»Mein Apfel, das ist mein Apfel!« zeterte Goldköpfchen.
Joachim stopfte den Rest des Marzipanapfels in den Mund.
»Ein Stück hättest du mir abgeben können«, maulte Ludwig, »dafür schmeiß’ ich dich jetzt aus dem Paradiese«, und schon bekam Joachim einen kräftigen Schlag mit dem Stock.
»Du bist wohl verrückt, mich so zu schlagen!«
»Mutti, Mutti, der Joachim hat meinen Apfel gegessen!«
Während sich Joachim und Ludwig nun Grobheiten an den Kopf warfen, hatte Max eine Stecknadel hervorgezogen und stach damit Joachim ins Bein.
»Was fällt dir denn ein!«
»Ich bin die Schlange!«
Er bekam eins mit dem Fuße. Und nun begann eine regelrechte Balgerei, bei der es nicht besser zuging, als wenn Schneiders Emil um sich schlug und kratzte.
Frau Wagner sah sich schließlich genötigt, die Knaben zu trennen, die schließlich alle drei um sie herumstanden und weinten.
»Wo hast du Bärbels Apfel, Joachim?«
»Ich bin doch der Adam und hab’ ihn gegessen.«
Es dauerte ein ganzes Weilchen, ehe eine Versöhnung zwischen den Kindern zustande kam. Die Mutter versprach Goldköpfchen ein anderes Stück Marzipan, und von den Knaben verlangte man, daß sie jetzt, um Bärbel wieder zu versöhnen, artig mit dem kleinen Mädchen spielten.
Da saßen denn die Buben gelangweilt herum, jeder wollte vom andern ein paar Vorschläge hören, bis schließlich Ludwig meinte: »Spielen wir doch Hochzeit.«
»Au, fein!« sagte Max, »ich bin der Bräutigam, und Bärbel ist meine Braut.«
»Nee, der Bräutigam bin ich, ich kenne Bärbel am längsten, und man heiratet doch nur die Frau, die man schon lange kennt.«
»Quatsch!« erklärte Ludwig, »wenn man eine Frau lange kennt, heiratet man sie überhaupt nicht!«
Joachim trat sehr freundlich an seine Schwester heran. »Du – ich heirate dich, aber natürlich mußt du eine Mitgift haben.«
»Was ist denn das?«
»Geh zur Mutti und laß dir zehn Pfennige geben.«
Bärbel lief zur Mutter und verlangte die zehn Pfennige. Frau Wagner sah sich genötigt, ihren Sohn zu rufen, damit er Auskunft über die zehn Pfennige gebe.
»Nun, ich werde doch keine Frau heiraten, die nischt hat. Hochzeitmachen kostet Geld.«
»Hier hast du fünf Pfennige, das genügt!«
»Ein bißchen wenig ist es ja, aber – meinetwegen. Ich mache eben eine schlechte Partie.«
»Will dich Bärbel denn haben?« lachte Frau Wagner, »zum Heiraten gehören doch zwei.«
»Ooch, Mutti«, rief Bärbel erfreut, »dann nehme ich den Joachim und den Ludwig!«
»Nein, du darfst nur einen Mann haben. Da aber Joachim dein Bruder ist, würde ich mich mit Ludwig verheiraten.«
»Bekomm ich dann auch fünf Pfennige?« fragte der vorgeschlagene Bräutigam.
Lächelnd gewährte Frau Wagner die Bitte. Max wollte läuten, und stürmte schon davon, um einen Eimer und einen Fleischklopfer zu holen.
Bärbel wollte, daß ihre Puppen zugegen seien; aber Ludwig erklärte, Kinder hätten bei einer Hochzeit nichts zu suchen. – Da gab es den ersten Streit, und der Bräutigam lief schließlich davon und schrie zornig:
»Die heirate ich überhaupt nicht!«
So nahm das Hochzeitspielen ein jähes Ende. Alle Vermittelungsversuche der Mutter fruchteten nichts. Während Bärbel nach ihrem Marzipan drängelte, liefen die drei Knaben davon und waren nicht mehr zu sehen.
In den nächsten Tagen hielt es Joachim für ratsam, sich etwas mehr um seine Schwester zu kümmern. Bärbels fünfter Geburtstag stand vor der Tür, und er hatte erfahren, daß die Kleine allerlei Süßigkeiten bekam. Die Lotte vom Doktor würde einen ganzen Kasten mit Katzenzungen bringen, die kleine Paula von nebenan Keks; und auch von den Eltern würde es sicherlich allerlei Gutes geben. Da mußte man die Gelegenheit benutzen, um Bärbel schon von vornherein etwas abzuschwatzen.
Bärbel war vor freudiger Erwartung so erregt, daß sie von nichts anderem mehr sprach als von dem bevorstehenden Freudentage. Drei kleine Mädchen und sieben Knaben waren eingeladen worden. Frau Wagner wollte selbst die Spiele überwachen, damit es nicht wieder zu Streitigkeiten oder gar zu Tränen käme.
Man hatte für Bärbel einen prächtigen Kuchen und eine Kirschentorte gebacken; dazu gab es Schlagsahne, alles, was das Kinderherz begehrte.
Endlich war der ersehnte Tag da. Auf dem weißgedeckten Tisch brannten fünf Lichter und dazu das große Lebenslicht. Es gab eine Menge Spielsachen, Süßigkeiten, und als Hauptgeschenk einen kleinen, reizenden Wagen, in dem Bärbel bequem sitzen konnte.
Als man Goldköpfchen ins Zimmer rief, war die Kleine zunächst sprachlos. Daß alle diese schönen Sachen von heute an Goldköpfchens Eigentum sein sollten, erschien dem Kinde unfaßlich.
Joachim war der erste, der das Schweigen brach. »Die Schokolade habe ich dir geschenkt, da gibst du mir doch ein Stück ab? Wenn du alles ißt, wirst du krank.«
»Gefällt dir der Wagen? Dann kann dich Joachim ziehen.«
»Na, das wäre gelacht!« klang es entrüstet aus dem Munde des Knaben, »soll sie sich doch ’nen Diener halten.«
Bärbels Gesichtchen strahlte. Zunächst wagte das Kind nicht, die schönen Sachen anzurühren; dann aber tippte es bald hier, bald da mit dem Fingerchen auf die Spielsachen, und endlich sagte Goldköpfchen mit vor Freude zitternder Stimme:
»Soll Bärbel das alles haben?«
»Alles, mein liebes Kind.«
Ein schriller Schrei brach aus der Brust des kleinen Mädchens, dann hüpfte es stürmisch im Zimmer umher, nahm den Kasten mit den weißen Schäfchen, setzte sich auf die Diele und begann die Tiere aufzustellen. Aber schon sprang es wieder empor, holte den bunten Ball, warf ihn in die Luft, und Herr Wagner hatte Mühe, zu verhindern, daß der Ball auf eine Kristallschale fiel und diese herunterwarf. Eine Minute später saß Bärbel im Wagen und ließ sich vom Vater durch das Zimmer ziehen.
Aber plötzlich wurde das Kind mäuschenstill. Es blickte den Vater und die Mutter an, schmiegte sich an die Mutter und sagte leise:
»Sagst du mir nun auch ein Verschen her?«
»Ein Verschen nicht, mein liebes Goldköpfchen, das sagen nur die Kinder den Eltern. Aber viele herzliche Wünsche will ich dir sagen. Du wirst heute fünf Jahre alt; bleibe mein liebes, gutes Mädchen, das seine Eltern niemals betrübt, das keine Unwahrheit spricht, das alle Menschen gern haben, und bemühe dich, mit jedem Jahre etwas hinzuzulernen.«
Auch der Vater gratulierte seinem Töchterchen herzlich; dann kam Joachim, der materielle Wünsche in die Gratulation einflocht.
»Heute nachmittag bekommst du noch viel mehr Schokolade; gibst du mir etwas davon ab?«
Bärbel nickte. Zum Antworten hatte sie jetzt keine Zeit, sie mußte immer wieder die vielen erhaltenen Spielsachen betrachten.
Am Nachmittag kam die Kinderschar. Apotheker Wagner war zwar an Lärm gewöhnt; aber heute ging es besonders stürmisch zu. Alles schrie und lärmte durcheinander, und Frau Wagner war froh, als schließlich durch Kakao und Kuchen die kleinen Schnattermäulchen gestopft wurden.
»Ooch, Mutti«, frohlockte Bärbel, »Kirschkuchen mit schon ausgespuckten Steinen, den ess’ ich furchtbar gern!«
Die Torte verschwand; auch der Kuchen nahm rasch ab, und immer wieder wurde nach neuen Stücken gegriffen.
Bald schallte es von hier, bald von dort: »Bitte, noch ein Stück Kuchen, ich kann doch den Kaffee nicht so trocken trinken!«
»Nun, Bärbel, willst du auch noch ein Stück haben?« fragte Frau Wagner.
Goldköpfchen blies die Bäckchen auf. »Ich könnte schon noch beißen, aber ’runterschlucken kann ich ihn nicht mehr!«
»Dann laß es lieber bleiben, mein Kind, sonst wirst du krank.«
Darauf ging es ans Spielen. Das war eine schwere Aufgabe, denn Joachim und sein Freund wollten stets etwas anderes, und Frau Wagner hatte alle Mühe, die Verschiedenaltrigen in gemeinsamem Spiel zu sammeln.
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