Sarah trank hastig einen Schluck Wein. Das hörte sich nicht sehr vielversprechend an.
„Das freut mich, dass Sie das so sehen“, erwiderte David Graham vorsichtig.
„Ich bin heute eigentlich hergekommen, weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich das Angebot von Carter annehmen werde.“
„Ach so, verstehe“, murmelte Graham, sichtlich enttäuscht.
„Moment, ich bin noch nicht fertig.“
Gomez schaute kurz zu Sarah.
„Allerdings habe ich heute Abend einen Menschen getroffen – der mir die Augen geöffnet hat. Sie hat mich daran erinnert, welche zentrale Bedeutung das Herz für meine Vorfahren hatte, nicht nur in ihrer Religion.“ Er lächelte. „Danke Señorita Sarah.“
Als alle Blick auf sie gerichtet waren, bemerkte sie, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie trank schnell einen Schluck Wein, um ihre Verlegenheit zu verbergen.
„David, ich werde den Vertrag mit Ihnen unterzeichnen. Sofort, wenn Sie möchten“, erklärte Gomez.
„Wirklich?“, fragte Graham ungläubig.
„Ja! Haben Sie ihn hier?“
„Moment, ich hole ihn gleich.“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, war er auch schon aufgesprungen und davon geeilt. Keine zwei Minuten später kehrte er mit den Papieren zurück. Hernando Gomez las sie sich durch und setzte dann seine Unterschrift darunter.
„Herzlichen Glückwunsch.“
„Danke“, erwiderte David Graham erleichtert. „Lassen Sie uns darauf anstoßen!“
Natürlich hatte niemand gegen diesen Vorschlag etwas einzuwenden und alle erhoben gut gelaunt ihre Gläser und tranken. Der Abend schritt unaufhaltsam weiter voran und die Stimmung wurde immer ausgelassener.
„Wissen Sie, David“, sagte Gomez irgendwann. „Sie könnten ja wenigstens einmal mit Señorita Sarah tanzen. Immerhin haben Sie ihr den Vertrag zu verdanken.“
David und Sarah schauten sich einen Moment an.
„Ach, das ist doch nicht nötig“, murmelte Sarah abwehrend und David Graham zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Ich will Sarah zu nichts drängen.“
„Keine Widerrede! Nun machen Sie schon oder ich zerreiße den Vertrag wieder“, drohte Gomez, sichtlich amüsiert.
„Also gut“, gab Graham schließlich nach.
Er stand auf und streckte Sarah die Hand entgegen.
„Würden Sie mir diesen Tanz schenken?“, fragte er lächelnd.
Ohne zu ihm aufzusehen, entgegnete sie leise:
„Gern.“
Denn ergriff seine Hand und erhob sich nun ebenfalls. Sofort spürte sie wieder ein Kribbeln in ihrem Bauch, das allein durch die Berührung seiner Hand ausgelöst wurde. Sie gingen auf die Tanzfläche und er behielt ihre Hand in seiner, als sie sich gegenüberstanden. Sarah legte ihre andere Hand auf seine Schulter, während sie spürte, wie er sanft ihren Rücken berührte. Sie begannen zu tanzen. Ihre Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen wie zwei Magnete. Sarah versank vollkommen und widerstandslos in seinen dunklen Augen wie in einer unendlichen Tiefe. Seine Nähe raubte ihr alle Sinne. Sie wusste nicht, wie lange sie bereits tanzten, denn es existierte keine Zeit, keine Welt mehr um sie herum - nur noch Grahams Augen und die leichten Berührungen seiner Hände.
Als der Tanz irgendwann zu Ende war, standen sie sich, eine scheinbare Ewigkeit lang, wie gebannt gegenüber, ohne ihre Blicke voneinander losreißen zu können. Erst als Hernando Gomez zu klatschen begann, wurden sie aus ihrer Trance gerissen und Graham führte Sarah zurück an den Tisch.
Sie wusste nicht, was dort auf der Tanzfläche mit ihr geschehen war. Sie wusste nur, dass sie sich noch nie in ihrem Leben so gut gefühlt hatte. Es war beinahe so etwas wie Magie gewesen - übernatürlich. Schnell trank sie einen weiteren Schluck Wein und versuchte, sich wieder auf die Unterhaltung zu konzentrieren.
Als die Gäste endlich aufbrachen, war es bereits nach zwei Uhr in der Nacht. Hernando Gomez verabschiedete sich besonders herzlich von Sarah und versprach, bald wieder einmal nach Los Angeles zu kommen.
„So“, meinte David Graham, als die Limousinen weggefahren waren. „Die Party ist überstanden.“
„Ja“, pflichtete Sarah ihm bei, während beide wieder in das Haus zurück gingen, wo der DJ und die Caterer mit dem Aufräumen beschäftigt waren – unter strenger Aufsicht von John Henman.
„Sarah, Sie waren fantastisch heute Abend.“
Sie schaute David Graham zuerst geschockt an, bis ihr einfiel, dass er gar nicht ihren Tanz gemeint hatte.
„Oh, danke, aber ich habe doch nur versucht, meinen Job zu tun.“
„Und bei diesem Versuch haben Sie an Ihrem ersten Tag etwas geschafft, das ich in acht Monaten nicht erreicht habe. Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, Sarah.“
Sie lächelte verlegen und schaute auf die Uhr.
„Ich bin mir sicher, dass es nicht allein mein Verdienst war. Aber ich denke, ich sollte jetzt nach Hause fahren. Würden Sie mir bitte ein Taxi rufen?“
Graham runzelte die Stirn.
„Es ist gleich halb drei. Ich kann Sie doch jetzt nicht noch eine Stunde durch die Stadt fahren lassen. Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag. Sie übernachten hier.“
Sarahs Augen wurden groß.
„Hier?“
Er nickte.
„Ja, Sie können in einem der Gästezimmer schlafen. Morgen früh fahren Sie dann nach Hause. Natürlich müssen Sie nicht um 10 Uhr in der Galerie sein, sondern erst am Nachmittag.“
Sarah überlegte. Eigentlich war sie wirklich müde und so würde sie eine ganze Stunde mehr Schlaf bekommen. Außerdem klang Gästezimmer relativ sicher.
„Also gut, dann nehme ich Ihr Angebot gern an“, willigte sie schließlich ein.
„Sehr gut“, freute er sich. „Ich zeige Ihnen gleich das Zimmer.“
Sie folgte ihm den Flur entlang, dann durch die Küche bis in den anderen Flügel des Gebäudes. Hier führte er sie in eines der Gästezimmer, das ebenfalls im gleichen mexikanischen Stil wie der Rest des Hauses eingerichtet war.
„Das Badezimmer ist gleich nebenan“, erklärte er ihr. „Dort in der Kommode finden Sie auch noch einige Sachen. Sie können sich etwas aussuchen, wenn Sie möchten. Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen sollten …“
„Vielen Dank“, erwiderte sie. „Ich denke, ich habe alles.“
„Okay, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.“
„Ich Ihnen auch.“
Sarah wartete, bis er hinaus gegangen war und schloss dann die Tür ab, bevor sie in das Badezimmer ging, sich auszog und kurz duschte. Zurück im Gästezimmer schaute sie in die Kommode und fand ein großes T-Shirt, das sie sich überzog, bevor sie ins Bett schlüpfte und das Licht löschte. Sie war wirklich sehr müde, aber trotzdem ließ sie die Erinnerung an den Tanz mit David Graham nicht so schnell los. So ein Übermaß an Glücksgefühlen wie in diesen Minuten hatte sie noch nie gespürt, davon war sie überzeugt. Sie wusste jedoch nicht, was die Ursache dafür war. Allerdings würde sie es in dieser Nacht nicht mehr herausfinden, denn sie wurde jetzt doch vom Schlaf übermannt.
***
David Graham ging vom Gästezimmer zurück in den Salon, in dem sich nur noch John Henman aufhielt.
„Wie sieht es aus?“, erkundigte er sich.
„Alle weg“, berichtete John.
„Gut, endlich Feierabend. Aber der Abend hat sich wirklich gelohnt.“
„Ja“, stimmte John ihm zu. „Deine neue Assistentin hat Gomez geknackt.“
Graham nickte.
„Sie ist verdammt gut. Hast du schon etwas herausgefunden?“
„Nein, ich habe bisher nur die Standardchecks machen können, da gab es keine Auffälligkeiten“, berichtete Henman. „Der Lebenslauf und die Zeugnisse von Sarah Porter sind offensichtlich stimmig. Natürlich werde ich noch weiter graben. Wir können kein Risiko eingehen.“
Erneut nickte Graham.
„Noch so ein Fiasko wie in den letzten Wochen können wir uns nicht leisten. Aber es freut mich, dass Miss Porter anscheinend eine weiße Weste hat. Hoffen wir, es bleibt auch so.“
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