Mittlerweile lief ich morgens so zwischen 10 und 15 km und das auch, wie gesagt, nicht jeden Tag, aber fünf bis sechs Mal in der Woche. So ging das jetzt eine Weile weiter, bis irgendwann auch mein Arm wieder funktionierte und ich wieder Rad fahren konnte. Mein Kollege Steffen war jetzt mit dabei. Er wollte mich auf dem Fahrrad begleiten und ab und zu auch beim Nordic Walking dabei sein. So kam es dazu, dass wir mehrmals in der Woche mit dem Mountainbike ein Türchen durchs Bergische Land fuhren. So richtig durch die Wildnis, zum Beispiel um die große Dhünntalsperre. Sehr oft auch abseits aller Wege durchs Gestrüpp, mit dem Fahrrad auf dem Buckel, einfach nur, um durch das Unterholz hindurch zu kommen.
Und an eine Geschichte erinnere ich mich, die sich im Tal der Wupper ereignete, kurz vor Leichlingen, wo es den Berg hinauf in Richtung Wolfstall geht. Dort waren wir wieder mit den Fahrrädern auf einem Waldstück unterwegs, als es nicht mehr weiterging und der Weg endete. Wir mussten die Räder auf den Buckel nehmen und an einem circa drei Meter hohen Abhang entlang durch das Unterholz gehen. Doch irgendwann mussten wir diesen Abhang herunter klettern und ich machte Steffen den Vorschlag, dass ich als erster auf dem Hintern den Abhang herunter rutsche und er mir die Fahrräder nacheinander herunter reichen möge. Gesagt, getan. Ich rutschte. Unten angekommen reichte Steffen mir erst sein Rad an. Er hielt es am Vorderrad und ich nahm es am Hinterrad auf, um es dann langsam abzusetzen. Bei meinem Rad stellte sich die Aktion etwas schwieriger dar, denn Steffen ließ das Rad eine Sekunde früher los, bevor ich es in Händen hatte. So rumpelte das Rad über eine Wurzel, ich griff daneben und bekam den Sattel mitten ins Gesicht. Autsch. Ich spürte förmlich, wie mein Gesicht anschwoll, und ich befürchtete im ersten Moment, dass ich alle Zähne verloren hätte. Zunächst blutete ich gar nicht, aber nach ein paar Minuten fing es dann doch an zu bluten, an den oberen Schneidezähnen und auch die Nase tropfte gehörig. Steffen musste fürchterlich lachen, wurde aber gleichzeitig kreidebleich. Ich wusste noch gar nicht so richtig, was passiert war. Ich war noch benommen. Aber irgendetwas musste so lustig aussehen, dass er so einen Spaß dabei hatte. Er meinte noch zu mir, ich solle jetzt bitte nicht in einen Spiegel schauen, damit ich keinen Schreck bekäme. Aber ich wäre ja nicht der Lutz, wenn ich es nicht doch versucht hätte. Es war grausam. Ich sah aus wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame. Aber es half ja nichts, wir mussten mit den Fahrrädern weiter, noch ungefähr zwanzig Kilometer bis nach Hause. Kein Problem. Zum Glück war auch hier, so glaube ich, nichts gebrochen. Ich bin nicht zum Arzt gegangen und es ist auch von selber wieder abgeheilt.
Doch irgendwie habe ich die Vermutung, dass meine Zahnlücke zwischen den beiden Schneidezähnen seit diesem Vorfall etwas größer geworden ist. Seit diesem Ausflug habe ich immer ein dünnes drei Meter langes Seil mit dabei. Nicht nur beim Radfahren, sondern auch im Laufrucksack. Man weiß ja nie, wo man sich einmal wird abseilen müssen.
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Irgendwas is’ ja immer.
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Da Sport ja gesund ist, bin ich vormittags weiter gelaufen. Anja war am Morgen mit den Nordic-Walking-Stöcken losgezockelt und ich eine kleine elf Kilometer Runde durch die Stadt gejoggt. Da es der 1. Mai war und somit ein Feiertag, kam Steffen etwas früher zum Biken vorbei. Normalerweise fuhren wir ja nachmittags ein paar mal die Woche weiterhin mit dem Rad. Ab und zu waren auch Detlef oder Frank mit dabei. Wir drehten also ab elf Uhr unsere Runde mit dem Rad und wurden heute von Frank begleitet. Es wurde eine etwas längere Tour von 66 Kilometern. Erst fuhren wir um die Wuppertalsperre mit ihren wunderschönen schmalen Pfaden, dann an der Wupper entlang an Dahlhausen vorbei bis hinauf nach Beyenburg. Von hier aus zur Panzertalsperre in Lennep und von dort an die Eschbachtalsperre. Dann geschah wieder solch ein Wendepunkt für einen von uns. Ich musste nach dem Überfahren der Staumauer vorne links abbiegen, Steffen war mir zu dicht aufgefahren, konnte nicht mehr bremsen und segelte über den Lenker. Er brach sich dabei das Radiusköpfchen des Ellenbogens. Natürlich hätten wir auch hier wieder einen Krankenwagen rufen können, aber Steffen ist ja ein ganzer Kerl und wollte selbst nach Hause fahren. Nach dem Motto: Nur die Harten kommen in den Garten. Danach haben wir ihn ins Krankenhaus verfrachtet und dort wurde dann auch festgestellt, dass sein Radiusköpfchen gebrochen war. Damit war das Radfahren für Steffen auch erst einmal erledigt. Als alternative Sportart entdeckte er dann das Laufen und so begann ich, mit Steffen gemeinsam zu laufen.
Wenn ich damals einmal keine Lust zum Joggen hatte, nahm ich mir die Nordic-Walking-Stöcke mit auf die Strecke. Der Sport mit den Stöcken ist immer eine schöne Alternative zum Joggen für mich gewesen. Die Muskulatur wird, wenn man damit so richtig Gas gibt und nicht im Flachland walkt, mehr in Anspruch genommen als beim Laufen und vor allem bekommt der Oberkörper wesentlich mehr Training als ohne diese Hilfsmittel. Anja macht dieses Nordic Walking heute noch sehr gerne und nimmt die Stöcke auch schon mal mit zu unseren Wanderungen. Gerade wenn Verletzungen das Laufen verhindern oder einschränken. Die Empfehlung mit den Stöcken gab ich auch immer an Sportsfreunde weiter, die ihren Puls senken wollten, oder, wenn jemand Rückenprobleme hatte.
Da war zum Beispiel Dirk, der eine künstliche Herzklappe sein Eigen nennt und deshalb den Puls nicht zu hoch jagen darf. Oder Jens, der einen “nichtjoggenden” Alternativsport zum Biken suchte. Nordic walken kann man bis ins hohe Alter und bleibt dabei fit. Aber das ist hier auch kein Nordic-Walking-Buch. Es geht mir um das große Ganze. Um meine Lebensveränderung. Vom “nur” arbeitenden, unsportlichen, egoistischen, aber erfolgreichen Unternehmer mit Blick auf den Profit, hin zum Täglichläufer, der zudem in der Flüchtlingshilfe tätig ist. Der, der durch seine Zielveränderung am Ende des Jahres 2004 etwas für sich und seine Gesundheit zu tun plante, sein Körpergewicht durch Sport von 160 Kilogramm halbierte, seine Ernährung an die Belastung anpasste. Der, der aus dem Hamsterrad ausstieg, wohlüberlegt, der peu à peu vom Couch-Potato zum Spaziergänger, zum Walker, zum Nordic-Walker, zum Läufer und zum Täglichläufer wurde. Täglichläufer oder wie man sie international nennt - Streakrunner. Das sind Läufer, die jeden Tag zwischen 0 Uhr und 24:00, ohne Hilfsmittel mindestens eine Meile am Stück, oder 1,61 Kilometer laufen. So einer wurde ich und ich veränderte währenddessen meine Einstellungen zum Leben total.
Das Jahr 2011 war für mich ein überaus sportliches Jahr und am Schluss zog ich eine sehr positive Bilanz. Ich hatte im gesamten Jahr 2011 ganze 9648 Kilometer hinter mich gebracht.
514 sportliche Aktivitäten mit einem Zeitaufwand von 1.037 Stunden, 56 Minuten und 18 Sekunden. Insgesamt waren es 9.648,16 Kilometer mit ungefähr 133.522 Metern positiver Höhendifferenz.
Im Einzelnen bestand mein Trainingsjahr aus 327 Läufen mit 5.377,52 Kilometern und ungefähr 61.305 Metern Höhendifferenz, 1.853,96 Kilometern Mountainbiken mit ungefähr 33.287 Metern Höhendifferenz, 1.139,93 Kilometern Crossbiken mit ungefähr 12.021 Metern Höhendifferenz, 850,31 Kilometern Wandern mit ungefähr 17.759 Metern Höhendifferenz, 200,38 Kilometern Nordic-Walken mit ungefähr 2.715 Metern Höhendifferenz und den vielen Spaziergängen mit unserem Hund Paul.
Als ich mir die Strecken mal auf der Landkarte angeschaut hatte, spürte ich, wie weit das war. Hätte ich mich auf einen solchen Weg gemacht, dann wäre ich beispielsweise bis nach Changchun im Nordosten Chinas gekommen. Und wenn ich nur die reinen Jogging-Kilometer gelaufen wäre, dann wäre ich im russischen Novosibirsk, nahe der Mongolei, gelandet.
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