»Marsch! Vorwärts! Marsch!« waren die Kommandoworte für die Trommel; und die Worte hießen nicht: »Zurückweichen!« aber sie konnten sich zurückziehen und darin konnte viel Verstand liegen; und jetzt wurde gesagt: »Zurück!« und da schlug der kleine Trommelschläger: »Marsch! Vorwärts!« er hatte den Befehl so verstanden; die Soldaten gehorchten dem Trommelfelle. Das war ein guter Trommelschlag und gab ihnen, die schon im Weichen waren, den Siegesschlag.
Leiber und Glieder gingen in der Schlacht verloren. Granaten rissen das Fleisch in blutigen Stücken herunter; Granaten zündeten die Strohhaufen zu hellen Flammen an, wohin die Verwundeten sich geschleppt, um dort viele Stunden verlassen zu liegen, verlassen vielleicht für das Leben.
Es hilft Nichts, daran zu denken! und doch denkt man daran; selbst weit davon, in der friedlichen Stadt; auch, der Trommelschläger und seine Frau dachten daran; Peter war ja im Kriege.
»Nun bin ich des Klagens überdrüssig!« sagte die Brandtrommel.
Wieder begann ein Tag der Schlacht; die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber es war Morgen. Der Trommelschläger und seine Frau schliefen, sie hatten von dem Sohne gesprochen; das thaten sie fast jede Nacht; er war ja draußen – »in Gottes Hand«. Und der Vater träumte, daß der Krieg beendet, daß die Soldaten heimgekehrt, und Peter ein silbernes Kreuz auf der Brust trage; aber die Mutter träumte, daß sie in die Kirche getreten und die gemalten Bilder und geschnitzten Engel mit dem vergoldeten Haare gesehen; und ihr eigener, lieber Knabe, ihres Herzens Goldschatz, habe mitten unter den Engeln in weißen Kleidern gestanden und so herrlich gesungen, wie sicher nur die Engel singen können, und habe sich mit ihnen in den Sonnenschein erhoben und seiner Mutter so liebevoll zugenickt.
»Mein Goldschatz!« rief sie und erwachte; »nun hat ihn unser Herrgott zu sich genommen!« Sie faltete ihre Hände, legte ihren Kopf in den Bettvorhang von Kattun und weinte.
»Wo ruht er nun, unter den Vielen im großen Grabe, das sie für die Todten gegraben? Vielleicht auch im tiefen Moorwasser! Niemand kennt sein Grab! Es ist kein Gotteswort darüber gelesen worden!«
Und das Vater unser ging lautlos über ihre Lippen; sie beugte ihr Haupt, sie war so müde, – sie schlummerte ein.
Die Tage zogen vorüber, im Leben wie in den Träumen!
Es war Abend; über der Wahlstätte erhob sich ein Regenbogen, der ben Wald und das tiefe Moor berührte.
Es wird gesagt und ist im Volksglauben aufbewahrt:
Wo der Regenbogen die Erde berührt, da liegt ein Schatz begraben, ein Goldschatz; und hier – lag einer; Keiner, außer seiner Mutter dachte an den kleinen Trommelschläger, und deshalb träumte sie von ihm.
Die Tage zogen vorüber, im Leben wie in den Träumen!
Nicht ein Haar auf seinem Haupte war ihm gekrümmt, nicht ein Goldhaar.
»Trommerom! trommerom, das ist er! das ist er!« konnte die Trommel gesagt und seine Mutter gesungen haben, hätte sie das gesehen oder geträumt.
Mit Hurrah und Gesang, mit grünen Siegeskränzen geschmückt, ging es heimwärts, da der Krieg beendet und Frieden geschlossen war. Der Regimentshund sprang in großen Kreisen voran, um sich den Weg gleichsam dreimal so lang zu machen, wie er war.
Wochen vergingen und die Tage mit ihnen, und Peter trat in die Stube seiner Eltern; er war so braun wie ein Wilder, seine Augen sahen klar umher, sein Gesicht strahlte wie Sonnenschein. Und die Mutter hielt ihn in ihren Armen; sie küßte seinen Mund, seine Augen, sein rothes Haar. Sie hatte ja ihren Knaben wieder; er hatte kein silbernes Kreuz auf der Brust, wie der Vater geträumt, aber er hatte heile Glieder, was die Mutter nicht geträumt hatte. Und das war eine Freude; sie lachten und – weinten. Und Peter umarmte die alte Brandtrommel:
»Da steht noch das alte Gerippe!« sagte er.
Und der Vater schlug einen Wirbel darauf.
»Es ist fast, als wäre hier eine große Feuersbrunst,« sagte die Brandtrommel, »Heller Tag, Feuer im Herzen, Goldschatz! skrat, skrat, skrat!«
Und nun? Ja, was nun? Frage nur den Stadtmusikanten.
»Peter wächst ganz über die Trommel hinaus,« sagte er; »Peter wird größer als ich!« und er war doch der Sohn von einem königlichen Silberwäscher; aber Alles, was er in einer halben Lebenszeit gelernt, lernte Peter in einem halben Jahre.
Es war etwas so Fröhliches in ihm, so innerlich Gutherziges. Die Augen leuchteten und das Haar leuchtete, – das konnte man nicht in Abrede stellen.
»Er soll sein Haar färben lassen!« sagte die Nachbarin . »Das glückte der Polizeimeisters Tochter herrlich! und – sie verlobte sich.«
»Aber es wurde ja gleich nachher grün wie Entengrütze und muß immer aufgefärbt werden!«
»Sie weiß sich zu helfen,« sagte die Nachbarin, »und das kann Peter auch. Er kommt in die vornehmsten Häuser, selbst zu Burgemeisters, wo er dem Fräulein Lotte Klavierstunden gibt.«
Spielen konnte er! ja, gleich die herrlichsten Stücke aus dem Herzen spielen, die noch auf keinem Notenblatte geschrieben standen. Er spielte in den hellen Nächten und auch in den dunklen. Das war gar nicht zum Aushalten, sagte die Nachbarin und auch die Brandtrommel.
Er spielte, daß die Gedanken sich erhoben und große Zukunftspläne hervorsprudelten:
»Berühmtheit!«
Und Burgemeisters Lotte saß am Klavier; ihre seinen Finger tanz ten über die Tasten hin, daß es bis in Peter 's Herz hineinklang; es war, als würde ihm das allzuviel, und das geschah nicht ein Mal, sondern Viele Male, und da ergriff er eines Tages die seinen Finger und die schön geformte Hand, und küßte sie und sähe ihr in die großen, braunen Augen; Gott weiß, was er sagte; wir Andern haben aber Erlaubniß, es zu rathen . Lotte wurde über Hals und Schultern roth und erwiderte kein einziges Wort; – da kamen Fremde in das Zimmer, der Sohn des Staatsraths; der hatte eine hohe, weiße Stirn und trug sie hintenüber, fast bis in den Nacken. Und Peter saß lange bei ihr und sie sähe ihn mit sanften Blicken an.
Daheim am Abende sprach er von der weiten Welt und von dem Goldschatze, der für ihn in seiner Violine verborgen läge.
Berühmtheit!
»Tummelum, tummelum, tummelum!« sagte die Brandtrommel . »Nun ist es mit Peter rein toll! Ich glaube, daß Feuer im Hause ist.«
Am nächsten Tage ging die Mutter auf den Markt.
»Weißt Du was Neues, Peter ?« sagte sie, als sie zurückkam, »eine herrliche Neuigkeit! Burgemeisters Lotte hat sich mit Staatsraths Sohne verlobt; und das geschah gestern Abend.«
»Nein!« sagte Peter und sprang vom Stuhle auf. Aber seine Mutter sagte: »Ja!« sie wußte es von der Barbierfrau, deren Mann es aus dem eigenen Munde des Burgemeisters gehört hatte.
Und Peter wurde bleich wie eine Leiche und setzte sich nieder.
»Herr Gott, was hast Du?« sagte die Mutter .
»Schon gut, gut! laß mich nur in Ruhe!« sagte er und die Thränen liefen ihm über die Backen.
»Mein süßes Kind, mein Goldschatz!« sagte die Mutter und weinte; aber die Brandtrommel sang, nicht auswendig, sondern inwendig:
»» Lotte ist todt! Lotte ist todt!«« »ja, nun ist das Lied aus!«
Das Lied war nicht aus; es hatte noch viele Verse, lange Verse, die allerschönsten, den Goldschatz eines Lebens.
»Sie geberdet sich wie eine Närrin!« sagte die Nachbarin . »Die ganze Welt soll die Briefe, die sie von ihrem Goldschätze bekommt, lesen und auch noch hören, was die Zeitungen von ihm und seiner Violine sagen. Ja, Geld sendet er ihr, das kann sie gebrauchen, seitdem sie Witwe ist.«
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