Sie erwarteten mich schon, mich, diesen damals fast 51 Jahre alten Typ aus Wermelskirchen, der bis 2004 noch 160 Kilogramm auf die Waage brachte. Vor dem Rathaus in Wermelskirchen hatten sie extra einen Strich auf den Gehweg gemalt und Ziel davor geschrieben. Zusätzlich wurde ein Transparent gespannt, welches ich mit meinen Laufkumpels durchlaufen musste. Auf dem Transparent stand eine Zahl. 40.076,6 Kilometer. Der Erdumfang am Äquator an der weitesten Stelle gemessen. Vier Jahre, acht Monate und achtzehn Tage ist es nun her, dass ich mit meinem Vorhaben am 2. Januar 2012 startete. Das Vorhaben, die Erde virtuell und joggend an der weitesten Stelle zu umrunden. Ohne auch nur einen Tag Pause einzulegen. Sei es wegen Krankheit, Verletzung oder einfach, weil ich keine Lust hätte.
Wie ich auf diese Idee gekommen bin
Damals, 2012, hatte ich noch keine Ahnung, auf was ich mich einlassen würde. Ich wusste nicht einmal so genau, wie lange ich überhaupt täglich laufen wollte, ob ich es durchhalten könnte und wie das mit der Gesundheit auf Dauer funktionieren würde. Petra vom Westdeutschen Rundfunk fragte mich in einem der Interviews nach meiner Vergangenheit und wie ich darauf gekommen sei, täglich zu laufen. Das möchte ich jetzt erzählen.
Es war Ende des Jahres 2004 als Anja und ich uns wieder einmal zusammensetzten und unsere Planung für das nächste Geschäftsjahr in Angriff nahmen. Wir hatten eine Praxis für Vermögensberatung. Immer gegen Ende des Jahres haben wir die Planung für das nächste Jahr besprochen und festgelegt. Das Geschäft lief gut, wir konnten investieren und waren zufrieden. Aber wir waren beide recht übergewichtig und erkannten genau an diesem Punkt Handlungsbedarf.
Doch es geht in diesem Buch nicht ums Abnehmen. Es geht um eine komplette Lebensveränderung. Und nur der erste Schritt dazu war die Verringerung unseres Körpergewichts. Ich wog damals 160 und Anja 125 Kilogramm. Das konnte auf Dauer nicht gesund sein und wir wollten ja von dem, was wir uns erarbeitet hatten, auch etwas haben. Also musste ein Plan her. Nichts Kompliziertes, etwas ganz Schlichtes, Einfaches. Die Lösung war: Möglichst wenig Zucker, wenig Fett und kein Alkohol. Dazu etwas Bewegung. Unter Bewegung haben wir damals verstanden, spazieren zu gehen. Etwas, was wir in den letzten Jahren komplett unterlassen hatten. Wir hatten damals Kontakt zu Herrn Busch von Busch Automobile in Wermelskirchen und dieser Herr Busch erzählte uns, dass er an der Remscheider Talsperre immer spazieren gehe. Eine Runde im zügigen Schritt um die Talsperre und dann gehe es ihm für den Rest des Tages gut. Deshalb machten wir uns auf den Weg, starteten unseren ersten Spaziergang und kamen genau bis zur ersten Bank. Zwei Tonnen auf Reisen. Na prima, ich war vollkommen fertig und Anja eigentlich auch. Wir legten erst einmal eine kurze Pause ein und setzten uns hin. Ja klar, aller Anfang ist schwer. Dennoch sind wir dabei geblieben. Jeden Tag sind wir anfangs spazieren gegangen. So büßten wir in den ersten vier Monaten des Jahres schon gute vierzehn Kilo ein. Jeder für sich.
Der Weg über die Steigerung
Ende April 2005 waren wir schon richtig gute Walker und haben uns gedacht, wir müssten die ganze Sache jetzt etwas steigern. Wir begannen dann mit Nordic-Walking und haben uns nach Stöcken umgesehen. Das waren für damalige Zeiten richtig gute Nordic Walking Stöcke und wir waren an der Eschbachtalsperre somit die ersten, die mit Nordic Walking angefangen hatten.
Im Mai dann stand ein Urlaub auf dem Programm, in Portugal an der Algarveküste. Eine schöne Ecke. Wir planten, auch dort mit dem Sport weiter zu machen. Jeden Tag. Das war übrigens auch unser Prinzip. Jeden Tag etwas Bewegung. Da wir nicht gerne fliegen, sind wir mit dem Zug nach Portugal gefahren. Übrigens eine sehr interessante Sache. Man lernt unterwegs sehr viele Menschen kennen. Es dauert etwas länger, aber dafür erlebt man unterwegs auch einiges. Das Fliegen unterließen wir seit 1995, als ich auf einem Flug eine Panikattacke bekommen hatte. Eine Panikattacke zu Hause ist schon nicht so toll, aber in der Enge eines Flugzeugs ist das noch mal eine ganz andere Nummer. Mein Schwiegervater brachte uns mit dem Auto nach Köln. Vom Kölner Hauptbahnhof fuhren wir mit dem Belgischen Schnellzug Thalys zum Pariser Nordbahnhof Gare du Nord. Als nächstes mussten wir mit dem Taxi einmal quer durch Paris zum Bahnhof Montparnasse. Mit der Metro hatten wir das auch einmal probiert, aber mit dem ganzen Gepäck ist das recht umständlich. Das Taxi war auf jeden Fall auch ein Erlebnis für sich. Wie die Pariser Taxifahrer durch die engen Gassen heizen, ohne Unfall, ist ein Wunder. Ja und dann ging es mit dem französischen Schnellzug TGV bis an die Spanische Grenze in Irun. Von Irun aus dann mit dem Sud-Express, dem Nachtzug mit einer spanischen Diesellok davor, bis nach Lissabon. Ein schönes mit Holz ausgekleidetes Abteil, so wie man sich den Orientexpress vorstellt. Es rappelte an allen Ecken und Kanten. Von Lissabon bis an die Algarveküste sind wir dann mit einem Taxi gefahren. Das war auch nicht übermäßig teuer.
Die ganze Reise dauerte ungefähr 26 Stunden. Wie man sich gut vorstellen kann, ist es so gut wie unmöglich, diese langen Stöcke bei dieser ganzen Umsteigerei mitzunehmen. Also machten wir uns direkt am nächsten Tag auf die Suche, an der Algarveküste Nordic-Walking-Stöcke zu besorgen. Ein schier unmögliches Unterfangen, denn dort, am südlichen Zipfel Portugals, war 2005 der Sport mit Nordic-Walking-Stöcken noch überhaupt nicht angekommen. Nach langem Suchen stießen wir in einem Geschäft für Wander- und Sportzubehör endlich auf Teleskop-Trekkingstöcke und diese kamen dann am Strand zur Belustigung der Einheimischen und auch der anderen Urlaubsgäste zum Einsatz. Nach ein paar Tagen bildeten sich jedoch schon echte Fangruppen, die uns bei unserem Morgensport applaudierten. Doch das Walken im Sand war für uns eine gehörige Umstellung, so dass wir uns erst mal richtigen Muskelkater einhandelten. Hurra.
Die nächste Steigerung unseres Trainingsumfanges vollzogen wir dann im Herbst 2005, als wir einen Kurzurlaub von einer Woche in den deutschen Alpen machten. Erstmals fuhren wir mit unserem im Mai neu gekauften VW Touareg. Den hatten wir uns im November 2004 bestellt, weil ich damals so dick war, dass ich den Gurt in meinem bisherigen Auto nicht mehr richtig schließen konnte. Wir brauchten ein neues Auto und suchten uns also einen großen Wagen mit viel Platz aus.
Als wir das neue Auto dann im Mai 2005 in Wolfsburg abholen konnten und ich mich erstmalig in den neuen Wagen setzte, erschrak ich. Meine Herren, war der gewachsen. Oder ich war geschrumpft. Nun hatte ich das Gefühl, ein viel zu großes Auto bestellt und gekauft zu haben. Shit happens. Wir waren also in Bayern im Kurzurlaub. Immer schön im Nordic-Walking stramm die Berge rauf und auch wieder runter. Das war eine gute Vorbereitung auf den späteren Laufsport. Auch in der folgenden Winterzeit zogen wir unser tägliches Training durch. Jeden Tag morgens anderthalb Stunden Nordic-Walking und am Wochenende waren es jeweils zwei Stunden. Egal bei welcher Witterung. Auch im tiefen Schnee. Es war ein gutes Training, um nach und nach in die Walking-Einheiten auch noch Laufanteile einzubauen.
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Das Hirn muss weg vom Fuß.
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Im Frühjahr 2006 gab es einen nicht so schönen Zwischenfall. Ich hatte einen Termin bei einem Kunden in Remscheid-Lüttringhausen, im fünfzehnten Stockwerk eines Hochhauses. Anja begleitete mich, blieb aber im Auto sitzen und wartete, bis ich meinen Termin beendet hatte. Ich betrat das Haus und bemerkte, dass der Aufzug defekt war. Fünfzehn Stockwerke, aber hey - das dürfte doch jetzt kein Problem mehr für mich sein, die Treppe zu benutzen. Ich wog ja nur noch die Hälfte meines Ausgangsgewichts und so machte ich mich auf den Weg nach oben, erledigte meinen Kundentermin und lief die Treppe auch wieder hinunter. Alles kein Problem, trotz einer leichten Erkältung. Nun setzte ich mich ins Auto und wir fuhren in aller Ruhe über die Autobahn in Richtung Heimatstadt.
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