»Zufrieden?«, fragte Schorn, als er Larsson beobachtete.
»Hier hat scheinbar ein ganzes Bataillon das Haus klinisch rein gemacht«, sagte Larsson lächelnd.
»Ein Bataillon nicht. Aber ja, wir haben vor, das hier ordentlich zu übergeben, sodass derjenige, der dieses Haus nutzt, nicht anfangen muss, sauber zu machen. Gehen wir hoch und besprechen, was deine Aufgabe wäre, wenn wir uns einig werden.«
Sie verließen den Keller und gingen zurück in die Küche, auf deren großen Tisch Schorns Aktentasche lag.
»Kommen wir zu der Aufgabenstellung.«
»Ihr sucht jemanden, der hilft, den Mord an einem älteren Arbeiter der Druckerei aufzuklären.«
»Exakt«, sagte Schorn.
»Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Für Mordermittlungen ist das LKA zuständig, also das LKA Brandenburg in Eberswalde.«
»Du bist misstrauisch, Lasse. Also hast du schnell nachgeschaut, wer für die Aufklärung zuständig ist.«
Larsson nickte.
»Alle Verhöre sind bisher ins Leere gelaufen. Die Kollegen haben einen Verdacht, aber dem liegen keine Fakten zugrunde. Jeder der Männer, die an diesem Spätnachmittag Dienst hatten, könnte theoretisch der Mörder sein. Die Wahrheit ist, dass es eine Verbindung zu der Druckerei gibt, die den Staatsschutz auf den Plan gerufen hat.«
»Und?«
Schorn wiegte den Kopf.
»Du willst es mir nicht sagen«, stelle Larsson fest.
»Ich habe es dir schon gesagt, als wir zusammen telefonierten. Vigilia pretium libertatis – Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit!«
»Das klingt nach einer Geheimdienstoperation.«
»Die Sicherheit unseres Landes ist davon betroffen«, sagte Schorn, während er einen schmalen Ordner aus seiner Tasche nahm. »Würde ich es dir jetzt sagen, was ich nicht darf, wärst du bei deinen Nachforschungen so beeinflusst, dass du die Lage nicht objektiv darstellen kannst. Aber ich werde es dir in dem Augenblick sagen, wenn du nahe genug dran bist.«
Das erinnert mich an die Zusammenarbeit, die wir in Karlsbad hatten, dachte Larsson, die sollte auch ungefährlich sein.
»Der Ford läuft auf den Namen Sven Baumgaertner, Tischbeinstraße 15 in Hamburg Barmbek.« Schorn legte den Kraftfahrzeugschein auf den Tisch. Dann nahm er den Personalausweis in die Hand. »Der echte Sven Baumgaertner ist gerade aus Hamburg weggezogen. Nur für den Fall, dass irgendjemand sich dafür interessiert. Es war eine Dreizimmerwohnung im Hochparterre mit Balkon. Und er fuhr das gleiche Modell von Ford in eben dieser mausgrauen Farbe und mit der Registriernummer.«
»Ein Geheimdienst muss den Legendenspender unter Kontrolle halten. Was ist, wenn Sven Baumgaertner plötzlich stirbt und ich mit dieser Identität durch die Gegend fahre. Also was, wenn ich in eine Polizeikontrolle komme und der echte Sven Baumgaertner schon als Toter verzeichnet ist?«, sagte Larsson.
»Das sollte deine kleinste Sorge sein. Wir haben den Legendengeber absolut auf dem Schirm.«
»Du machst alles wasserdicht, Niclas. Mit dem Haus ist nichts anders, als es vor der Wende war. Mal angenommen, ich würde den Job annehmen. Was verdiene ich da?«
»Tausend Euro … pro Tag und die Spesen. Und zur Legende gehört, dass deine Frau das Haus von ihrer Lieblingstante geerbt hat. Okay?«
Tausend pro Tag. Ich muss sehr auf mich aufpassen, dachte Larsson.
»Wenn es einen Kontakt vom Staatsschutz zum Objekt gibt, wozu dann diesen Umweg, Niclas?«
Er gab keine Antwort auf die Frage.
»Es gibt zwei Arbeiter aus Mosambik. Du wirst sie beide kennenlernen. Nuguse Berhane und Alem Manuel Diogonis. Ich möchte, dass du Diogonis besonders anschaust. Das ist deine ganze Aufgabe. Lass es langsam angehen, versuche, sein Vertrauen zu gewinnen. Dazu braucht man jedes Feingefühl. Jede Kleinigkeit zählt. Vor allem Änderungen in seinem Benehmen.«
»Eigentlich brauchst du einen Psychiater für diese Aufgabe, Niclas«, sagte Larsson.
»Und du hast den ersten Termin heute um 14.00 Uhr«, sagte Schorn. »Stelle den Wagen auf dem Parkplatz der Druckerei ab. Frage nach Herrn Vogelsang. Er wird dich abholen, macht dich mit dem Arbeitsablauf bekannt. Danach reden wir drüber, ob du den Auftrag annimmst.« Er gab ihm den Personalausweis, in dem noch die Hamburger Adresse angegeben war und eine Mappe mit Zeugnissen, die allesamt getürkt waren.
»Wie lange wird der Spuk dauern?«, fragte Larsson.
Schorn hob die Schulter und machte ein bedenkliches Gesicht. »Ich denke, bis zum 17. August.«
»Das sind ja …«
»Sechs Wochen. Hast du damit Probleme, dann sage es gleich.«
»Es ist die schönste Jahreszeit auf Usedom. Die werde ich mit Sicherheit vermissen.«
»Wir fahren jetzt nach Potsdam und gehen gemeinsam essen«, sagte Schorn. »Von dort hast du nur drei Kilometer bis zu deiner neuen Arbeitsstelle.«
In der Theaterklause angekommen, bestellten sie Ochsenbäckchen in Rotweinsauce mit Rotkohl. Larsson kam nicht umhin, die wundervolle Aussicht über den See hinüber bis zum Flatowturm zu loben.
»Du fährst jetzt zu deinem Vorstellungsgespräch«, sagte Schorn. »Anschließend treffen wir uns in deinem neuen Zuhause.«
Schorn zahlte und brachte Larsson noch zu dem kleinen Ford. Er sah ihm hinterher, bis er um die Ecke bog. Dann ging er die wenigen Meter bis zur Berliner Straße, wo er ein freies Taxi anhalten konnte, das ihn nach Kleinmachnow brachte.
Kurz vor vier kam Larsson zurück.
»Es hat eine interessante Führung durchs ganz Haus gegeben«, sagte Larsson. »Ich habe die ganze Truppe kennengelernt, die heute Dienst hatte, auch die beiden Mosambikaner.«
»Was wird dein Einsatz sein? Hat man sich darüber ausgelassen?«
»Das will Herr Vogelsang sagen, wenn ich zwei Wochen Einarbeitungszeit geleistet haben.«
»Soll das heißen, dass du im Boot bist?«
Larsson nickte.
Schorn schob ihm eine Vereinbarung bezüglich seines Aufgabengebietes hin, die Larsson unterschrieb. Schorn gab ihm im Gegenzug die Schlüssel des Hauses.
»Auf eine gute Zusammenarbeit«, sagte er. »Und denke daran, du hast eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben.«
»Was für eine Klausel? Ich habe schon den Auftrag gegeben, ein großes Schild zu malen, das ich vor dem Haus anbringen werde«, frotzelte Larsson.
Schließlich trennten sie sich, als sie gemeinsam das Haus verlassen hatten. Schorn, um noch für einige Stunden in die Berliner Zentrale des BKA zu fahren, Larsson der den Benz nach Loddin zurückbrachte, damit er seiner Frau Monika für die notwendigen Einkaufsfahrten zur Verfügung stand.
Vier Wochen zuvor
Das ockergestrichene viergeschossige Haus in der Handjerystraße in Berlin-Friedenau hatte durchaus bessere Zeiten gesehen. Sicherlich war es Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts restauriert worden, hatte diesen Farbanstrich erhalten und dümpelte nun im Strom der Zeit dahin, ohne seinem Äußeren seitens des Eigentümers besondere Aufmerksamkeit abzuverlangen. Einzig die Beheizung der Wohnungen hatte man zentral gelöst, um die Luftverschmutzung durch die Ofenheizungen abzustellen. Gleichzeitig bedeutete das auch für die Mieter der Wohnungen eine Verbesserung der Lebensumstände, die sich negativ auf den Mietpreis auswirkte.
Das Haus war ein Spiegel der überalterten Gesellschaft. Mehrere Menschen jenseits der Arbeitsgrenze lebten unauffällig vor sich hin. Täglich hielten mehrere Autos vor dem Haus, der Kombi-Pkw mit dem fahrbaren Mittagstisch, und die kleinen Autos verschiedener Pflegedienste. Eine junge Alleinerziehende mit zwei Kindern war das Gegenstück zu den älteren Bewohnern, die nach und nach das Haus mit den Füßen voraus verließen.
Im Souterrain hatte sich der Chemiestudent Ingolf Werner eingemietet. Er bewohnte die feuchte Kemenate, die, wenn er heizte, ständig die Wasserperlen an den Fensterscheiben sammelte, die in sicherem Strom auf die hölzerne Fensterbank liefen, und von da aus in der Wand versickerten. Normalerweise war diese Wohnung, aufgrund der feuchten Wände, unvermietbar. Allein die Umstände, die über ihn hereingebrochen waren, hatten Ingolf Werner dazu ermutigt, das Loch zu mieten. Und so hatte er die kleine Küche zu einem Labor umfunktioniert. Genau hier, wo seine Armut durch diese Wohnung dokumentiert wurde, hatte er sich geschworen, mithilfe seines Einfallsreichtums und Könnens den Grundstein für ein besseres Leben zu legen.
Читать дальше