„Nun gut“, unterbrach Sabine Hainbusch-Vieth die Unterhaltung. „Fangen wir mit der Arbeit an.“
Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie von dieser Plauderei nicht viel hielt. Tolkien zuckte zu Christina Dörl gewandt kaum merklich mit den Schultern und lächelte schwach.
Alle hatten angenommen, dass die LKA-Beamten sich sogleich mit dem Fall des Verschwindens der Familie Benninghaus beschäftigen würden, doch zu ihrer Enttäuschung und auch zum Ärger einiger, begannen sie ihre Ermittlungen nicht etwa auf deren Anwesen, sondern unter den Beamten des Polizeireviers, und auch nicht zu dem angezeigten Fall Benninghaus, sondern sie schien vielmehr die ihrer Meinung nach irrigen Schlussfolgerungen über die Zustände auf der Beekwarf widerlegen zu wollen. Die Kriminalhauptkommissarin war nicht einmal bemüht, ihre nur wenig überraschenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der untersuchenden Polizisten zu verhehlen.
Mit so einer Reaktion hatten sie im Hinblick auf den Ruf der Hauptkommissarin zwar rechnen müssen, trotzdem hätten sie erwartet, dass diese Zweifel ein wenig rücksichtsvoller vorgetragen würden.
Es folgte eine Reihe von Befragungen, die nicht immer in aller Harmonie verliefen, denn die Geduld der Polizisten des Husumer Polizeireviers wurde arg strapaziert. Wenn es etwas herauszufinden gab, dann würde es eher auf der Beekwarf sein, als auf ihrem Polizeirevier. Gewiss waren die Erklärungen der Husumer Kollegen notwendig, um sich ein Bild von der Lage zu machen, aber die Befragung durch die Kriminalhauptkommissarin grenzte schon an Verhören.
Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig als festzustellen, dass die Aussagen der Husumer Kollegen schlüssig waren, was die gemeldeten Verhältnisse auf der Beekwarf wohl doch als nebulös erscheinen ließ. Und nach der Vorführung der Aufzeichnungen des Anrufbeantworters gab Hauptkommissarin Hainbusch-Vieth widerwillig zu, dass es sich bei dem Fall wohl tatsächlich um eine außergewöhnliche Angelegenheit handelte. Das Tonband aus dem Anrufbeantworter wurde zu einer genaueren Untersuchung ins KTU-Labor nach Kiel geschickt.
Sich auf der Beekwarf umzuschauen, hatte die Kriminalhauptkommissarin natürlich von Anfang an vorgehabt. Aber eigentlich sollte es nicht mehr als eine kurze Visite sein. Keine Familie verschwand, ohne Hinweise zu hinterlassen. Anders konnte es dieses Mal auch nicht sein. Und wenn die Husumer Polizisten nichts Diesbezügliches entdeckt hatten, dann lag es einfach daran, dass sie in solchen Dingen keine einschlägige Erfahrung hatten. Die Beamten des LKA dagegen besaßen fraglos die geübteren Augen.
„Ich glaube, es war ein Fehler, den Anrufbeantworter mitzunehmen“, meinte Harm Hansen in einem vertraulichen Gespräch mit Andreas Thorensen, bevor sie sich zum Anwesen der Benninghaus´ aufmachten.
„Wie kommst du darauf?“
„Nun, es ist nur so ein Gefühl, aber vielleicht haben wir deswegen die Aufnahme weiterer Gespräche verhindert. Möglicherweise sogar die Aufnahme von -.“ Er zögerte.
„Du meinst Botschaften?“, ergänzte Thorensen weniger befangen.
Hansen nickte.
„Ja.“
„Glaubst du also auch nicht daran, dass es eine versehentliche Aufzeichnung eines Gespräches war, oder der Scherz irgendwelcher Witzbolde, die wissen, wo sich die Familie aufhält und mit einem mysteriösen Anruf versucht, die Polizei an der Nase herumzuführen?“
Hansen lachte auf.
„Beides wären gute Erklärungen, wenn sie sich als richtig erweisen würden.“
„Aber die zweifelst daran?“, vermutete Thorensen.
„Ja, zumindest solange, bis wir der Aufnahme tatsächlich eine Telefonnummer zuordnen können. Aber ich glaube, das wird nicht der Fall sein. Was wäre das alles für ein Aufwand, nur um die Polizei in die Irre zu führen, und warum? Das Chaos im Haus, das spurlose Untertauchen der Familie ohne erkennbares Gepäck und noch dazu mit all ihren Haustieren. Wenn das ein Spaß sein soll, dann steht der Aufwand in keinem Nutzen dazu, finde ich.“
„Und natürlich die unerklärlichen Phänomene im Haus und auf dem Grundstück“, ergänzte Thorensen.
Hansen zögerte, dann nickte er.
„Gut, meinetwegen auch die. Davon konnte ich mich selbst zwar nicht überzeugen, aber es gibt zu viele Aussagen von euch, um sie zu ignorieren. Du verstehst mich aber. Es wäre grotesk, dass alles als inszenierten Scherz zu betrachten, besonders die Aufnahme auf dem Anrufbeantworter.“
„Was ist es deiner Meinung nach dann?“, forschte Thorensen.
„Bleibt das unter uns?“
„Mein Wort darauf. Ich glaube, in dieser ganzen Geschichte muss jeder mit dem vorsichtig sein, was er offen sagt.“
„In letzter Zeit sind merkwürdige Dinge passiert“, begann Harm Hansen. „Ich bekam gestern und vorgestern zwei Bücher in die Hand, die sich mit paranormalen Phänomenen befassen. Seltsam, dass das gerade jetzt passiert ist, nicht? Zu allem Überfluss hat mir meine Frau beiläufig erzählt, dass sie eine Frau kennengelernt hat, die von sich behauptet, ein Medium zu sein. Das ist doch auch seltsam, oder?“
Dazu sagte Thorensen nichts. Was die Bücher betraf, hielt er ihr Auftauchen für einen Zufall. Der Markt wurde förmlich von solcher Literatur überschwemmt. Bestimmt hielt jeder irgendwann ein Buch, das sich mit Übernatürlichem beschäftigte, in den Händen. Das hatte also kaum etwas mit diesem Fall zu tun. Außerdem zweifelte er stark an der Aussage der Bekannten von Hansens Frau. Ohne sie zu kennen, hatte Thorensen genug Gründe dafür, ihre Behauptung als Wichtigtuerei zu entlarven. Aber er wunderte sich, mit welchen Gedanken sich sein Chef trug.
„Hast du deiner Frau von diesem Fall erzählt?“, fragte Thorensen.
„Kein Wort. Und sie weiß, dass sie mich auch nicht über meine Arbeit ausfragen kann.“
„Na gut“, meinte Thorensen. „Aber was hat das mit dem Anrufbeantworter zu tun?“
„Ich habe angefangen, ein wenig in diesen Büchern zu lesen und beide weisen mehr oder weniger tiefgreifend darauf hin, dass sich paranormale Phänomene unter bestimmten Umständen in technischen Apparaturen manifestieren können.“
Thorensen blickte Hansen fragend an.
„Manifestieren – darstellen oder zeigen.“
Thorensen nickte.
„Ja, ja, schon klar. Dann stellen wir doch einen anderen Anrufbeantworter in dem Haus auf, oder ein anderes Gerät, bei dem wir hoffen können, dass es Spukerscheinungen aufnehmen kann“, schlug er vor.
„Ich dachte daran -.“
Plötzlich öffnete sich die Tür und Christina Dörl trat ein. Sie sah die beiden an und fing an zu lachen.
„Was ist denn so lustig?“, beschwerte sich Hansen leicht verärgert.
„Eure Gesichter“, erklärte sie. „Ihr seht aus, wie zwei erwischte Verschwörer.“
Das war sicher übertrieben, aber ganz falsch war der Eindruck Christinas wohl auch nicht. Als sich so unvermittelt die Tür öffnete, waren beide unmerklich erschrocken zusammengezuckt. Anscheinend hatten sie sich in der Kürze der Zeit ziemlich weit in ihr Gespräch vertieft. Woran Hansen gedacht hatte, blieb ungesagt, denn Christina Dörl teilte ihnen mit, dass die LKA-Beamten jetzt soweit waren loszufahren.
Später einmal wunderte sich Thorensen darüber, dass Hansen ausgerechnet mit ihm über seine Überlegungen im Hinblick auf die Bandaufzeichnung gesprochen hatte. Und er wunderte sich noch mehr darüber, in welche Richtung diese Überlegungen gingen, denn in der Folge zeigte sich, dass Hansen gegenüber übernatürlichen Dingen skeptisch blieb, auch wenn Thorensen für kurze Zeit etwas anderes vermutete. Hansens Vorbehalte wichen auch nicht nach den kommenden Ereignissen im Zusammenhang mit dem Fall Benninghaus.
Hauptkommissarin Hainbusch-Vieth und ihre beiden Kollegen fuhren in der Begleitung von Andreas Thorensen und Verena Rothenbaum zur Beekwarf hinaus. Nachdem sich die Kommissarin das letzte Mal gegen einen erneuten Besuch des Anwesens gesträubt hatte, wollte sie sich jetzt keine Blöße vor den Beamten des LKA geben.
Читать дальше