Dann schlief sie ein.
Gegen Morgen fühlte sie sich gestärkt und kräftig genug, wie sie glaubte, um wieder an ihre Arbeit zu gehen. Sie war eben auf's Neue in das kalte Wasser hinaus getreten, da befiel sie ein Zittern, eine Ohnmacht; krampfhaft griff sie mit der Hand in die Luft, that einen Schritt und fiel um. Der Kopf lag auf dem trocknen Lande, aber die Füße im Flusse; ihre hölzernen Schuhe, die sie anbehalten hatte – in jedem war ein Strohwisch – trieben mit dem Strome, so fand Marthe sie, als sie ihr den Kaffee bringen wollte.
Vom Bürgermeister war unterdessen ein Bote zu ihr ins Haus abgesendet worden, »sie möge sogleich zu ihm kommen, er habe ihr etwas zu sagen,« Es war zu spät! Ein Barbier wurde geholt, um einen Aderlaß vorzunehmen; die Waschfrau war todt.
»Sie hat sich todt getrunken!« sagte der Bürgermeister.
In dem Briefe, der die Nachricht vom Tode des Bruders brachte, war der Inhalt des Testaments angegeben, und demnach seien 600 Thaler der Handschuhmacher-Witwe vermacht, die einst seinen Eltern gedient habe. Nach bestem Ermessen sollte das Geld »in größeren oder kleineren Theilen ihr oder ihrem Kinde verabreicht werden!«
»Da ist so ein Mischmasch zwischen meinem Bruder und ihr gewesen,« sagte der Bürgermeister. »Es ist gut, daß sie weg ist; der Knabe bekommt jetzt das Ganze, und ich werde ihn bei braven Leuten unterbringen; es kann ein tüchtiger Handwerker aus ihm werden!« – Und in diese Worte legte der liebe Gott seinen Segen.
Der Bürgermeister ließ den Knaben kommen, versprach, sich seiner annehmen zu wollen, und fügte noch hinzu, wie gut es sei, daß seine Mutter gestorben, sie taugte nichts.
Auf den Kirchhof trug man sie, auf den Kirchhof der Armen, Marthe streute Sand auf das Grab und pflanzte einen kleinen Rosenstock darauf; der Knabe stand neben ihr.
»Meine liebe Mutter!« sagte er, und seine Thränen flossen. »Ist es denn wahr: – taugte sie nichts?«
»Ja, sie taugte wohl etwas!« sagte die alte Magd und blickte zum Himmel. »Ich weiß es seit vielen Jahren und seit der letzten Nacht. Ich sage Dir, sie taugte etwas, und Gott im Himmel sagte es auch, laß die Welt nur sagen: » Sie taugte nichts !«
Wie's der Alte macht, ist's immer recht.
Eine Geschichte werde ich Dir erzählen, die ich hörte, als ich noch ein kleiner Knabe war; jedesmal wenn ich an die Geschichte dachte, kam es mir vor, als werde sie immer schöner; denn es geht mit Geschichten wie mit vielen Menschen – sie werden mit zunehmendem Alter schöner.
Auf dem Lande warst Du doch gewiß schon gewesen, Du wirst wohl auch so ein recht altes Bauernhaus mit Strohdach gesehen haben. Moos und Kräuter wachsen von selbst auf dem Dache; ein Storchnest befindet sich auf dem Firste desselben, – der Storch ist unvermeidlich! Die Wände des Hauses sind schief; die Fenster niedrig, und nur ein einziges Fenster ist so eingerichtet, daß es geöffnet werden kann; der Backofen springt aus der Wand hervor, gerade wie ein kleiner, dicker Bauch; der Fliederbaum hängt über den Zaun hinaus und unter seinen Zweigen, am Fuße des Zaunes, ist eine Wasserlache, in welcher einige Enten liegen. Ein Kettenhund, der Alle und Jeden anbellt, ist auch da.
Gerade so ein Bauernhaus stand draußen auf dem Lande, und in diesem Hause wohnten ein paar alte Leute, ein Bauer und seine Frau. Wie wenig sie auch hatten, ein Stück war doch darunter, das entbehrlich war – ein Pferd, das sich von dem Grase nährte, welches es an den Einzäunungen der Landstraße vorfand. Der alte Bauer ritt zur Stadt auf diesem Pferde, oft liehen es auch seine Nachbarn von ihm, und erwiesen den alten Leuten manchen andern Dienst dafür. Allein am gerathesten würde es doch wohl sein, wenn sie das Pferd verkauften, oder es gegen irgend etwas Anderes, was ihnen mehr nützen könnte, weggäben. Aber was könnte dies wohl sein?
»Das wirst Du, Alter, am Besten wissen!« sagte ihm die Frau. »Heute ist gerade Jahrmarkt, reite zur Stadt, gieb das Pferd für Geld hin, oder mache einen guten Tausch; wie Du es auch machst, mir ist's immer recht. Reite zum Jahrmarkte!«
Sie knüpfte ihm sein Halstuch um, denn das verstand sie besser als er; sie knüpfte es ihm mit einer Doppelschleife um: das machte sich sehr hübsch! Sie strich seinen Hut glatt mit ihrer flachen Hand und küßte ihn dann auf seinen warmen Mund. Darauf ritt er fort auf dem Pferde, welches verkauft, oder in Tausch gegeben werden sollte. Ja, der Alte versteht dies schon!
Die Sonne brannte heiß, keine Wolke war am Himmel zu sehen. Auf dem Wege staubte es sehr, viele Leute, die den Jahrmarkt besuchen wollten, fuhren, ritten, oder legten den Weg zu Fuße zurück. Nirgend gab es Schatten gegen den Sonnenbrand.
Unter Andern ging auch Einer des Weges dahin, der eine Kuh zu Markte trieb. Die Kuh war so schön wie eine Kuh nur sein kann. »Die giebt gewiß auch schöne Milch!« dachte der Bauer, »das wäre ein ganz guter Tausch: die Kuh für das Pferd!«
»Heda, Du da mit der Kuh!« sagte er, »weißt Du was? Ein Pferd sollte ich meinen, kostet mehr als eine Kuh; aber mir ist das gleichgiltig, ich habe mehr Nutzen von der Kuh; hast Du Lust, so tauschen wir!«
»Freilich will ich das,« sagte der Mann mit der Kuh – und nun tauschten sie.
Das war also abgemacht und der Bauer hätte nun füglich wieder umkehren können, denn er hatte ja Das nun abgemacht, um was es ihm zu thun war; allein da er sich einmal auf den Jahrmarkt gespitzt hatte, so wollte er auch hin, blos um sich ihn anzusehen, und deshalb ging er mit seiner Kuh nach der Stadt.
Die Kuh führend schritt er mit ihr rasch zu, und nach kurzer Zeit waren sie einem Manne zur Seite, der ein Schaaf trieb. Es war ein gutes Schaaf, fett, und hatte gute Wolle.
»Das möchte ich haben,« dachte unser Bauersmann, »es würde an unserm Zaune vollauf Gras finden und während des Winters könnten wir es bei uns in der Stube haben. Eigentlich wäre es angemessener ein Schaaf statt einer Kuh zu besitzen.« – »Wollen wir tauschen?«
Dazu war der Mann mit dem Schaafe sogleich bereit, und der Tausch fand statt. Unser Bauer ging nun mit seinem Schaafe auf der Landstraße weiter.
Bald gewahrte er abermals einen Mann, der vom Felde her die Landstraße betrat und eine große Gans unter dem Arme trug.
»Das ist ein schweres Ding, das Du da hast; es hat Federn und Fett, daß es eine Lust ist; die würde sich erst gut ausnehmen, wenn sie bei uns daheim an einer Leine am Wasser ginge. Das wäre etwas für meine Alte, für die könnte sie allerlei Abfall sammeln. Wie oft hat sie nicht gesagt, wenn wir nur eine Gans hätten. Jetzt kann sie vielleicht eine bekommen – und geht's, soll sie sie haben!« – »Wollen wir tauschen? Ich gebe Dir das Schaaf für die Gans und schönen Dank dazu.«
Dagegen hatte der Andere nichts einzuwenden, und so tauschten sie denn. Unser Bauer bekam die Gans.
Jetzt war er schon nahe bei der Stadt; das Gedränge auf der Landstraße nahm immer mehr zu; Menschen und Vieh drängten sich; sie gingen auf der Straße und längs der Zäune, ja am Schlagbaume gingen sie sogar in des Einnehmers Kartoffelfeld hinein, wo sein einziges Huhn an einer Schnur einherspazierte, damit es über den Gedrang nicht erschrecken, sich nicht verirren und verlaufen sollte. Das Huhn hatte kurze Schwanzfedern, es blinzelte mit einem Auge und sah sehr klug aus. »Kluck, Kluck!« sagte das Huhn. Was es sich dabei dachte, weiß ich nicht zu sagen, aber als unser Bauersmann es zu Gesicht bekam, dachte er sogleich: »Das ist das schönste Huhn, das ich je gesehen habe, es ist sogar schöner als des Pfarrers Bruthenne. Potztausend! das Huhn möcht' ich haben! Ein Huhn findet immer ein Körnchen, es kann sich fast selbst ernähren, ich glaube, es würde ein guter Tausch sein, wenn ich es für die Gans kriegen könnte.« – »Wollen wir tauschen?« fragte er den Einnehmer. »Tauschen?« fragte dieser, »ja, das wäre gar nicht übel!« – und so tauschten sie. Der Einnehmer am Schlagbaume bekam die Gans, der Bauer das Huhn.
Читать дальше