»Ich halte es nicht mehr aus!« sagte er. »Wie schön es ihm steht, die Zunge so herauszustrecken!«
Die Nacht war lang; dem Schneemanne wurde sie aber nicht lang, er stand da in seine eigenen, schönen Gedanken vertieft, und die froren, daß es knackte.
Am Morgen waren die Fensterscheiben der Kellerwohnung mit Eis bedeckt; sie trugen die schönsten Eisblumen, die nur ein Schneemann verlangen konnte, allein sie verbargen den Ofen. Die Fensterscheiben wollten nicht aufthauen; er konnte den Ofen nicht sehen, den er sich als ein so liebliches weibliches Wesen dachte. Es knackte und knickte in ihm und rings um ihn her; es war gerade so ein Frostwetter, an dem ein Schneemann seine Freude haben muß. Er aber freute sich nicht – wie hatte er sich auch glücklich fühlen können: er hatte Ofensehnsucht.
»Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann,« sagte der Kettenhund, »ich habe auch an der Krankheit gelitten, aber ich habe sie überstanden. Weg! Weg!« bellte er. – »Wir werden anderes Wetter bekommen!« fügte er hinzu.
Das Wetter änderte sich; es wurde Thauwetter. Dieses nahm zu; der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das richtige Zeichen.
Eines Morgens brach er zusammen. Und siehe, es ragte Etwas wie ein Besenstiel, da, wo er gestanden hatte, empor; um den Stiel herum hatten die Knaben ihn aufgebaut.
»Ja, jetzt begreife ich es, jetzt verstehe ich es, daß er die große Sehnsucht hatte!« sagte der Kettenhund. »Da ist ja ein Eisen zum Ofenreinigen an dem Stiele, – der Schneemann hat einen Ofenkratzer im Leibe gehabt! Das ist es was sich in ihm geregt hat; jetzt ist das überstanden: Weg! Weg!«
Und bald darauf war auch der Winter überstanden. »Weg! Weg!« bellte der heisere Kettenhund; aber die Mädchen aus dem Hause sangen:
»Waldmeister grün! Hervor aus dem Haus;
Weide! die wollenen Handschuhe aus;
Lerche und Kuckuk! singt fröhlich drein, –
Frühling mit Februar wird es sein!
Ich singe mit: Kuckuk! Quivit!
Komm, liebe Sonne, komm oft – quivit!«
Und dann denkt Niemand an den Schneemann.
Sie taugte nichts.
Der Bürgermeister stand am offenen Fenster; er war in seinem Hemde mit Handmanschetten, mit Tuchnadel in dem Busenstreifen, und außerordentlich glatt rasirt, selbsteigene Arbeit; und doch hatte er sich einen kleinen Schnitt beigebracht, aber auf demselben klebte ein Stückchen Zeitung. »Höre 'mal, Du Kleiner!« rief er.
Und der Kleine war kein Anderer als der Sohn der armen Waschfrau, der gerade am Hause vorüberging und ehrfurchtsvoll seine Mütze zog; der Schirm derselben war in der Mitte gebrochen, die Mütze war dazu eingerichtet, zusammengerollt und in die Tasche gesteckt zu wenden. In seinen ärmlichen, aber reinen und außerordentlich gut geflickten Kleidern, mit schweren Holzschuhen an den Füßen, stand der Knabe da, ehrfurchtsvoll, als stände er dem Könige selbst gegenüber.
»Du bist ein guter Junge,« sagte der Bürgermeister. »Du bist ein höflicher Knabe. Deine Mutter spült wohl Wäsche unten am Flusse; dort mußt Du das gewiß hinbringen, was Du in der Tasche hast. Das ist ein garstig Ding mit Deiner Mutter; wie viel hast Du drin?«
»Ein halbes Maas,« sagte der Knabe erschrocken, mit halblauter Stimme.
»Und heute Morgen bekam sie ebenso viel,« fuhr der Mann fort.
»Nein, es war gestern!« antwortete der Knabe.
»Zwei halbe machen ein ganzes« – Sie taugt nichts! Es ist traurig mit der Art Leute! – Sage Deiner Mutter, sie solle sich schämen! und werde Du nur kein Trunkenbold; aber das wirst Du schon werden! Armes Kind! Geh nur!« Und der Knabe ging weiter; die Mütze behielt er in der Hand und der Wind spielte in seinen gelben Haaren, daß lange Büschel in die Höhe standen. Er lenkte um die Straßenecke, in die kleine Gasse ein, die nach dem Fluße führte, wo die Mutter im Wasser stand an der Waschbank und mit dem Schlägel die schwere Wäsche schlug. Das Wasser strömte stark, denn die Schleusen der Mühle waren aufgezogen, das Bettlaken trieb mit dem Strome und war im Begriffe, die Bank umzureißen. Die Waschfrau mußte sich dagegen stemmen.
»Bald wäre ich davon gesegelt!« sagte sie, »es ist gut, daß Du kommst, denn ich habe es nöthig, den Kräften ein wenig zu Hilfe zu kommen! Es ist kalt hier im Wasser; sechs Stunden, stehe ich schon hier. Hast Du Etwas für mich?«
Der Knabe zog die Flasche hervor und die Mutter setzte sie an den Mund und trank einen Schluck.
»Ach, wie das wohl thut! Wie das wärmt! Das ist ebenso gut wie warmes Essen, und nicht so theuer! Trinke, mein Junge! Du siehst ganz blaß aus, es friert Dich in den dünnen Kleidern! Es ist ja auch Herbst. Hu! wie ist das Wasser kalt! Wenn ich nur nicht krank werde! Doch das werde ich nicht! Gieb mir noch einen Schluck und trinke auch Du, aber nur ein Tröpfchen, Du darfst Dich nicht daran gewöhnen, mein armes, gutes Kind!«
Und sie ging um die Brücke herum, auf welcher der Knabe stand und trat ans Land; das Wasser troff von der Strohmatte, die sie um den Leib gebunden hatte, und von ihrem Rocke.
»Ich arbeite und quäle mich, daß das Blut mir fast unter den Nägeln hervorquillt! aber ich thu' es gern, wenn ich Dich nur ehrlich und rechtschaffen durchbringe, mein lieber Junge!«
In diesem Augenblicke trat eine etwas ältere Frau heran, eine ärmliche Erscheinung, lahm an dem einen Beine und mit einer gar großen, falschen Locke über dem einen blinden Auge: das Auge sollte von der Locke bedeckt sein, aber sie machte den Fehler dadurch nur auffallender. Es war eine Freundin der Waschfrau; »die lahme Marthe mit der Locke,« nannten sie die Nachbarn.
»Du Arme, wie Du arbeitest und in dem kalten Wasser stehst! Du hast wahrhaftig nöthig, daß Du Dich ein wenig erwärmst, und doch schreien die bösen Zungen über die paar Tropfen, die Du trinkst! – Und nun währte es nur wenige Augenblicke, so war die ganze Rede des Bürgermeisters der Waschfrau hinterbracht, denn Marthe hatte Alles gehört und es hatte sie geärgert, daß er in solcher Weise zu dem Kinde von dessen eigener Mutter und von den wenigen Tropfen sprach, die sie zu sich nahm, und zwar weil es an diesem Tage geschehe, an welchem der Bürgermeister selbst einen großen Mittagsschmauß gab mit Wein flaschenweise! Feine Weine, und starke Weine! Ein wenig über den Durst vieler Leute! Aber das nennt man nicht trinken! Die taugen, aber Du taugst nichts!«
»Ah so, er hat mit Dir gesprochen, Kind?« sagte die Waschfrau, und ihre Lippen bewegten sich zitternd: »Du hast eine Mutter, die nichts taugt! Vielleicht hat er Recht! Aber dem Kinde sollte er es nicht sagen! Doch von dem Hause aus ist Vieles über mich gekommen!«
»Ihr habt ja dort gedient, als noch die Eltern des Bürgermeisters am Leben waren und das Haus bewohnten; das sind viele Jahre her! Seitdem sind viele Scheffel Salz gegessen, und man kann schon Durst haben;« und Marthe lächelte. »Der Bürgermeister hat heute großen Mittagstisch, den Gästen hätte es abgesagt werden sollen, aber es wurde zu spät, und das Essen war auch schon fertig. Ich habe es von dem Hausknechte gehört. Vor einer Weile ist ein Brief gekommen, daß der jüngere Bruder in Kopenhagen gestorben ist!«
»Gestorben!« rief die Waschfrau, und wurde leichenblaß.
»Ei doch!« sagte Marthe, »Nehmt Ihr Euch das so sehr zu Herzen? Nun, Ihr kanntet ihn von der Zeit her, als Ihr dort im Hause dientet.«
»Ist er todt! Er war so ein lieber, herzensguter Mann! Der Herr bekommt nicht Viele seines Gleichen!« und die Thränen rollten ihr über die Wangen herab. »O, mein Gott, es tanzt Alles um mich her – das ist, weil ich die Flasche leerte – das habe ich nicht vertragen können – ich fühle mich ganz unwohl!« und sie lehnte sich an die Planke.
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