könnte ein Lasso werfen.«
»Mit einem Strick läßt sich der Baum nicht schütteln«, meinte Lore.
»Wenn man etwas gegen den Baum stemmte?«
Nach kurzem Überlegen brachte Lore zwei Wäschestützen heran. »Ich habe eine Idee. Wir stellen uns auf die Mauer, stemmen die Stützen gegen den Baumstamm, das andere Ende gegen uns, und dann versuchen wir den Baum zu schütteln.«
»Wenn ihr nun ausrutscht?« wagte die etwas ängstliche Hanna einzuwenden, »dann fliegt ihr in den Graben.«
»Wir rutschen nicht aus«, meinte Bärbel, »wir haben doch die Stützen.«
Rasch war die Mauer wieder erklommen, Hanna reichte die Stangen hinauf, und nun wurde der Angriff vorgenommen. Beide Stangen wurden an den Stamm des Pflaumenbaumes gesetzt, Bärbel stemmte sich das andere Ende der Stange in die Achselhöhle, Lore tat ein gleiches, und Hanna sollte kommandieren: eins – und eins – und eins. Bei der jedesmaligen eins wollten die beiden mit aller Wucht gegen den Baum stoßen.
Das Kommando ertönte: Eins!
Der Zweig mit den Früchten schwankte zwar, aber keine Pflaume kam herunter.
»Doller«, sagte Bärbel.
»Eins – und eins – und …«
Ein kurzer Aufschrei, Bärbels Stütze war von dem Stamm des Baumes abgeglitten, und gerade, als sie sich mit voller Wucht dagegenstemmte, stürzte sie kopfüber jenseits der Mauer hinab, hinein in den schmutzigen Graben.
»Bärbel!« Lore schrie es entsetzt, verlor die Stange und lag im nächsten Augenblick neben der Freundin. Der Schlamm spritzte hoch auf und überschüttete Bärbel – von oben bis unten.
Triefend kamen die beiden Kinder herausgekrochen.
»Au – oh …« stöhnte Bärbel.
Sofort ließ sie sich unter dem Pflaumenbaume nieder. »Au, – ich kann nicht laufen.«
»Ich blute«, weinte Lore.
Von der anderen Mauerseite rief Hanna verzweiflungsvoll nach den Freundinnen. Schließlich kletterte sie auf die Mauer und sah die beiden schmutzstarrenden und nassen Mädchen.
»Ich glaube, ich habe mir beide Beine gebrochen«, sagte Bärbel. »Au – au – o je – ich blute ja auch!«
Was war nun zu machen? Hanna sprang wieder von der Mauer hinab, lief in ihrer Angst in die Villa, fand ein Hausmädchen und erzählte ihm, daß Lore und Bärbel mit gebrochenen Beinen sich nebenan verbluteten.
»Du lieber Himmel, die gnädige Frau ist nicht zu Hause.«
Das Mädchen und Hanna eilten in den Nachbargarten, machten den Besitzer auf das Vorgefallene aufmerksam, der nun mit Frau und Tochter nach dem Garten ging, um zu sehen, was vorgefallen sei.
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