Stephan Hamacher - Torres del Paine

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Silvester auf Neujahr, irgendein Jahr, Feuerwerk rund um den Globus, von der Datumsgrenze einmal um die Welt, bis auch dieser Tag verblasst und sich die Zeiger der Uhr weiterdrehen, wie im abgelaufenen Jahr, wie im kommenden Jahr.
Nichts ändert sich, die Zeit nicht und der Ort nicht. Dann sieht ein Mann an einem grauen Novembertag auf einer Litfaßsäule eine verschwommene Schwarzweißfotografie und erkennt einen Ort, an dem er vor Jahren einmal selbst gewesen war, in besseren Zeiten: das Bergmassiv Torres del Paine im chilenischen Teil Patagoniens. Und während er mit der Gegenwart hadert, machen sich seine Gedanken und Träume auf den Weg zur Geschichte hinter dem Bild, eine Expedition aus dem Jahr 1906, die von Hamburg aus gestartet war und von der drei der sechs Teilnehmer nicht mehr zurückkehrten. Auf der Zeitreise, die irgendwie auch eine Reise auf den Spuren der ersten Weltumseglung durch Magellan ist, trifft er auf die Menschen, die rund um den Globus das neue Jahr begrüßt hatten.

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Stephan Hamacher

Torres del Paine

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Inhaltsverzeichnis Titel Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

1. Nacht 1. Nacht Timor Mein erster Satz soll mein letzter sein, dann schließt sich der Kreis. Ich bin ein Mann der Mathematik und ein Kind der Kosmografie. Mehr als vierzig Lenze haben Spuren auf meinem Leib hinterlassen, doch die vergangenen Jahre haben schlimmer gewütet als alles, was mir je zuvor widerfahren ist. Doch ich will nicht klagen. Wir hätten uns nicht in die Belange dieser Barbaren einmischen sollen. Fernão hat es das Leben gekostet, und auch ich wurde verwundet. Nun, dem Herrn sei Dank, ist ein Ende des Martyriums absehbar. So will ich es hoffen, denn Ärgeres kann einem kaum noch widerfahren. Dieses öde Eiland hier erscheint mir wie eine Oase, auch wenn mir die Qualen der vergangenen Monate immer noch zusetzen und sich das Bild nicht wirklich geändert hat. Von Canabaza bis Nossocamba ein Labyrinth von Bergen, Savanne, Regenwald, ein Klima, das an den Kräften zehrt, heiß und zermürbend, eine Last, die auf die Seele drückt. Aber keine wilden Wesen mehr, keine blutgeifernden Horden, die uns zügellos nach dem Leben trachten. Und endlich Zeit, Kräfte zu sammeln. Mehr als zwei Wochen sind seit unserer Ankunft vergangen. Der Rückweg wird lang und ungewiss. Ungewissheit ist überhaupt das Einzige, dass uns gewiss ist. So Gott will, werden wir bald schon den Aufbruch wagen. Zurück zur Paradiespforte in die Heldenstadt des Herakles an den süßen Ufern des Guadalquivir. Wir sind nur mehr sechzig Mann und allesamt mehr als bereit, dieses Wagnis auf uns zu nehmen. Ein lausiges Schiff wird uns über die Wellen tragen, und weiß allein der Schöpfer dieser wilden Wasserwelten, was uns erwartet. Wir müssen nun ohne Fernão fortkommen. Er wird uns fehlen.

2. Morgen Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

3. Vormittag Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

4. Mittag Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

5. Nachmittag Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

6. Abend Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

Impressum neobooks Stephan Hamacher Torres del Paine Dieses ebook wurde erstellt bei

1. Nacht

Timor

Mein erster Satz soll mein letzter sein, dann schließt sich der Kreis. Ich bin ein Mann der Mathematik und ein Kind der Kosmografie. Mehr als vierzig Lenze haben Spuren auf meinem Leib hinterlassen, doch die vergangenen Jahre haben schlimmer gewütet als alles, was mir je zuvor widerfahren ist. Doch ich will nicht klagen. Wir hätten uns nicht in die Belange dieser Barbaren einmischen sollen. Fernão hat es das Leben gekostet, und auch ich wurde verwundet. Nun, dem Herrn sei Dank, ist ein Ende des Martyriums absehbar. So will ich es hoffen, denn Ärgeres kann einem kaum noch widerfahren. Dieses öde Eiland hier erscheint mir wie eine Oase, auch wenn mir die Qualen der vergangenen Monate immer noch zusetzen und sich das Bild nicht wirklich geändert hat. Von Canabaza bis Nossocamba ein Labyrinth von Bergen, Savanne, Regenwald, ein Klima, das an den Kräften zehrt, heiß und zermürbend, eine Last, die auf die Seele drückt. Aber keine wilden Wesen mehr, keine blutgeifernden Horden, die uns zügellos nach dem Leben trachten. Und endlich Zeit, Kräfte zu sammeln. Mehr als zwei Wochen sind seit unserer Ankunft vergangen. Der Rückweg wird lang und ungewiss. Ungewissheit ist überhaupt das Einzige, dass uns gewiss ist. So Gott will, werden wir bald schon den Aufbruch wagen. Zurück zur Paradiespforte in die Heldenstadt des Herakles an den süßen Ufern des Guadalquivir.

Wir sind nur mehr sechzig Mann und allesamt mehr als bereit, dieses Wagnis auf uns zu nehmen. Ein lausiges Schiff wird uns über die Wellen tragen, und weiß allein der Schöpfer dieser wilden Wasserwelten, was uns erwartet. Wir müssen nun ohne Fernão fortkommen. Er wird uns fehlen.

Ratmanow

Es ist ein Tag wie jeder andere. Das Licht kommt, das Licht geht. Das Festland im Westen liegt nur knapp sechsunddreißig Kilometer entfernt, das östliche Mutterland liegt viele sechsunddreißig Kilometer nah, je nach Tagesform. Im Osten schimmern die Küsten von Little Diomede Island und Fairway Rock. Seit 1867 Ausland, für 7,2 Millionen Dollar an den Nachbarn verscherbelt. Nun gut, aus damaliger Sicht verständlich. Unsere Großväter hatten zu viele Seeotter abgeschlachtet, und der Unterhalt dieser fernen Einöde wurde immer schwieriger. Und dann der ständige Kampf mit den Tlingit. Nachdem unsere Ahnen die Sache mit der Krim vermasselt hatten, war die Staatskasse geplündert, und der Zar sah im dem billigsten Landverkauf aller Zeiten eine Möglichkeit, die Scharte wieder auszuwetzen. Damals wurde hier zwischen den Inseln die neue Grenze gezogen. Eine unsichtbare Unterwasserlinie, ein Wasserzeichen.

Es gibt nicht viel auf Ratmanow. Der Mensch ist genügsam. Eine Wetterstation, ein Posten der Grenzpolizei und jede Menge Langeweile. Zeit im Überfluss, Zeit zum Überdruss. Nach dem Großen Krieg hatte man die Bevölkerung zurück aufs Festland gezwungen, kein Insulaner sollte im folgenden Kalten Krieg erfrieren. Aber es war Eiszeit, so wie es eigentlich immer Eiszeit ist, hier, so weit oben im Norden. Eisinseln hinter dem Eisvorhang in der Eiszeit. Dann schwamm diese verrückte Frau aus Boston einmal durch den kleinen Eisstrom, von Little Diomede bis hierhin, Big Diomede, vier Kilometer bei vier Grad Wassertemperatur. Am 7. August 1987 beendete Lynne Cox den Kalten Krieg im Nordpazifik. Das war, nachdem sie den Santa-Catalina-Kanal, die Cook- und die Magellanstraßen bezwungen, den Öresund und den Skagerrak überquert hatte und bevor sie sich ebenfalls erfolgreich in den Baikalsee, den Titicacasee und in die frostigen Gewässer der Antarktis wagte. Vor einigen Jahren schaffte ein Franzosen den Sprung ins kalte Wasser zwischen unseren Inseln und schaffte die Passage trotz vierfacher Amputation mit Hilfe seiner Prothesen. Was beweist, dass die Diomedes-Inseln auch in Eiszeiten nicht unbezwingbar sind.

Früher lebten hier einmal vierhundert Menschen, aber die Zeiten der Yupik und ihrer Nachkommen sind lange vorbei. Heute kreisen die Rotschnabelalken über ein paar Hütten und schroffe Felsen, karges Grün in einem grauen Nichts. Als dieser feiste Däne in Diensten des Zaren herkam, vor fast dreihundert Eiszeitsommern, gab er diesen öden Eilanden den Namen eines Märtyrers. Aber kein Märtyrer wäre der Welt in Erinnerung geblieben, hätte er hier auf diesen Felsen seinen letzten Atem ausgehaucht.

Dieses Ödland ist Grenzland, und es ist wenig Land, umgeben von viel Wasser, und das Wasser ist die Grenze, nicht nur die Grenze zwischen unseren traditionell verfeindeten Staaten, zwischen Ost und West, wobei der Osten paradoxerweise im Westen liegt und umgekehrt. Es ist auch eine Grenze der Zeit. Damit meine ich nicht die Eiszeit, damit meine ich alle Zeit, alle für immer von Gott erdachte und von Menschen gemachte Zeit, denn ein Kilometer und dreihundert Meter weiter Richtung Sonnenaufgang liegt die Datumsgrenze. Dort drüben liegt heute das, was für uns morgen gestern war.

Heute ist ein besonderer Tag. Es ist ein besonderer Tag, an dem nichts Besonderes geschehen ist, geschieht und geschehen wird. Die Rotschnabelalken kreisten und kreisen und werden weiterhin kreisen, über ein paar Hütten und schroffe Felsen, karges Grün in einem grauen Nichts. Lynne Cox, wo sie denn ob sie denn warum sie denn noch immer lebt, hat besseres zu tun als einen weiteren Badeausflug von Little Diomede nach Ratmanow zu unternehmen. Und Vitus Jonassen Bering, der Kolumbus des Zaren, starb vor längst vergessenen Zeiten, vor Weihnachten 1741 auf der Awatscha-Insel, weil er den Winter nicht schaffte und ihn stattdessen der Winter raffte.

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