»Aber lange her, wenn Sie das auf dem Bild sind«, sagte Diogonis.
»Das ist es wohl, und dennoch haben wir uns nicht aus den Augen verloren. Bis auf zwei. Der…«, er zeigte auf einen der Männer, der rechts neben ihm auf dem Bild stand. »Der ist verstorben, Krebs. Und der Dicke hier, Marcel, ist nach der deutschen Vereinigung ausgewandert. Australien. In der ersten Zeit hat er sich noch zwei, dreimal per Brief gemeldet. Doch letztlich ist der Kontakt abgebrochen.«
»So ist das Leben«, sagte Diogonis. »Die Menschen kommen und gehen.«
»Aber einige bleiben«, sagte Ulrich Werfel. »Wenn du willst, kannst du sie kennenlernen. Wir haben unser vierteljähriges Treffen in der nächsten Woche.«
»Ja, das würde mich interessieren. Ich schätze es, wenn Menschen treu sind«, sagte Diogonis.
Am Sonntag fuhr Larsson nach Kleinmachnow zurück. Seine Frau Monika hatte ihn mit dem Auto ihrer Freundin nach Stralsund an die Bahn gebracht. Dort stieg er in den Zug nach Neustrelitz. In Neustrelitz musste er umsteigen. Das war das große Fragezeichen in der Planung Larssons, denn die Zeit zum Umsteigen betrug exakt 4 Minuten. Aber er hatte Glück. Der Anschlusszug kam mit dreiminütiger Verspätung. Der Zug von Stralsund nach Neustrelitz war pünktlich. Und so kam er kurz nach drei am Nachmittag am Hauptbahnhof in Berlin an. Dort nahm er sich ein Taxi nach Kleinmachnow, sodass er kurz nach vier vor der für ihn neuen Behausung aussteigen konnte.
Die erste Feststellung, die ihn traf, war, dass der kleine Ford nicht mehr vor der Eingangspforte stand. Die zweite Feststellung, dass man ein Schild mit dem Namen Baumgaertner an der Klingel angebracht hatte. Also musste während seiner Abwesenheit jemand im Haus gewesen sein. Das wird wohl noch des Öfteren vorkommen, dachte Larsson.
Auf dem Tischchen vor dem Spiegel im Flur lag ein Zettel, den man unter einer Vase festgeklemmt hatte. In der Vase stand ein Blumenstrauß. Larsson hatte das nicht erwartet, nahm es aber freudig entgegen. Dann las er den Zettel.
Hallo Lasse, der Ford steht in der Garage. Der Schüssel zur Garage hängt am Schlüsselbrett neben dem Eingang. Im Kühlschrank findest Du eine Erstversorgung. Was Du nicht vorfindest, musst du selbst unterwegs besorgen. Ich wünsche dir einen guten Einstieg im Druckzentrum. Niclas
Er brachte den Koffer hoch ins Schlafzimmer. Wieder im Parterre angekommen, ging Larsson in die Küche. Er würde sich erst einmal einen vernünftigen Kaffee machen. Während die Maschine mit ihrer Arbeit begann, inspizierte er zuerst die Küche. Der Kühlschrank war soweit aufgefüllt, dass er nicht zu hungern brauchte, so wie es Niclas Schorn ihm auf dem Zettel beschrieben hatte. Sogar in den Tiefkühlfächern fand er bereits geputztes Gemüse und diverse Fleischstücke vor. Als der Kaffee fertig war, nahm er eine Tasse aus dem Schrank und befüllte sie. Dann stellte er die Badetasche auf die Bank vor dem Tisch. Ihr entnahm er den RD-10 von Lawmade, mit dem er überprüfen würde, ob das Haus verwanzt war. Er hatte sich für den RD-10 entschieden, der Aufspürgerät und Kameralinsendetektor in einem war. Er setzte sich neben die Badetasche auf die Bank. Das kleine 40 Gramm schwere Gerät, das nunmehr sein ständiger Begleiter sein würde, musste noch zum Leben erweckt werden. Er legte zwei AAA-Batterien ein. Sofort zeigte das Gerät an, dass es betriebsbereit war.
Als er die erste Tasse Kaffee getrunken hatte, begann er, die typisch neuralgischen Punkte der Küche abzusuchen. Auf dem Bord über der Arbeitsplatte waren verschiedenen Tüten mit Gewürzen und fertigen Zutaten. Zwischen der Tüte mit Bologneser Gratin von Maggi und einem Glas Gemüsebrühe von Knorr stand eine Tüte mit Lorbeerblättern. Nur bei einer besonders gründlichen Kontrolle wäre ihm aufgefallen, dass die Lorbeerblättertüte schon einmal geöffnet wurde. Er würde das anders prüfen. Als er mit dem RD-10 an dem Bord entlangfuhr, begann es, die Tüte als Strahlungsquelle auszuweisen. Das war die einzige Wanze, die man in der Küche hinterlassen hatte. Im Wohnzimmer fand er eine weitere Wanze, die hinter einem Aquarell der Dresdner Frauenkirche so geschickt angebracht war, dass sie nur bei absolut abgenommenem Bild zu erkennen gewesen wäre. Larsson machte sich Notizen, dann ging er ins Obergeschoss. Auch das kleinere Zimmer war verwanzt. Und im Schlafzimmer, in dem er schlafen würde, fand er eine winzige Kamera in der Fuge der Kopfteile des Schranks.
Auf dem Flur fiel sein Blick wieder auf die Klappe zum Boden. Es war die ausfahrbare Leiter, die hinter der Klappe befestigt war. Was ihm fehlte, war der Stock mit dem Haken, um die Klappe zu öffnen und die Leiter herunterzuziehen. So sehr er sich auch bemühte, den Stock zu finden, umsonst. Er dachte daran, dass er auch eine Taschenlampe brauchte, würde er dort oben kein Licht vorfinden. Da würde er morgen Abhilfe schaffen. Larsson überlegte, ob er mit Schorn über die Wanzen sprechen sollte. Er beschloss, die Entdeckung vorerst für sich zu behalten.
Larsson nahm den Garagenschlüssel und ging hinaus. Der kleine Ford war ordentlich abgestellt worden. Er öffnete die Fahrertür, stieg ein und nahm sein RD-10. Sowie er es eingeschaltet hatte, begann es zu piepen. Je näher er dem Armaturenbrett kam, umso intensiver wurde es. Die Burschen haben nichts ausgelassen, dachte er. Sie haben es dahinter montiert, und zwar so, dass das Mikrofon durch den Schlitz in der Heizungsanlage die Schallwellen einer Unterhaltung aufnehmen konnte. Sie haben also dieses ganze Armaturenbrett ausgebaut, um da ranzukommen. Jetzt wusste er, warum der Wagen nicht draußen belassen wurde. Man brauchte keine Zuschauer, die sich über die Männer, die den Einbau der Wanze tätigten, Gedanken machten. Und neugierige Nachbarn, die sich für den neuen Hausherrn interessierten, gab es sicherlich auch in Kleinmachnow.
Als er ins Haus zurückkam, dachte er an die Weinflaschen im Keller. Er beschloss, sich mit einem der Weine für den Abend zu rüsten. Den Keller hatte er ja schon mit Schorn besucht. Oberflächlich betrachtet, war da auch alles in Ordnung. Jetzt ging er beherzt die Treppe hinunter. Dabei schaute er sorgfältig, ob irgendetwas Verdächtiges sein Misstrauen erweckte. In einer Ecke stand ein beschädigter Biedermeierschrank. Nicht besonders wertvoll, doch zumindest ungewöhnlich. Wer hatte das Haus bewohnt? Und wer hatte diesen Schrank hier etabliert? Er öffnete den Schrank. Eine sehr markante Herrenjacke in Übergröße hing dort ganz allein. Es handelte sich um sehr teure Wolljacke, die aus verschiedenen Farbteilen, aber gleichen Wirkstrukturen zusammengesetzt wurde. Auf der linken Brusthöhe gab es ein ovales Schild mit einem gestickten Doppeldecker. Offensichtlich war es die Jacke eines Mannes, der etwas mit historischen Flugzeugen zu tun hatte. Larsson machte ein Foto mit dem Smartphone. Dann untersuchte er alle möglichen Ecken nach Wanzen, fand aber keine. Offensichtlich hatte man den Keller ausgelassen. Er nahm sich eine Flasche Bordeaux mit. Aus der Küche rief er seine Frau in Loddin an.
»Hallo Monika«, sagte er, als sie sich gemeldet hatte. »Ich bin seit gut einer Stunde hier.«
»Dann hast du ja den Anschlusszug in Neustrelitz bekommen.
Wie fühlst du dich?«
»Wie immer, wenn ich von Zuhause weg bin. Ich wäre gern bei dir. Aber du kannst ja mal für ein paar Tage mit Elina herkommen, wenn ich mich eingelebt habe.«
»Wirst du dich einleben?«
»Es ist ja nur für sechs Wochen. Immerhin habe ich mir für den Abend aus dem Keller eine Flasche Bordeaux geholt. Ich denke, es ist ein guter Anfang.«
»Vielleicht komme ich am nächsten Wochenende«, sagte sie.
Aber die Art, wie sie es sagte, klang nicht so, als habe sie das wirklich gemeint. Sie war froh, wenn sie in Loddin war. Es bedeutete ihr viel, mit Elina in Sichtweite des Achterwassers oder auf der anderen Seite, an der Ostsee spazieren zu gehen.
Читать дальше