Es waren sieben Päpste, die in dieser Zeit in Avignon regiert haben, und es ging wie bei den Staufern darum, wer mehr Macht beanspruchen durfte, die königliche Krone oder die Kirche, vertreten durch den Papst. Als Clemens V 1309 seine Residenz nach Avignon verlegte, begann ein Luxus dort, der seine Zeitgenossen empörte. Dazu kam die sogenannte „Vetternwirtschaft“, das heißt er machte fünf Verwandte zu Kardinälen, und schließlich ließ er sich 1311 von der französischen Krone missbrauchen, bei der Vernichtung des Templerordens zu helfen. Dabei wollte König Philip nur an das Vermögen des Templerordens kommen, um seine Staatskasse zu sanieren. Nach ihm kam Johannes XXII, der 18 Jahre lang regierte und weitere fünf Päpste, bis 1376 Katharina von Siena Papst Gregor XI dazu überredete, wieder nach Rom zurückzukehren.
Zu der Geschichte Avignons ließe sich noch eine Menge sagen, aber kehren wir ans Ufer der Rhône zurück, wo wir die abgebrochene Brücke in Augenschein nahmen. Der heilige Bénézet war ursprünglich ein Schafhirte, dem in einer Vision aufgetragen wurde, die Brücke zu bauen. Zunächst waren die Bürger von Avignon skeptisch, aber als er einen riesigen Steinbrocken aufhob, erklärten sie sich bereit, das Werk zu beginnen. Die „Pont-Saint-Bénézet“ wurde zwischen 1177 und 1185 erbaut; man muss bedenken, dass der Wasserstand der Rhône damals viel höher war und das Wasser wilder, was die Überquerung mit kleinen Booten gefährlich machte.1226 wurde sie zum ersten Mal zerstört, weil Avignon sich auf die Seite der Albigenser geschlagen hatte, dann wieder aufgebaut, wieder zerstört, aufgebaut, bis man sie im 17. Jahrhundert als Rudiment stehengelassen hat. Statt 22 Bögen gibt es nur noch 4. In der Legende heißt es, dass die Brücke unter dem vergnügten Tanzen der Bürger von Avignon zerbrochen ist. Daher stammt das Lied:
„Sur le pont d’Avignon,
l’on y danse, l’on y danse,
Sur le pont d’Avignon
L’on y danse tout en rond.“
- aber die Farandole hat man wohl eher auf der Insel Barthelasse getanzt, über die die Brücke einst führte.
Orange, Chateauneuf-du-Pape, Alpilles und Arles
Weiter nördlich von Avignon liegt Orange, heute ein kleines Städtchen mitten im Grünen, aber mit viel Autoverkehr. Es hieß zu Zeiten des Augustus Arausio nach einem keltischen Wassergott und war auch eine keltische Siedlung. Nun wurde es von römischen Veteranen besiedelt und hatte dann viermal so viele Einwohner wie heute. 49 vor Christus erbauten sie den heute noch gut erhaltenen Triumphbogen, der zu den besterhaltenen Siegesdenkmälern der Welt gehört. Er hat wie üblich drei Bögen, die auf Säulen ruhen. Früher stand oben auf der Plattform ein Bronzewagen. In den Reliefdarstellungen werden Kämpfe zwischen Römern und Galliern gezeigt, die Römer mit Helmen, Schild und Schwert ausgerüstet, die Gallier nackt, nur mit Schild und Kurzschwert im Kampf. Über den seitlichen Bögen war dann noch Beutegut aus der Seeschlacht bei Massilia zwischen den Heeren Caesars und Pompejus abgebildet: Schiffsschnäbel, Anker, Dreizacke, Helme und Waffen. Die Schiffe Caesars konnten mit den griechischen aus Massilia gar nicht konkurrieren; da aber die Griechen nur versuchten, Caesars Schiffe zu rammen, bekamen die Fußsoldaten Caesars die Möglichkeit, die Bordwände hochzuklettern und die Griechen niederzuschlagen; damit hatten sie gewonnen. Der Dichter Lucan hat in seinem epischen Gedicht „Pharsalia“ den Bürgerkrieg mit allen grausamen Schlachten beschrieben.
Das war allerdings fast fünfzig Jahre vor der Eroberung Arausios, für das nun die „pax romana“ begann; bald hatte die Stadt Schaubühne, Rathaus, Amphitheater, Stadion, Tempel und Thermen. Das Theater blieb besonders gut erhalten. Was aber dieses Theater von andern römischen und vor allem griechischen Bühnen auszeichnet, ist die Bühnenwand mit 103 Metern Länge und einer Höhe von 30 Metern. Sie war in ihrer Zeit mit
Friesen und Figuren verkleidet, die den Besucher schon auf die kommenden Schauspiele einstellen sollten. Heute immer noch erhalten und wirksam ist die großartige Akustik, die jedes Wort auf der Bühne bis in die oberste Reihe der Arena hörbar macht. Heute noch kann man die Stimme der Antigone hören, wenn ihr Drama von Sophokles hier aufgeführt wird und sie ihr Leben wagt, um ihren Bruder zu bestatten. Auf Kreons Frage: „Du wagst es dennoch, das Gebot zu brechen?“ antwortet ihm Antigone:
„Dieses Gebot, von einem Menschen stammend,
glaubte ich nicht so mächtig,
dass es selbst die ungeschriebenen
uns unumstößlichen sicheren Gebote
der Götter übertreffe.
Diese sind von heute nicht noch gestern;
Ewig dauern sie fort.“
Ich weiß noch, wie mich die Aufführung dieses Dramas vor vielen Jahren im Fernsehen beeindruckt hat, wie stark muss es auf die 11 000 Zuschauer in diesem Theater gewirkt haben, die ja Zeitgenossen waren und an die Macht der Götter glaubten! Und über der ganzen Szenerie, in einer Nische geborgen, steht, aus weißem Marmor geschlagen, die Statue des Divus Augustus, der den Arm erhebt, um die Ovationen zu erwidern, die man ihm zollt.
Wir hatten uns in Orange wohlgefühlt, wollten aber auf der Heimfahrt nach Saint-Rémy auf keinen Fall versäumen, Châteauneuf-du-Pape zu besuchen. Johannes XXII war ein großer Weinliebhaber gewesen und förderte die Winzer der Gegend großzügig; er hat hier auch die neue Burg bauen lassen, der die Ortschaft ihren Namen verdankt. Der Wein der Gegend wurde als „Vin du Pape“ bekannt.
Mitten im Ort gab es eine Kellerei, die für Verkauf und Weinproben geöffnet war, wo man uns freundlich mit Angeboten zum Probieren und Weißbrot zwischen den Proben bewirtete. Der Probierraum war geheimnisvoll dämmrig, weil das Tageslicht nur durch die geöffnete Tür einfiel, und an den Wänden entlang standen hohe Fässer mit ovalem Boden, die den Eindruck noch verstärkten. Die Weinprobe verlief aber zu aller Freude und Zufriedenheit, und wir nahmen verschiedene Jahrgänge aus dem anliegenden Weinberg mit nach Hause.
Der Ort lag wie am Boden einer großen Arena, in die eine warme Nachmittagssonne schien. Alles erinnerte mich an Bernkastel, das auch von einem Halbrund von Reben umgeben ist. Wir kamen einmal im Herbst von der Hunsrückhöhenstraße hinunter, als der ganze Weinberg in Gold zu schwimmen schien, ein phantastischer Anblick.
Die letzten Tage hatten wir für die rauen Alpilles und für Arles aufgehoben. Es war Sonntag, als wir uns in das Felsengestein aufmachten. Es machte Spaß, in den bizarren Kalksteingebilden herumzusteigen, und so war es schon gegen 18 Uhr am Nachmittag, als wir müde und hungrig in Les Baux ankamen. Es mussten über Tag schon viele Besucher hier gewesen sein, denn als wir in dem kleinen uralten Ort ankamen, waren alle Kneipen und Andenkenläden geschlossen, selbst die kleine Kirche wurde gerade abgeschlossen, sodass wir sie nur von außen betrachten konnten. Hier und in den Felsen sollten einmal 6000 Menschen gewohnt haben! Wir konnten das im Anblick der kleinen Dorfstraße kaum glauben. Schließlich fanden wir am Ende dieser Straße eine Gaststube, die noch offen hatte – und eine junge Studentin, die versuchte, auf einer vorsintflutlichen Maschine Pfannkuchen zu backen. Nach einem anfänglichen Fehlstart versuchten wir, der jungen Studentin zu helfen und dem System der schwarzen Pfanne näherzukommen. Mit wenig Fett und relativ viel Teig gelang es uns, drei Pfannkuchen am Stück zu fabrizieren. Irgendwo fand sich auch etwas Trinkbares, und so verließen wir gestärkt an Leib und Seele den alten Ort.
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