Es wurde sogar getanzt. Dann gab es eine kleine Maskerade.
Als die Kinder in ihrer Verkleidung in die Apotheke kamen, lief Bärbel auf den Vater zu und flüsterte ihm ins Ohr:
»Fürcht’ dich nur nicht vor uns, ich bin es, und ich tu’ dir nichts!« Aber Herr Wagner und sein Provisor gaben sich doch den Anschein, als hätten sie vor der maskierten Schar furchtbare Angst, worauf Bärbel besorgt rief:
»Na, Vati, guck’ mich doch an, ich bin doch das Bärbel! Ich behüte dir!«
»Dann ist’s ja gut, Bärbel, da brauchen wir uns nicht zu fürchten.«
»Nein, dir tut keiner was!«
Dann ging’s an einen Umzug durch Haus und Garten. Joachim und sein Freund führten den Zug an.
Aber Frau Wagner hielt es doch für geraten, diesen Umzug mitzumachen. Als sich Joachim anschickte, über die Hecke zu steigen, wehrte sie ab. Sie mußte auch noch öfter ein Verbot ertönen lassen, denn Joachim wollte den Zug über die unmöglichsten Stiegen und Gefährnisse führen und behauptete schließlich ärgerlich:
»Macht ja keinen Spaß, wenn die dummen Mädels nicht mitkönnen.«
Dann gab es Himbeerbowle. Herr Wagner hatte Selterwasser gegeben, in das nun Himbeersaft gegossen wurde.
»O«, jauchzte Goldköpfchen, als es den ersten Schluck nahm, »das schmeckt nach eingeschlafenem Fuß.«
Man trank, bis Frau Wagner den Kindern die Gläser fortnahm.
Ganz ohne Streitigkeiten verlief auch dieser Tag nicht, denn Goldköpfchen bekam mit Joachims Freund das Zanken. Da schritt Ludwig zum Tisch, nahm seine geschenkte Schachtel Konfekt unter den Arm und erklärte:
»Wenn du nicht nett zu mir bist, brauche ich dir nichts zu schenken.« Damit verließ er das Zimmer, zog sich im Flur den Mantel an; und erst im letzten Augenblick gelang es Frau Wagner, den Ergrimmten wieder zu besänftigen und zurückzuhalten.
Beim Topfschlagen war der Frieden gänzlich aus. Joachim und Ludwig fühlten sich berufen, die Oberaufsicht zu führen, zumal Frau Wagner für ein paar Augenblicke abgerufen war. Die Geschenke, die unter den Topf gelegt werden sollten, erschienen den beiden Knaben für die kleinen Mädchen zu wertvoll.
»Du – Ludwig, wenn ich an die Reihe komme, legst du das alles unter den Topf.«
Die kleinen Kinder ließen sich auch wirklich täuschen und waren mit wenigen Bonbons einverstanden.
Aber als dann Joachim die Augen verbunden wurden, nachdem er sich vorher selbst die Süßigkeiten unter den Topf gehäuft hatte, ging Ludwig rasch und stellte den Topf an eine andere Stelle. Währenddessen rückte Joachim die Binde halb von den Augen fort, und nun ertönte es zornig:
»Du oller Schwindler, laß den Topf stehen, das ist gemein!«
»Du mogelst, du siehst ja!«
»Laß den Topf stehen!«
Joachim rannte zur Stelle, holte den Topf wieder in die Bahn und machte sich nun daran, darauflos zu marschieren.
»Gemogelt, – gemogelt«, schrie Ludwig, hob rasch den Topf auf, nahm die Leckereien fort und eilte davon.
Die Binde flog von der Stirn, Joachim rannte hinter dem Freunde drein; der floh in die Apotheke, rannte gegen das Regal, warf einige Flaschen um, hörte die Scheltworte des Provisors, rannte zurück, stieß mit dem Apothekenbesitzer zusammen, der im nächsten Augenblick einen heftigen Schlag auf den Rücken bekam. Als er sich umwandte, sah er seinen Sohn mit dem Stecken. Der Knabe starrte entsetzt seinen Vater an.
»Dich hab’ ich nicht schlagen wollen«, stammelte er, »nur den Betrüger dort!«
Mit festem Griff hielt Herr Wagner die beiden Knaben fest. »Nennt ihr das Geburtstag feiern?«
Von beiden Seiten schrie man auf ihn ein.
»Ich höre schon, was los ist, ihr habt alle beide gemogelt. Nun vertragt euch, oder ich schicke dich heim, Ludwig, und der Joachim bekommt Stubenarrest.«
So wurde wieder Friede geschlossen, man kehrte zu den ruhig spielenden Kindern zurück und hatte das Nachsehen; denn inzwischen waren die restlichen Leckereien verteilt worden.
Kurz nach sieben Uhr wurden die Kinder abgeholt; nur Ludwig blieb noch.
»Mußt du nicht auch heimgehen, mein Kind?« fragte Frau Wagner.
»Jetzt wird es ja erst gemütlich.«
Er blieb bis acht Uhr; dann drang Frau Wagner darauf, daß er heimgehe.
»Meine Eltern schmeißen ihre Gäste nicht ’raus«, erklärte der Knabe, »die können bei uns bis tief in die Nacht bleiben.«
»Bärbel muß zu Bett, und du auch.«
»Ach was, zu Bett, ich bin doch kein Baby mehr.«
Schließlich ging er doch heim; und Bärbel wurde von den Eltern zur Ruhe gebracht.
»Nun, Goldköpfchen, hat dir dein Geburtstag gefallen, – hast du dich gefreut?«
Das Kind schlang beide Arme um den Hals der Mutter: »Es war furchtbar schön, liebe Mutti, gute, gute Mutti.« Dann kam der Vater an die Reihe, und auch er wurde stürmisch umhalst und geküßt.
»Nun schlafe ein, mein Kind, schlafe gesund ins neue Lebensjahr hinein. Der liebe Gott möge dich auch weiter behüten und möge dich brav erhalten.«
»Wenn ich wieder Geburtstag habe, gibt’s dann wieder den Kuchen mit den ausgespuckten Steinen, Mutti?«
»Ja, Bärbel, aber das dauert jetzt noch eine ganze Weile.«
»Kann man da nicht schnell machen?«
»Nein, mein Kind, da müssen erst viele Tage vergehen. Inzwischen sollst du auch klüger werden. Im nächsten Jahre gehst du dann in die Schule; dann hört die Zeit auf, in der du nur spielen kannst. Dann kommen Pflichten an dich heran.«
»Geht der Schutzengel auch in die Schule?«
»Der braucht nicht zu gehen.«
»Na, der hat’s gut, Mutti. – Hat der auch Geburtstag?«
»Nein.«
»Bekommt der niemals was geschenkt?«
»Nein, das braucht er nicht.«
»Das würde mir gar nicht gefallen, Mutti.«
»Jetzt bist du mein artiges, liebes Kind und bemühst dich, bald einzuschlafen. Denke nochmals daran, daß dich alle Menschen heute sehr liebgehabt haben, weil du ein liebes Kind warst. Nimm dir fest vor, auch in der nächsten Zeit sehr brav und artig zu sein, damit man unser Goldköpfchen gern hat, und vergiß auch nicht, daß der liebe Gott immer bei dir ist und all dein Tun und Lassen beobachtet, daß er dir den Schutzengel schickt, der dich behütet.«
Goldköpfchen hatte sich fest in den Arm der Mutter geschmiegt und aufmerksam zugehört.
»Mutti, Goldköpfchen möchte ein gutes, liebes Kind sein.«
»Wenn du dir immer ernstlich Mühe gibst, wird es dir auch gelingen. Und nun gute Nacht, mein Liebling.«
GOLDKÖPFCHENS SCHULZEIT
Endlich war der Tag herangekommen, an dem die Bärbel zum ersten Male zur Schule sollte. Im Hause des Apothekenbesitzers Wagner herrschte daher leichte Erregung, denn solch ein wichtiger Tag war für die gesamte Familie ein großes Ereignis.
Frau Wagner hatte ihre sechsjährige Tochter in die Privatschule des Fräulein Greger angemeldet, einer Dame, die seit mehr als einem Jahrzehnt eine kleine Töchterschule in Dillstadt innehatte. Fräulein Greger, die als Vorsteherin selbst unterrichtete, hatte sich zur Hilfe noch zwei Lehrerinnen angenommen, dazu für etliche Stunden den aus der Volksschule entlehnten Lehrer Baller. Mit diesen wenigen Lehrkräften wurde die kleine Privatschule versorgt, die aber einen sehr guten Ruf hatte, weil Fräulein Greger für außerordentlich tüchtig galt.
Vergeblich hatten Herr und Frau Wagner versucht, Bärbel für die Schule zu erwärmen, denn das kleine Mädchen sah dem ersten Schultage mit größtem Unbehagen entgegen. Man brauchte sich darüber gar nicht zu wundern, denn Emil Peiske, der Sohn des Schneiders und Bärbels Freund, hatte dafür gesorgt, daß Bärbel eine ganz falsche Anschauung von Schule und vom Schulunterricht bekam.
»Mehr Prügel gibt es dort als Unterricht«, hatte der vierzehnjährige Knabe gesagt, »mucksen darfst du nicht, immerzu nur lernen, daß einem der Kopf brummt; mit dem Spielen ist es aus, lustig sein darfst du auch nicht mehr. – Na, es ist eine Schinderei!«
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